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Nachgefragt
01. Dezember 2014

Dezentraliät verstehen

Als gut vernetzter Energiebürger und Vorsitzender des Bürgerwindparkbeirats des BWE sowie Mitglied im Rat für Bürgerenergie des BBEn beschreibt Horst Leithoff im Interview mit energiezukunft die Faszination Bürgerenergie und die Chance, Einfluss auf Energieversorgung und Umweltgestaltung zu nehmen.

Horst Leithoff ist Vorsitzender des neuen Bürgerwindparkbeirats des Bundesverbands WindEnergie (BWE) e.V. und im Rat für Bürgerenergie des Bündnis Bürgerenergie (BBEn) e.V. (Foto: © Die Wende – Energie in Bürgerhand/Joerg Farys)
Horst Leithoff ist Vorsitzender des neuen Bürgerwindparkbeirats des Bundesverbands WindEnergie (BWE) e.V. und im Rat für Bürgerenergie des Bündnis Bürgerenergie (BBEn) e.V. (Foto: © Die Wende – Energie in Bürgerhand/Joerg Farys)

01.12.2014 – Anfang 2014 wurde Horst Leithoff zum Vorsitzenden des neuen Bürgerwindparkbeirats des Bundesverbands WindEnergie (BWE) e.V. gewählt, im Oktober in den Rat für Bürgerenergie des Bündnis Bürgerenergie (BBEn) e.V.

Deutschland in 40 Jahren: Wie steht es um die Energiewende? Welche Rolle werden dabei die Bürger einnehmen?

Wir werden dann hoffentlich erneut eine „Energiewende“ erlebt haben. Nachdem wir mit der Regierung Merkel nun schon die vierte Energie-Wende erlebt haben von 1. Ausstieg aus der Atomenergie – 2. Laufzeitverlängerung – 3. Energiewende (endgültige Stilllegung der Atommeiler) – bis 4. EEG 2014, so wird sich sicherlich in den nächsten Jahren die Erkenntnis breit machen, dass nur die Erneuerbaren Energieerzeuger auf Dauer bezahlbare Energie liefern können. Wir werden große Fortschritte in der Netzintegration der Erneuerbaren sehen. Wenn erst einmal Raum gegeben wird, in dem sich unsere Ingenieure entfalten können, dann wird dies Problem bald gelöst werden können. Netzintegration bedeutet ja schon heute nicht nur Speicherung von Energie aus den Erneuerbaren, sondern flexibles sich aufeinander Abstimmen und einander Stützen. Dazu braucht es nach meiner Überzeugung weniger „Freie Marktwirtschaft“ und „Interessensschutz von einzelnen Gruppen“ sondern mehr Zusammenarbeit und vermutlich gemeinschaftliche (staatliche?) Steuerung der Netzintegration. Aber 2045 haben wir es geschafft, der Welt zu zeigen, dass die Energiewende möglich ist und Deutschland wird ein weiteres Vorzeigeprojekt entwickelt haben.

Was braucht es heute dazu, dass wir dieses Ziel in den nächsten Jahrzehnten erreichen?

Wir brauchen als allererstes faire, durchsichtige Strompreise. Im Strompreis aller Erzeuger müssen sich alle Kosten vom Aufbau bis zur Entsorgung und vom Rohstoff bis zur Energiebilanz und den Umweltkosten wiederfinden. Und wir brauchen zweitens eine freie Vermarktbarkeit des regionalen und/oder herkunftszertifizierten Stromes. Kurzfristig brauchen wir noch eine Mindestvergütung für Ökostrom. Vermutlich solange, wie der graue, konventionelle Strom undurchsichtig subventioniert wird. Und drittens brauchen wir wieder verlässliche, langfristig planbare Rahmenbedingungen.

Ihre Motivation, sich für die Bürgerenergiewende einzusetzen, scheint nicht zuletzt in der Eigenverantwortung und Mitbestimmung zu liegen. Woher kommt das?

Nun, wir leben in einer Region ohne Rohstoffe, ohne gute Infrastruktur und weitestgehend ohne Industrie. Die Landwirtschaft hat ihre führende Rolle als Arbeitgeber verloren. Die Wirtschaftlichkeit lag hier meines Wissens im langjährigen Mittel bei anderthalb bis zwei Prozent des eingesetzten Kapitals. Damit ist Gestaltung im eigenen Umfeld praktisch nicht mehr möglich. Eine Zeitlang haben wir geglaubt, dass freie Marktwirtschaft und Globalisierung ein Ausweg sein könnten. Wasserwerke, Stadtwerke, Strom- und Telekomunikations-Netze wurden verkauft und mit dem Erlös kurzfristig Haushalte entlastet. Heute stehen wir vor einem Scherbenhaufen in dem sogar Schulen, Kindergärten und Krankenpflege nur noch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gestaltet werden. Ich erlebe, dass den Menschen diese Entwicklung bewusst wird und dass sie vielen nicht gefällt. Angesichts leerer Kassen sehen wir zu und fühlen uns machtlos. Als ich die Möglichkeit bekam, mich mit Bürgerenergie zu beschäftigen, habe ich sehr bald die Tragweite dieser Technologie und nicht zuletzt deren Einfluss auf die Regionalwirtschaft erkannt. Es bietet sich die Chance, Menschen an einer Wertschöpfung zu beteiligen und für eine Sache zu engagieren. Und wenn viele Menschen ein wenig mehr verdienen, dann bleibt dies Geld recht lange in der Region und wirtschaftet. Verdiene ich selbst einen Riesen Batzen, dann kaufe ich mir ein Sommerhaus am Mittelmeer und eine Yacht vielleicht. Das wäre schön für mich und vielleicht für ein paar Leute an der Riviera – hier vor Ort hilft es aber kein bisschen und ich muss mich gegen den Neid und die ohnmächtigen Klagen der örtlichen Bevölkerung wehren. Ich möchte aber mit den Menschen hier leben und mich zusammen mit ihnen vor Ort engagieren. Möchte wieder Einfluss nehmen können, ob es im Dorf einen Kindergarten geben soll oder ob wir einen Fahrradweg bauen können.

Wie sieht denn die Energiewende bei Ihnen zu Hause aus? An welchen Projekten sind Sie beteiligt?

Nun, da berühren Sie einen schwierigen Punkt. Ich lebe in Dänemark und habe eine Absprache mit dem regionalen Stromanbieter über „grünen Strom“. Eine eigene Anlage besitze ich nicht. Keine Solarpanels auf dem Dach oder auch keine Kleinwindkraftanlage vor dem Haus. Aber ich bin natürlich an den Bürgerwindprojekten beteiligt, an denen ich arbeite. Auch einen kleinen Anteil an einem Bürgersolarprojekt in Süderlügum halte ich.

Und wie möchten Sie diese Facetten in das Bündnis Bürgerenergie einbringen, dessen Rat Sie seit Oktober 2014 angehören?

Ich arbeite daran, dass sich der BWE nicht nur über den BEE sondern auch direkt am BBEn beteiligt. Sich vernetzen ist heute so bitter notwendig. Als Einzelkämpfer erreichen wir gar nichts. Aber wenn wir uns verbinden, dann sind wir stark und können Einfluss nehmen. Ich bin daran interessiert, dass die Menschen die dezentrale Energieversorgung verstehen, ihre Bedeutung für ihre Region ermessen können. Und ich bin davon überzeugt, dass viele Menschen aus Liebe zu unserem Planeten Verantwortung übernehmen wollen. Bürgerenergie darf nicht nur als gutes Wirtschaftsprojekt verstanden werden. Natürlich müssen Projekte in Bürgerhand genauso Geld verdienen, wie die Kohlekraftwerke und Atommeiler der alten Energiewirtschaft. Nur wenn wir mit unserem Engagement auch Erfolg haben, trägt es in die Zukunft. Denken Sie einmal an die Eigenheimzulage, die es vor vielen Jahren mal gegeben hat. Unsere Gründungsväter der sozialen Marktwirtschaft hatten erkannt, wie wichtig es für ein Land ist, dass die Bürger stark und unabhängig sind. Das „soziale“ der Marktwirtschaft ist uns abhandengekommen. Wir müssen es wiederentdecken. Die starken Macher im Lande müssen die etwas Schwächeren dazu bei der Hand nehmen und sie einbeziehen, sie frühzeitig und fair an Entscheidungen und Erträgen beteiligen. Nur dann wachsen wir gemeinsam für eine in eine verantwortungsvolle Zukunft hinein. Und die wollen wir doch für uns und unsere Kinder schaffen.

Herr Leithoff, herzlichen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Barbara Hennecke, 100 prozent erneuerbar stiftung.


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