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Nachgefragt
16. November 2021

„Ich denke, der Kohleausstieg ist machbar für die Mongolei“

Die Mongolei ist reich an Bodenschätzen. Mit dem Kohleexport werden viele staatliche Infrastrukturprojekte finanziert. Der Ausbau Erneuerbarer Energien kommt aber nur langsam voran. Galtaikhuu Galsan erzählt im Interview, wie er die Zukunft seines Landes sieht.

Galtaikhuu Galsan ist Tourismusunternehmer. Seine Heimat ist das Altaigebirge im Westen der Mongolei. Als Vertreter der Uriankhai Tuwa engagiert er sich für die Rechte von Minderheiten. Außerdem leitet er die Galsan Tschinag Stiftung, die er mit seinem Vater zusammen gegründet hat.

Galtaikhuu Galsan ist Tourismusunternehmer. Seine Heimat ist das Altaigebirge im Westen der Mongolei. Als Vertreter der Uriankhai Tuwa engagiert er sich für die Rechte von Minderheiten. Außerdem leitet er die Galsan Tschinag Stiftung, die er mit seinem Vater zusammen gegründet hat.
Foto: Galtaikhuu Galsan

Galtai, hat sich der Bergbau in der Mongolei in den letzten Jahren intensiviert?

Die Mongolei ist ein großes Land mit nur wenigen Einwohnern. Nach 1990 gelang uns der friedliche Übergang von einem kommunistischen Staat hin zu einer Demokratie. Mit der neuen Zeit erlebte der Bergbau einen Aufschwung. Es wurden Bodenschätze entdeckt und neue Minen eröffnet. Bis zur politischen Wende war die Mongolei nur mäßig im Bergbau aktiv. Es gab einige gemeinsame Minen mit Russland. Jetzt fördert beispielsweise der international tätige Konzern Rio Tinto in Ojuu Tolgoi Kupfer. Dort ist das derzeit größte Kupfer-Abbaugebiet. Rio Tinto arbeitet dort seit ungefähr 12 Jahren auf Basis eines Vertrages mit der mongolischen Regierung.

Wird heute auch mehr Kohle gefördert als früher?

Die Mongolei war immer ein Land mit Braunkohleförderung. Allerdings wird eigentlich nur die Hauptstadtregion mit Strom und Wärme aus Kohle versorgt. Die im Land lebenden Nomaden sind unabhängig. Sie heizen mit getrocknetem Schaf- und Ziegen-Dung, eine Stromversorgung von außen haben sie nicht, sie erzeugen Strom immer öfter mit kleinen Solarpanelen selbst. Im Süden, an der Grenze zu China, wurde im letzten Jahrzehnt der Abbau von Kohle intensiviert. Diese Kohle geht vor allem nach China, in die dortigen Kraftwerke. Besonders seit China keine Kohle mehr aus Australien importiert – das war eine politische Entscheidung – wurde die mongolische Kohle für China wichtiger.

Wie sieht die Energieversorgung in Ulaanbaatar aus?

In Ulaanbaatar mit anderthalb Millionen Menschen gibt es vier Kohlekraftwerke. Sie übernehmen auch die Wärmeversorgung im Winter. Es gibt noch aus Sowjetzeiten ein Fernwärmenetz, allerdings ist es inzwischen alt und viel Wärme geht verloren. Fast 70 Prozent der Einwohner leben im Außenbereich und sind nicht an das Fernwärmenetz angeschlossen. Sie heizen selbst – bis vor wenigen Jahren mit Rohbraunkohle, inzwischen mit umweltfreundlicheren Briketts. Der starke Smog von früher gehört der Vergangenheit an, mancherorts konnte man nicht mal 100 Meter weit schauen. Doch weiterhin wird viel Braunkohle zum Heizen verbrannt.

Was passiert mit den Einnahmen aus dem Kohleexport, profitieren die Menschen davon?

Das Geld aus dem Kohleexport geht in die öffentliche Infrastruktur, den Bau von Schulen, Kitas und Krankenhäusern und andere Projekte. Das passiert auch tatsächlich und ist sichtbar.

Was würde ein Kohleausstieg für die Mongolei bedeuten? Ist er überhaupt vorstellbar?

Ich denke ein Kohleausstieg ist denkbar, obwohl der Kohleexport die Staatseinnahmen dominiert. Er wäre sogar sehr gut. Das wäre unser Beitrag zum Klimaschutz. Erneuerbare Energien sind für die Mongolei eine realistische Alternative. Als Angela Merkel bei uns war, war ich Teilnehmer eines Treffens mit ihr. Als ich meine Kritik an der starken Zunahme des Bergbaus äußerte, war das beinahe ein Affront. Besonders weil die Kanzlerin in die Mongolei gekommen war, um ein Abkommen über seltene Erden zu unterschreiben.

Was hast du Angela Merkel gesagt?

Ich habe ihr von unserer Naturreligion erzählt: Alles, was lebt, hat einen Geist, was nicht lebt, hat einen Besitzer. Also auch Berge und Flüsse haben einen Eigentümer, den man bitten muss, bevor man sich ans Graben macht. Wir sehen uns als Teil der Natur und beten darum, dass es auch den Flüssen, Wiesen, Bergen gut geht. Wir ehren die Natur. Deshalb ist es für mich falsch, wie wir mit dem Bergbau, der Umwelt, der Welt umgehen. Wir rotten so vieles aus, die Bodenschätze, Gold, Silber, Kupfer, Kohle. Die Kanzlerin entgegnete – Wie stellen Sie sich die Zukunft der Mongolei vor? Woher soll das Geld für Straßen und Schulen kommen? Meine Antwort darauf ist einfach. Wir haben 70 Millionen Stück Vieh und drei Millionen Einwohner. Verhungern werden wir nicht, wenn wir den Bergbau einstellen. Aber wenn wir weiter die Bodenschätze ausrauben und damit Umweltschäden verursachen und unsere Landschaft zur Mondlandschaft machen, werden wir nichts mehr haben.

Und wie ist deine Vision von der Zukunft deines Landes?

Wir sagen: wenn du einen Menschen kennenlernen möchtest, schau auf seine Freunde. Wenn du ein Land kennenlernen möchtest, schau nach dem Wasser. Wenn das Wasser sauber ist, ist das Land gesund. Wenn es uns gelingt, unsere Natur gesund und rein zu halten, könnte die Mongolei ein Naturschutzgebiet für die Welt werden. Die Menschen könnten kommen und die unberührte Natur erleben. Der Tourismus wäre dann für uns ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, neben den Naturprodukten aus der Viehzucht. Kann sein, dass wir weniger Einnahmen haben als aus dem Bergbau, aber die Ressourcen sind endlich und mit dem Bergbau zerstören wir die Natur. Deshalb sehe ich die Zukunft der Mongolei ohne Bergbau viel besser. Wir könnten mit einer naturfreundlichen Politik ein Beispiel für andere Länder sein.

Die Mongolei hat viel Sonne und Wind, das sind gute Voraussetzungen für Erneuerbare Energien. Bisher gibt es aber nur wenige installierte Anlagen, welche Erklärung gibt es dafür?

Ich denke, ein Grund ist unsere instabile politische Führung. Wir hatten in der letzten Legislaturperiode bereits mehrere Regierungen. Deshalb sind viele Vorhaben nicht vorangekommen. Die Erneuerbaren Energien müssten vom Staat gefördert werden, was derzeit nur in kleinem Umfang geschieht. Die bisher in Betrieb genommenen Anlagen wurden individuell vertraglich subventioniert. Es gibt kein Gesetz, das für alle gilt. Es gibt keine Marktregeln für Strom aus Erneuerbaren Energien. Wer jetzt eine Solaranlage baut, kann den Strom nur selbst verbrauchen. Ein gesetzlicher Rahmen wäre wirklich wichtig. Hier in Ulaanbaatar könnten verschiedene Erzeugungsanlagen Strom und Wärme bereitstellen und die Kohlekraftwerke ersetzen. Die Hälfte der Bevölkerung wäre dann erneuerbar versorgt, die Nomaden im Land nutzen keine Kohlekraft.

Welche Aktivitäten gibt es von der Regierung?

Man spricht jetzt von neuen Wasserkraftwerken, bei Wind und Solar passiert leider nicht viel. Das letzte halbe Jahrhundert gab es nur die preiswerte Kohle, der Leidensdruck ist deshalb nicht so hoch und die Erfahrung mit dem Neuen fehlt. Es gibt über 30 Parteien in der Mongolei. Jetzt regiert die postkommunistische Partei mit großer Mehrheit. Die Demokraten haben in der letzten Wahl verloren. Eine neue junge Partei hat einen Sitz im Parlament gewonnen. Die jungen Leute versuchen, frischen Wind in die Politik zu bringen, haben aber wenig Chancen, die Strukturen sind verfestigt. Die grüne Partei hat keinen Sitz im Parlament errungen. Sie war mit dem Ziel angetreten, dass jede Familie ein staatlich subventioniertes Solarmodul erhält.

Gibt es eine Umweltbewegung in der Mongolei?

Ja, es gibt Bürgerbewegungen. Gerade stehen eine ehemalige Abgeordnete und ein Sänger auf dem Hauptplatz in Ulaanbaatar und prangern die Armut in der Stadt an. Vor zwei Jahren gab es Demonstrationen von Müttern, die gegen die Luftverschmutzung protestiert haben. Sie forderten für sich und ihre Kinder das Recht auf saubere Luft ein. Der Smog in Ulaanbaatar wirkte sich besonders auf die Kinder aus. Auch Proteste gegen bestimmte Bergbauvorhaben gibt es. Wird eine Bergbaulizenz zu nah an einem Fluss oder einer heiligen Stätte vergeben, regt sich regelmäßig Widerstand. Diese Proteste können Erfolge feiern. Tausende Lizenzen wurden auf diesem Weg für ungültig erklärt. Und in Ulaanbaatar darf mittlerweile keine Rohbraunkohle mehr verbrannt worden. So konnten wir viel Natur retten.

Welche Probleme gibt es denn durch den Bergbau?

So sorgsam sind die Unternehmen nicht. Es gibt immer wieder Berichte über Verschmutzungen und andere Probleme. Außerdem beeinträchtigen die Minen die Weideflächen und die Möglichkeit der Nomaden, mit ihren Tieren durchs Land zu ziehen. Es gibt einen Fluss Namens Orhon, der als längster Fluss der Mongolei weiter nach Russland zum Baikalsee fließt. Vor sieben acht Jahren wurde er so stark verschmutzt, dass dort keine Tiere mehr lebten und die Menschen nicht mehr wagten, das Wasser zu trinken. In der Nähe gab es mehrere Goldminen, aus einem Abwasserbecken dieser Minen lief Wasser in den Fluss. Das Wasser in dem Becken war zuvor zum Goldwaschen benutzt worden und enthielt Chemikalien.

Welche Arbeit leistet die Galsan Tschinag-Stiftung?

Es gibt verschiedene Aktivitäten. Aber die größte ist wohl unsere Initiative zum Bäume pflanzen. Inzwischen haben wir unser Ziel erreicht und eine Million Bäume gepflanzt. Zwei Vereine aus Deutschland und der Schweiz, der Förderverein Mongolei und Open Hearts for Mongolia, haben uns dabei sehr unterstützt. Als wir 2009 anfingen, haben uns die Menschen belächelt und gefragt, wozu soll das gut sein. Wir haben immer und immer wieder erklärt, welchen Nutzen Bäume haben, denn von einem Baum kann man wirklich nur Gutes erwarten. Auf der geistigen Ebene stellt er eine Verbindung zwischen Himmel und Erde dar. Er bindet Feinstaub, spendet Schatten, bietet Windschutz und anderen Lebewesen einen Lebensraum. Wir Mongolen sind Nomaden, unser Allgemeinwissen über Pflanzen ist im Vergleich zu den europäischen Völkern gering.

Wie sah die konkrete Arbeit aus?

Wir sind mit den Bäumen in Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und Kasernen gegangen, haben gepflanzt und erklärt. Dann kam das Verteidigungsministerium und wollte mit uns zusammenarbeiten und die Kasernen begrünen lassen. Somit haben wir in zwölf Jahren viele Organisationen und Menschen als Baumfreunde gewonnen. Vor zehn Jahren hat der mongolische Präsident das Projekt unter seine Schirmherrschaft gestellt. Jetzt gibt es zwei Tage im Jahr, die zum Baumpflanztag erklärt wurden. Ganz aktuell hat der Präsident auf der Klimakonferenz in Glasgow angekündigt, in den nächsten zehn Jahren eine Milliarde Bäume pflanzen zu wollen.

Eine Milliarde Bäume – wird das nicht die Landschaft der Mongolei verändern?

Früher waren knapp 13 Prozent des Landes bewaldet, vor allem im Norden. Jetzt sind es nur noch sieben Prozent. Die Wälder wurden abgeholzt, das Holz exportiert oder für Eisenbahnschwellen und als Bauholz im Bergbau verwendet. Deshalb ist für uns die Wiederaufforstung wichtig. Eine Milliarde Bäume sind nicht zu viel und unser Ziel ist es, bis zu neun Prozent des Landes aufzuforsten. 

Ein Projekt wendet sich auch an die Nomaden…

Ja. Wir versuchen, die Menge der Tiere pro Nomadenfamilie zu reduzieren, die Anzahl beispielsweise von 500 auf 200 zu verringern. Diese 200 Tiere könnten der Familie trotzdem ausreichend Einkommen sichern, wenn sich die Art der Haltung verändert und der Vertrieb der Wolle nicht über viele Zwischenhändler läuft, sondern direkt mit Abnehmern in Europa zusammengearbeitet wird. Das versuchen wir gerade in einem Pilotprojekt mit Open Hearts for Mongolia auf die Beine zu stellen. Für die Nomaden wäre das eine echte Hilfe, sie hätten weniger Arbeit, bräuchten weniger Weideland und die Weiden hätten mehr Ruhephasen, um sich zu regenerieren. Gerade die einfachsten Menschen, wie die Nomaden in unserem Land, die so wenig Emissionen verursachen und so umweltfreundlich leben, werden von den Klimaveränderungen am härtesten getroffen. Schneestürme und bittere Kälte, Dürreperioden, kein Regen im Frühling, Schnee und Kälte im Spätsommer – der daraus resultierende Mangel an Futter bedroht ihre Existenzgrundlage, die Viehwirtschaft. Die Menschen leben in und von der Natur, sie können ihr nicht ausweichen. Menschen, die in festen Häusern leben, merken davon wenig.

Das Gespräch führte Petra Franke.


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