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Nachgefragt
06. Mai 2021

Die Bevölkerung ernst nehmen

Die Zeit drängt. Mit der kommenden Bundestagswahl werden die Weichen für Deutschlands Klimapolitik in den nächsten Jahren gestellt. Doch was genau sind die Wünsche der Bevölkerung? Das findet aktuell ein Bürgerrat Klima heraus, dessen Teilnehmende ein repräsentatives Mini-Deutschland darstellen. Rabea Koss, Sprecherin des Bürgerrates, im Interview.

Rabea Koss, Sprecherin Bürgerrat Klima

Rabea Koss, Sprecherin Bürgerrat Klima
Rabea Koss bei der Bundespressekonferenz
Bild: Bürgerrat Klima

Anfang Januar wurde eine sehr erfolgreiche Petition im Bundestag eingereicht, mit der Forderung nach einem Klima-Bürgerrat. Warum habt ihr schon jetzt einen entsprechenden Bürgerrat ins Leben gerufen, ohne Beratungen im Bundestag zur Petition abzuwarten?

Wir haben natürlich alle mitgefiebert und sind sehr froh, dass die Petition so erfolgreich war. Aber zusammen mit den Petenten von KlimaMitbestimmung JETZT haben wir auch überlegt, wann dieser Bürgerrat Klima wirklich stattfinden muss und waren uns alle einig: Der muss noch vor den Bundestagswahlen kommen. Dazu kam noch eine Stellungnahme von Scientists for Future, die genau das gleiche gesagt haben. Nach den Anhörungen im Bundestag war schnell klar, dass zwar Interesse besteht, aber dass die aktuelle Bundesregierung bzw. der Bundestag vor den Wahlen keinen Bürgerrat mehr einberufen wird.

Also wurde es ein zivilgesellschaftlich organisierter Bürgerrat.

Genau, dabei bemühen wir uns aber auch um eine starke politische Einbindung. Wir haben alle Parteien gefragt, was ihnen am Herzen liegt für einen Bürgerrat Klima und von allen Parteien haben wir Antworten bekommen. Wir werden Ende Mai die Politik einladen, sich mit den Bürger:innen aus dem Bürgerrat direkt auszutauschen. Ziel ist es, die Ergebnisse im Herbst an die Parteien zu übergeben. Die Ergebnisse sollen im besten Fall in den Koalitionsverhandlungen für die kommende Legislaturperiode landen. Denn da gehören sie hin, um in den kommenden Jahren eine mehrheitsfähige Klimapolitik für die Bürger:innen zu gestalten.                

Für wie realistisch hältst du es, dass eure Forderungen in den politischen Prozess Eingang finden? Euch fehlt ja die politische Legitimation, anders als es in Frankeich oder in Dänemark war.

Das Spannende ist, dass wir mit dem aktuellen Wahljahr in einer ziemlich einzigartigen Situation in Deutschland sind. Jede Partei muss sich aktuell positionieren, was sie in Sachen Klimaschutz vorhat in den nächsten Jahren. Der Bürgerrat ist dabei eine Art Hilfestellung, ein Angebot an die Politik: Schaut euch an was die Bevölkerung eigentlich will und nehmt deren Empfehlungen ernst. Und deswegen halten wir es für ziemlich realistisch, dass die Politik sich das anhört und berücksichtigt. Alle demokratischen Parteien haben ohnehin gesagt, dass sie die Pariser Klimaschutzziele erreichen wollen. Dementsprechend braucht es ein Programm. Was wäre da besser als ein Programm, das von den Bürger:innen mit erarbeitet wurde?

Sehr wichtig ist es wahrscheinlich auch Öffentlichkeit herzustellen.

Absolut. Deswegen haben wir so ein großes Bündnis mit über 60 Organisationen, die das Projekt unterstützen und die mit daran arbeiten, dass es wirklich in die Öffentlichkeit geht – gerade, wenn die Ergebnisse feststehen. Da sind große Organisationen dabei, die AWO oder der deutsche Feuerwehrverband, seit kurzem auch der Olympische Sportbund. Mit den ganzen Organisationen zusammen arbeiten wir daran, dass die Politik uns zuhört.

Das hört sich nach einem sehr diversen Bündnis an, das über Organisationen aus der Klima- und Umweltpolitik hinausgeht.

Ja, uns war es wichtig, dass die Klimablase nicht überrepräsentiert ist, sondern es möglichst vielfältige Perspektiven auf den Klimaschutz gibt. In unserem Beirat sind neben Vertretern aus Umweltverbänden auch solche aus Kirchen, Sozialverbänden und der Wirtschaft dabei. Da sitzt der deutsche Mieterbund ebenso wie der Verband der Automobilindustrie (VDA) und der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Werden die nicht versuchen, ihre Interessen gegenüber den Teilnehmenden des Bürgerrats durchzusetzen?

Es können sich alle zum Prozess äußern, der VDA genauso wie der VCD. Sie dürfen Feedback geben zu den Experten, die beim Bürgerrat reden. Sie dürfen auch Vorschläge machen, aber sie bestimmen nicht das Programm und sind bei den Sitzungen des Bürgerrats Klima maximal als Zuhörer:innen dabei. Im Beirat geht es vor allem darum, sicherzustellen, dass alle Perspektiven im Bürgerrat Gehör finden. Dass die Autoindustrie als wichtiger Wirtschaftszweig mitgedacht wird, ist berechtigt, genauso wie die Stimmen von Klimabündnissen, wie der Klima-Allianz und Fridays for Future, die ebenfalls im Beirat vertreten sind und eine radikale Umkehr in unserem Wirtschaften fordern.

Damit auch der Bürgerrat selbst eine höhere Relevanz hat, sollten die Teilnehmenden im besten Fall einen repräsentativen Durchschnitt der Bevölkerung darstellen. Wie gut hat das funktioniert? In Dänemark etwa hat das nicht so gut funktioniert. Dort sind besser Gebildete doppelt so stark vertreten.

Das hat tatsächlich gut funktioniert, war aber auch mit viel Arbeit verbunden. Über eine Telefonauswahl haben wir Menschen kontaktiert. Etwa 600 Menschen haben sich bereit erklärt bei einem Bürgerrat Klima dabei zu sein. Von diesen 600 wurden dann 160 ausgewählt, die eine Art Mini-Deutschland darstellen. Wir haben fast ein Drittel Hauptschulabsolventen in Deutschland. Die in einem Bürgerrat abzubilden ist echt schwierig. Aber wir sind nahe dran. Wir bräuchten 29 Prozent und waren zum Start vom Bürgerrat nur knapp darunter. Der Klimawandel ist immer auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und daher für Menschen mit weniger Einkommen, die oft einen nicht so hohen Bildungsgrad haben, wahnsinnig wichtig. Darüber hinaus haben ein Viertel der Teilnehmenden Migrationsgeschichten, was die Verhältnisse in Deutschland gut repräsentiert.

Die ersten Sitzungen liefen bereits. Wie war dein Eindruck? Und wie geht es weiter?

In der ersten Sitzung haben sich die Teilnehmenden digital kennengelernt und erzählt, warum sie mitmachen. Es gab die ersten Vorträge, unter anderem von Stefan Rahmstorf, der allgemein zum Klimawandel referiert hat, um die Leute erstmal auf einen ähnlichen Wissenstand zu bringen. Auch Harald Welzer war zu Gast, der zum Thema Transformation gesprochen hat – also was muss sich verändern in der Gesellschaft und was bedeutet es für eine Gesellschaft sich zu verändern. Es war spannend zu sehen, wie die zufällig ausgelosten Bürger mitgemacht haben und interessiert Fragen gestellt haben. In den kommenden Wochen kümmern sich die Teilnehmenden in Kleingruppen um verschiedene Themenbereiche wie Verkehr, Wohnen und Energie und erarbeiten Empfehlungen. Diese werden schlussendlich in einem großen Plenum vorgestellt und darüber abgestimmt, ob sie Eingang in die Empfehlungen an die Politik finden.

Erschwert Corona und der Umstand, dass es lediglich Online-Sitzungen gibt, die Arbeit? Ich erinnere mich an den französischen Bürgerrat, wo der Rat irgendwann Online stattfinden musste und dann in ein Hybrid-Modell übergegangen ist, was vieles durcheinander geworfen hat.

Das gute ist, dass wir schon einen Testlauf hatten. Es gab einen Bürgerrat zum Thema Deutschlands Rolle in der Welt, der dieses Jahr komplett digital getagt hat. Das sind die gleichen Institute, die jetzt auch den Bürgerrat Klima durchführen. Insofern hatten wir einen organisatorischen Vorsprung und konnten das Ganze in der Kürze der Zeit umsetzen. Wir haben eine große Online-Plattform, wo die Leute sich austauschen können. Die ist wie eine Art internes Facebook. Bei den ganzen Videokonferenzen merkt man schon, dass die Menschen ein Jahr Corona hinter sich haben und gut mit den Online-Formaten klarkommen. Im Übrigen stellen wir auch Laptops zur Verfügung, wenn Zuhause kein passendes Endgerät zur Verfügung steht. Auch für Kinderbetreuung sorgen wir, wenn nötig. Aber klar wäre es schöner, wenn das Ganze in Persona stattfinden würde.

Werden sich die Teilnehmenden denn nochmal in Persona treffen?  

Das wäre schön. Am 23. Juni werden die Ergebnisse abgestimmt und dann der Öffentlichkeit präsentiert. Bis dahin wird das wahrscheinlich nichts. Aber nach dem Bürgerrat wird ein Bürgergutachten ausgearbeitet, wo ausführlich und begründet die jeweiligen Empfehlungen erklärt werden. Das wird voraussichtlich erst zum Herbst fertig und den politisch Verantwortlichen übergeben. Da besteht natürlich die Hoffnung, dass wir das in Persona machen können. Abgesehen davon gibt es viel Bestreben innerhalb der Teilnehmenden sich zu treffen. Sie organisieren das unter sich, wenn sie zum Beispiel in der Nähe voneinander wohnen und mal zusammen spazieren gehen.

Du bist auch Teil von Klimaneustart Berlin. Wie verlaufen da aktuell die Verhandlungen mit Senat und Abgeordnetenhaus für einen Berliner Klimabürgerrat?

Letzte Woche Donnerstag hat der Umweltausschuss des Abgeordnetenhauses debattiert und tatsächlich haben sich alle Koalitionspartner dafür ausgesprochen, dass ein Klimabürger:innenrat für Berlin kommen soll. Das soll am heutigen Donnerstag im Abgeordnetenhaus bestätigt werden.

Damit wird der Bürgerrat von der Politik legitimiert. Das erhöht den Druck, oder?

Natürlich bietet ein von der Politik einberufener Bürgerrat Vorteile und eine gewisse Verpflichtung in Bezug auf die erarbeiteten Vorschläge. Aber wie wir jetzt in Frankreich sehen, heißt das noch lange nicht, dass alle Maßnahmen auch umgesetzt werden. Im Bestfall ist es so, dass ein Bürgerrat mit einem Referendum verbunden ist (wie in Irland der Fall). Dort könnte dann ganz Berlin abstimmen über die Vorschläge der zufällig ausgelosten Berlinerinnen und Berliner. Aber grundsätzlich muss sich auch ein von der Politik einberufener Bürgerrat nicht an deren Empfehlungen halten. Bürgerräte sollen eine Hilfestellung für die Politik sein, gute Entscheidungen im Sinne der Bevölkerung zu treffen. Der Vorteil bei einem zivilgesellschaftlich organisierten Bürgerrat ist wiederum, dass man den Druck von außen deutlich höher halten kann, weil, wie beim deutschlandweiten Bürgerrat Klima ein großes Bündnis dahintersteht. Auch ein von der Politik einberufener Bürgerrat muss von der Zivilgesellschaft genau beobachtet werden.

Das Interview führte Manuel Först


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