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Nachgefragt
20. September 2018

„Es genügt nicht ein paar Gigawatt Kohlekraft aus dem System zu nehmen“

Anstatt über ein mögliches Enddatum und die Herausnahme einiger Gigawatt Kohlekraft aus den Netzen zu diskutieren, sollte die Kohlekommission sich verstärkt um ein CO2-Budget und ein glaubwürdiges CO2-Preissignal kümmern, findet Ottmar Edenhofer, einer der weltweit führenden Klimaökonomen.

Professor Ottmar Edenhofer, designierter Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

Professor Ottmar Edenhofer, designierter Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
Profilbild von Ottmar Edenhofer
Foto: Photothek

20.09.2018 – Ottmar Edenhofer beschäftigt sich in seinen Forschungsarbeiten vor allem mit ökonomischen Fragen des Klimawandels und wie Wirtschaftswachstum, nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz in Einklang zu bringen sind.

Herr Edenhofer, Sie werden in Kürze gemeinsam mit Johan Rockström die Leitung des PIK übernehmen. Wie wollen Sie die Arbeit des Instituts in Zukunft ausrichten?

Wir verbinden das naturwissenschaftliche Konzept der Planetaren Belastungsgrenzen des Erdsystems mit dem sozialwissenschaftlichen Konzept der globalen Gemeinschaftsgüter und bringen damit Risikoforschung und Lösungsforschung am PIK künftig noch enger zusammen, von global bis lokal. Diese Kombination hat es so noch nie gegeben. Hierfür werden wir  die Arbeit des Instituts nicht umkrempeln, sondern erweitern. Dabei werden wir uns sehr stark um neue Methoden bemühen, vor allem um Artificial Intelligence – also die Anwendung künstlicher Intelligenz auf Big Data in der Klimafolgenforschung. Thematisch werden wir uns stärker mit Klimawandel und Ungleichheit beschäftigen. Weiter wichtig bleiben die sogenannten Tipping Points – die Kippelemente im Erdsystem, aber auch in sozialen und ökonomischen Systemen.

Welche weiteren sozialen und ökonomischen Themen stehen auf der Agenda?

Migration und Sicherheit werden uns beschäftigen, aber auch die Analyse von Kapitalmärkten und wie diese auf Klimapolitik reagieren. Public Health wird ein Thema, also die Auswirkung von Klimawandel auf die Gesundheit. Wir wissen heute schon viel über die direkten Folgen des Klimawandels – nun geht es uns darum, wie diese Klimafolgen auf Gesellschaften wirken, wie die Menschen damit umgehen.  

Ein wichtiges soziales und ökonomisches Thema ist aktuell die Arbeit der Kohlekommission. Wie schätzen Sie deren Arbeit ein, und glauben Sie an einen zeitnahen Kohleausstieg?

Es ist sehr schwer Prognosen abzugeben, wie die Kohlekommission entscheiden wird. Klar ist aber: Es genügt nicht, dass man jetzt einfach ein paar Gigawatt – seien es zwei drei oder sieben Gigawatt – Kohlekraftwerke aus dem System nimmt. Denn wenn wir schmutzige Braunkohlekraftwerke stilllegen würden, dann würde der Strompreis steigen. Die Steinkohlekraftwerke, die jetzt in ihrer Kapazität unausgelastet sind, würden auf volle Kapazität fahren und die Emissionen wiederum steigen. Somit hätten wir klimapolitisch nicht viel gewonnen. Das muss vermieden werden. Deswegen sollte die Kohlekommission sich nicht nur mit der Frage beschäftigen dürfen, wie viel Gigawatt sie aus dem Netz nimmt, oder was das vermeintliche Enddatum der Kohle ist.

Sondern?

Am Ende des Tages geht es nicht um das Enddatum, sondern es geht um das gesamte CO2-BudgetAm Ende des Tages geht es nicht um das Enddatum, sondern es geht um das gesamte CO2-Budget – wieviel wir also noch in der Atmosphäre ablagern dürfen, wenn wir die Klimaziele einhalten und dir Risiken begrenzen wollen. Das ist eigentlich die Kernfrage: wieviel Ausstoß von Treibhausgasen kann man bestimmten Kohlekraftwerken bis zu einem bestimmten Zeitpunkt noch gewähren. Das ist einer der ganz großen Aufgaben, die die Kohlekommission hat. Sie muss weg von der Gigawatt-Vorstellung, hin zu einer des CO2-Budgets, wenn sie wirklich zur Klimastabilisierung beitragen will. Und ich glaube die Kohlekommission wird lernen müssen, dass sie den Kohleausstieg nicht so gestalten kann, wie sie den Atomausstieg gestaltet hat.

Worin besteht der Unterschied?

Bei dem Atomausstieg ging es darum, dass gefährliche Technologie aus dem Netz genommen werden sollte – in einem bestimmten Stilllegungspfad – aber so wird das eben nicht funktionieren. Wir wollen ja nicht aus Prinzip aus der Kohle aussteigen, sondern wir wollen, dass die Emissionen sinken. Und das wird nur gehen, wenn A ein verbleibendes Kohlenstoffbudget für die Kohlekraftwerke festgelegt wird, und B wenn die Kohlekommission sich darum kümmert, dass das eingebettet wird in ein glaubwürdiges CO2-Preis Signal.

Könnte hier das europäische Emissionshandelssystem ETS greifen, welches sich aktuell zu erholen scheint?

Im Augenblick haben wir ein CO2-Preissignal in Europa, was sehr ermutigend ist.Im Augenblick haben wir in der Tat ein CO2-Preissignal in Europa, was sehr ermutigend ist. Aber das ist aus meiner Sicht kein stabiles Signal, sondern der Preis kann auch wieder verfallen. Was wir jetzt bräuchten, ist ein europäischer Mindestpreis. Und wenn der europäische Mindestpreis für ganz Europa nicht funktioniert, dann muss man das eben in einer kleinen Koalition von Staaten versuchen. Da hat die Kohlekommission aus meiner Sicht die ganz entscheidende Aufgabe, nicht nur das Budget festzulegen, sondern sich auch um eine CO2-Bepreisung zu kümmern – eine gewaltige Aufgabe. Und ich bin mir nicht sicher, ob die Kohlekommission das in der ganzen Schärfe schon erkannt hat.

Wie sehen Sie die Chancen, dass über Deutschland und Europa hinaus ein weltweites CO2-Bepreisungssystem installiert werden könnte?

Zunächst einmal haben wir immerhin eine multilaterale CO2-Bepreisung in Europa. Das ist schon einmal ein großer Fortschritt. Den Emissionshandel sollte man jetzt zukunftsfest machen, mit einem Mindestpreis für CO2, das würde der Wirtschaft die Sicherheit geben, die sie für Investitionsentscheidungen braucht. Und dann geht es um die Frage, kann Europa sich koordinieren mit anderen Ländern wie China, Indien und auch kleineren Ländern. Das ist eine Riesenaufgabe. Das ist ein Thema der internationalen Klimaverhandlungen. Das Bewusstsein wächst, die Bereitschaft darüber nachzudenken wächst. Der Weg ist aber noch sehr lang. Was ich damit sagen will, es geht nicht darum zu hoffen, dass jetzt morgen der weltweite CO2-Preis vom Himmel fällt, sondern es geht darum, dass wir schrittweise über Europa hinaus andere Länder mitnehmen – China mitnehmen, Indien mitnehmen –, um zu solchen CO2-Preisen zu kommen.

Im Gegensatz zu Deutschland scheint Europa den Klimaschutz ernsthaft anzugehen.

wenn Deutschland 2030 die Klimaziele nicht erreichen sollte, dann müsste Deutschland sogar Strafzahlungen an Europa leistenJa, man muss sagen, dass die Klimapolitik und die Energiepolitik in Europa ziemlich angezogen haben. Es hat die Erneuerbaren- und Energieeffizienz-Direktive gegeben. Es gab die Emissionshandelsreform, die dazu geführt hat, dass man die Überschussmengen rausnimmt. Das sind schon ganz ordentliche politische Maßnahmen gewesen. Das Interessante ist: wenn Deutschland 2030 die Klimaziele nicht erreichen sollte, dann müsste Deutschland sogar Strafzahlungen an Europa leisten. Das muss man sich mal vorstellen. Im Augenblick ist nicht Deutschland der Vorreiter, sondern im Augenblick ist es die Europäische Union.

Das Interview führte Manuel Först


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