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Nachgefragt
16. Februar 2016

„Die Bürgerdividende ist eine gute Idee“

Arge Netz, ein Verbund aus 300 Anlagenbetreibern, steuert ein virtuelles Kraftwerk aus vielen kleinen Ökostromanlagen im nordfriesischen Breklum. Derzeit verfügt es über 1.200 Megawatt Leistung. Geschäftsführer Martin Grundmann spricht über Netzausbau, Akzeptanz für Stromtrassen und Bürgerbeteiligung.

Martin Grundmann (links) und Jens Jessen in der Leitwarte bei Arge Netz. (Foto: Niels H. Petersen)
Martin Grundmann (links) und Jens Jessen in der Leitwarte bei Arge Netz. (Foto: Niels H. Petersen)

16.02.2016 – Zudem bilanziert Grundmann die Ergebnisse der ersten drei Ausschreibungsrunden für Solarparks auf der Freifläche. Mit von der Partie ist der Arge-Netz-Gesellschafter Jess Jessen, der Photovoltaik- und Windanlagen betreibt. Er war einer der Gewinner in der ersten Ausschreibungsrunde.

Herr Grundmann, Genossenschaften kritisieren, dass das Ausschreibungsmodel für Photovoltaikanlagen auf der Freifläche die Beteiligung von Bürgern hemmt. Wie bewerten Sie die Erfahrungen der ersten drei Solarausschreibungen nach Vorgaben der EU?

Martin Grundmann: Das Gros der gewonnenen Ausschreibungsmenge deckt nur wenige Unternehmen ab. Das Kostenziel der Regierung ist mit der Vergütung von 8 bis 9 Cent pro Kilowattstunde sicher erreicht worden. Dennoch können die drei Ausschreibungsrunden nicht als Erfolg bewertet werden. Denn gerade bei Photovoltaikprojekten es ist wichtig, dass sich Bürger beteiligen können. Nur eine direkte Beteiligung erhöht auch die Akzeptanz für die Energiewende und den weiteren Ökostromausbau.

Jess Jessen: Die gewünschte Vielfalt bei den Teilnehmern der Ausschreibungen war nicht ausreichend vorhanden. Zudem wurde das Ausbauziel der Bundesregierung von mindestens 2,4 Gigawatt pro Jahr deutlich verfehlt. Und das, obwohl Photovoltaik jedes Jahr wirtschaftlicher wird. Den Zubau einfach abzubremsen, macht wenig Sinn. Die Regierung muss sich die Frage stellen, ob die Energiewende auf dem richtigen Weg ist, wenn sich Bürger aus Kostengründen nicht mehr beteiligen können. Umgekehrt fragen sich die Bürger, ob es Sinn macht, für ein bis drei Prozent Rendite in eine unternehmerische Beteiligung einzusteigen.

Hinzu kommen die Importzölle, die chinesischen Solarmodule für die Projekte in Deutschland verteuern und die Rendite schmälern.

Grundmann: Richtig. Der deutsche Steuerzahler bezahlt dafür, dass eine Zukunftstechnologie wie die Photovoltaik weltweit den Durchbruch schafft. Im Gegenzug profitiert er nicht einmal von den sinkenden Modulpreisen – das ist absurd. Die Zölle gehören abgeschafft.

Wie können sich Genossenschaften künftig an der Energiewende beteiligen?

Grundmann: Die Ausschreibungen müssen intelligenter werden. Bis zum Start der drei Pilotprojekte für Ausschreibungen war es üblich, dass auch vermehrt Bürgerinitiativen Solarparks gebaut haben. Genau diese Bürgersolarparks nun zu einer tolerierten Ausnahme zu machen, führt in die falsche Richtung. Die Befreiung von Anlagen bis zur Schwelle von einem Megawatt bei Projekten fängt nicht alles auf. Wenn es zu teuer ist, dass sich Bürger beteiligen, weil beispielsweise Prospekte gedruckt werden müssen, stimmt etwas nicht. Dann muss das Design einer Ausschreibung überdacht werden. Eine mögliche Lösung: Diese zusätzlichen Kosten werden als separater Block eingepreist und von allen Teilnehmern getragen.

Gibt es Bedenken für die geplante Übertragung des Ausschreibungsmodels auf Windparks?

Grundmann: Die gibt es. Beispielsweise gilt die Deminimis-Regel für Anlagen bis zu einem Megawatt für alle Technologien, also auch für Windanlagen. Einige fürchten deshalb, dass wieder kleine Anlagen mit genau dieser Leistung auf den Markt kommen. Dadurch steigt aber wieder der Flächenbedarf – und das könnte wiederum die Akzeptanz für Windparks schwächen. Aus unserer Sicht macht eine Deminimis-Regelung im EEG 2016 nur dann Sinn, wenn sie analog zu den Kriterien der EU-Beihilfeleitlinien erfolgt: Hier liegt der Grenzwert für Beihilfen ohne Ausschreibung für eine installierte Erzeugungskapazität bei 6 Megawatt oder 6 Erzeugungseinheiten. Die Befreiung von der wettbewerblichen Ausschreibung liegt nach der EU-Kommission daher bei einer Höchstgrenze von insgesamt 18 Megawatt installierter Leistung.

Wie schätzen Sie die Akzeptanz für den Netzausbau unter den Bürgern in Norddeutschland ein?

Grundmann: Die Akzeptanz für Trassen an der Nordseewestküste war laut Umfragen relativ hoch. Aber man muss die Bürger auch beteiligen. Eine Bürgerdividende, die von einer staatlichen Behörde ausgeschüttet wird, ist im Prinzip eine gute Idee. Der ehemalige Umweltminister Peter Altmaier hat das seinerzeit ins Spiel gebracht. Der bei uns zuständige Übertragungsnetzbetreiber ist Tennet. Bei der geplanten Westküstentrasse des Unternehmens wurde ein Mischkonzept aus Fremd- und Eigenkapital beworben. Das war so komplex, dass es für Bürger nicht verständlich war. Fazit: Der Prozess war gut, aber die regulatorischen Vorgaben waren zu hoch.

Jessen: Ein Projekt, das aufgrund fehlender Akzeptanz nicht weitergebaut wird, kostet jeden Tag zusätzliches Geld. Deshalb sollte Akzeptanz oder fehlende Akzeptanz monetär bewertet werden und direkt mit in die Kalkulation einfließen.

Ist der geplante Netzausbau nötig?

Grundmann: Auf der Ebene der Übertragungsnetze ist der Netzausbau unvermeidlich. Wir werden ein europäisches Netz bekommen, das die einzelnen nationalen Märkte miteinander verbindet. In Deutschland gibt es allein durch die Offshore-Windparks einen neuen Transportbedarf. Diese Kabel sind natürlich sichtbar. Bei dem Trassendesign gibt es mehrere Pilotprojekte, die sich mit Innovation im Rahmen der erlaubten Vorgaben beschäftigen.

Jessen: Ein eng vermaschtes Stromnetz ist heute immer noch der beste Speicher. Man muss aber darauf achten, dass nicht zu viele Netzkilometer für fossile Kraftwerke geplant werden, die nach 2020 oder 2030 nicht mehr am Netz sind und zurückgebaut werden müssen.

Die HGÜ-Trassen halten Sie nicht für überdimensioniert?

Grundmann: Wenn man etwas kritisieren will, muss man sich die Annahmen des Netzausbauplans für die geplanten fossilen Kraftwerke und Ökostromanlagen anschauen. Es gibt unterschiedliche Szenarien, und es werden sicher nicht alle Möglichkeiten in Betracht gezogen und durchgerechnet. Vor diesem Hintergrund ist es ebenso wichtig, dass die Sektoren enger verzahnt werden. Überschüssiger Ökostrom braucht künftig mehr Wärmesenken: Prozesswärme für die Industrie und Mobilität müssen mehr zusammengedacht werden. Letztlich benötigen wir daher eine Doppelstrategie: Erstens eine weitere Beschleunigung beim Ausbau der Stromnetze. Und zweitens, müssen Mengen, die das Stromnetz nicht aufnehmen kann, für sogenannte Power-to-X-Lösungen auch regional verwendet werden können.

Welche Dienstleistungen können Erneuerbare für das Stromsystem erbringen. Wie sieht das derzeit in der Praxis aus?

Jessen: Windparks und auch Photovoltaikparks können ohne weiteres Spannungshaltung, Blind- sowie Wirkleistung bereitstellen. Es gibt ein Pilotprojekt des Netzbetreibers 50 Hertz, bei dem Ökostromanlagen identische Systemdienstleistungen erbringen wie konventionelle Kraftwerke. Technisch ist das bereits kein Problem mehr, nur die Rahmenbedingungen dafür müssen noch geschaffen werden. Ein weiteres Beispiel: Die Software der Wechselrichter in den Solarparks ist seit 2014 dafür ausgelegt, auch nachts Blindleistung bereitzustellen. Diese Stütze fürs Netz stellen sie mit Hilfe eines kleinen zusätzlichen Stroms rund um die Uhr bereit. Das Problem ist nur, dass der Gesetzgeber diese Systemdienstleistung nicht vergütet.

Was muss passieren, damit Ökostromanlagen auch Regelenergie am Markt anbieten?

Grundmann: Entscheidend dafür ist der regulatorische Rahmen. Beim Bieterverfahren sind die Fristen noch zu lang und die Leistungen zu groß. Dort müssen noch Hürden abgebaut werden, nur so können auch kleinere Anlagen mit weniger Leistung am Markt teilnehmen. Das Marktdesign muss den Erneuerbaren noch angepasst werden. Wir brauchen auch kurzfristigere Märkte im Regelenergiemarkt. Andere Länder wie Dänemark und deren Übertragungsnetzbetreiber machen das schon.

Sie betreiben ein virtuelles Ökostrom-Kraftwerk in Breklum. Was leistet es für die Versorgungssicherheit?

Grundmann: Das Erneuerbare Kraftwerk wird wie ein herkömmliches Großkraftwerk gefahren. Die Anlagen werden also, je nach Bedarf, dazu- und abgeschaltet. An unserem Hauptsitz in Breklum steuern wir die Anlagen unserer Gesellschafter mit einer Leistung von 1.200 Megawatt und bündeln die Daten. Diese stellt eine Software den Netzbetreibern und Direktvermarktern zur Verfügung. Der Clou dabei: Die Daten werden in Echtzeit abgebildet. Alle drei Sekunden werden sie aktualisiert. Künftig wird das Standard sein: Sogenannte Aggregatoren bündeln mehrere Ökostromanlagen und bilden sie zusammen ab.

Das Interview führte Niels Hendrik Petersen.


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