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Nachgefragt
09. November 2016

Kosten für Atomprojekte explodieren

Deutschland hat den Ausstieg aus der Kernenergie bereits besiegelt. Ende November entscheiden nun auch die Schweizer über die Zukunft ihrer Atommeiler. Nicht die mangelnde Akzeptanz werde der Kerntechnik das das Rückgrat brechen, sondern die enormen Kosten, sagt der Risikoforscher Ortwin Renn.

Professor Ortwin Renn ist wissenschaftlicher Direktor am IASS in Potsdam. (Foto: Acatec)
Professor Ortwin Renn ist wissenschaftlicher Direktor am IASS in Potsdam. (Foto: Acatec)

09.11.2016 – Professor Ortwin Renn ist seit Februar 2016 wissenschaftlicher Direktor am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. Zudem war er Gründungsdirektor des Zentrums für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung an der Universität Stuttgart und er sitzt im Präsidium der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (Acatech).

Herr Professor Renn, steht die Atomenergie weltweit betrachtet vor dem Aus oder vor einer Renaissance? Gibt es einen eindeutigen Trend?

Nein, eindeutig ist der Trend nicht. Einige Länder wie Großbritannien und China wollen weiterhin auf Atomenergie setzen, andere vor allem nordeuropäische Länder wollen dagegen endgültig Abschied von der Atomenergie nehmen. Viele andere Länder liegen jedoch dazwischen: Neue Kernkraftwerke sind nicht geplant, aber auch nicht verboten. Meist werden die bestehenden Reaktoren noch bis zum Ende der Laufzeit weiterbetrieben.

Die Schweizer Nachbarn werden am 27. November über einen Ausstieg aus der Atomenergie abstimmen. Die Briten bauen sogar zwei neue Reaktoren am Kernkraftwerk Hinkley Point. Warum akzeptieren die Insulaner den Neubau?

Ob die Anwohner hier nicht auch Protest anmelden werden, ist noch unklar. Aber die englische Politik hat aus Fukushima eine andere Lehre gezogen als wir in Deutschland: Trotz eines Unfalls, der weit über den Auslegungsstörfall hinausging, sei insgesamt wenig passiert, was gegen die Sicherheit der Atomenergie spreche, argumentieren die Briten. In Deutschland interpretierte es die Politik genau umgekehrt: Wenn solche Unfälle jenseits des Auslegungsstörfalls geschehen können, darf man eine solche Technologie nicht akzeptieren.

Hinkley Point C soll mehr als 20 Milliarden Euro kosten. Die garantierte Förderung liegt bei umgerechnet 10,9 Cent pro Kilowattstunde. Ist das nicht ökonomischer Wahnsinn?

Ja, genau deshalb bin ich auch der Meinung, dass nicht die mangelnde Akzeptanz das Rückgrat der Kerntechnik brechen wird, sondern die enormen Kosten. Mehr und mehr werden erneuerbare Energiequellen preiswerter als Kernenergie, selbst wenn man ein Backup-System und die Speicherung mit einbezieht.

Siegt sich die Atomlobby mit diesem Projekt – zumindest in Europa – zu Tode?

Möglicherweise. In Finnland wird nach dem finanziellen Fiasko bei dem im Bau befindlichen Reaktor der vierten Generation wohl kaum ein neuer Reaktor mehr gebaut.

Es gibt den Begriff der „German Angst“. Haben die Deutschen eine besonders kritische Einstellung zu Großtechnologien. Und könnte das nicht auch gesund sein?

Ich würde das nicht zu pauschal sagen. Viele Großtechnologien wie Computer-Serverfarmen, Jumbo-Flugzeuge oder Müllverbrennungsanlagen sind in Deutschland nicht mehr umstritten als in anderen Ländern. Bei Kernenergie und Gentechnik ist aber die Skepsis der Deutschen allerdings höher als in den meisten anderen Ländern.

Die Bundesregierung ist 2011 aus der Atomenergie ausgestiegen. Warum kommt der Rückbau der Kernkraftwerke überhaupt nicht voran?

Einerseits weil man den natürlichen Abbau der Radioaktivität abwarten will, andererseits aber auch, weil man nicht weiß, wohin mit dem mittel- und leicht radioaktiven Abfällen. Vom hochaktiven und wärmeerzeugenden Abfall mal ganz zu schweigen.

Der Grund liegt auf der Hand: Ein Endlager für hochradioaktive Abfälle fehlt bis heute – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Sehen Sie eine zeitnahe Lösung in Deutschland? Wie kann die Bevölkerung bei der Suche eingebunden werden?

Zeitnah wird es keine Lösung dieses Problems geben! Sicher ist, dass sich ohne die Einbindung der Bevölkerung sich gar nichts bewegen wird. Und selbst mit entsprechender Einbindung der Einwohner wird es in Deutschland extrem schwierig, einen akzeptierten Standort ausfindig zu machen.

Sind die nun gesetzlich festgelegten Rückstellungen für die Energiekonzerne über 23,55 Milliarden Euro ein realistischer Wert, um die Zwischen- und Endlagerung von Atommüll zu finanzieren?

Die Atom-Kommission vom früheren Bundesumweltminister Jürgen Trittin hat dazu Ende April 2016 einen Vorschlag gemacht. Mit dem nun veranschlagten Budget auszukommen, wird in jedem Falle eng. Auf Dauer wird wohl der Steuerzahler mit einzahlen müssen.

Ist die technische Transmutation von nuklearen Abfällen eine Option, um Atommüll zu verringern? Löst sie das Problem in Gänze?

Sie kann das Volumen und die Intensität der Abfälle verringern, das ja, aber nicht das Problem lösen. Für Deutschland ist die Transmutation kaum eine Option; für Länder, die weiter auf Kernenergie setzen, aber sehr wohl.

Das Interview führte Niels Hendrik Petersen.


Kommentare

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Eitel Heck 01.05.2017, 12:57:11

+199 Gut Antworten

Deutschland als rohstoffarmes Land benötigt Innovation als Wissensrohstoff zur Erhaltung des Wohlstandes unseres Landes.

Die vermeintlich sauberen kostenlosen Rohstoffe Luft und Sonne haben ihre Grenzen durch wetter- und sonneneinstrahlungsabhängigkeit.

Die gegenwärtigen Kernkraftwerke mit Druckwasserreaktoren haben mit ihrem Gefahrenpotential auch keine Zukunft, selbst wenn in einigen Ländern solche Kernkraftwerke neu gebaut werden.

Eine Zukunft haben jedoch, die in einigen Ländern in Entwicklung befindlichen Kernreaktoren der 4. Generation mit dem Ziel der inhärenten Sicherheit und der Transmutation von atomaren Müll zur Energieerzeugung und Kopplung der Energieerzeugung mit der Erzeugung chemischer Erzeugnisse.

Die Aussagen des Risikoforschers Professor Renn sind mir zu negativ.

Der Stillstand bei der Realisierung des Kernreaktors in Finnland bedeutet nicht, dass Kernreaktoren der 4.Generation keine Zukunft haben.Die Aussage, dass Transmutation für die Entsorgung atomarer Abfälle in Deutschland keine Bedeutung hat, ist eine unbewiesene negative Aussage.

Eine weitere Möglichkeit zur Reduzierung des atomaren Abfalls ist die pyrochemische Aufbereitung, die Professor Renn nicht nennt.

Risikoforscher und grüne Politiker entwickeln sich langsam zu Gegnern innovativer Technologien.

-Magnetschwebebahn, in Deutschland entwickelt, in China angewandt,

-Gentechnik, seit 20 Jahren in den USA erfolgreich zur Steigerung landwirtschaftlicher Erträge angewandt,

-Fracking, seit ca. 20 Jahren in den USA angewandt zur Erdgas- und Erdölförderung,

-Kernreaktoren der 4. Generation, in einigen Ländern entwickelt,

-Dual Fluid Kernreaktor( deutsches Patent),

-Kernfusion,

Viele innovative Technologien mit Risikopotential, darunter Atomkraftwerke und chemische Prozesse haben zum Wohlstand

unseres Volkes beigetragen.

Ich stelle hiermit die Frage, spielt bei Entscheidungen zu innovativen Technologien die Fachkompetenz von Naturwissenschaftlern und Ingenieure noch eine Rolle?


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