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Nachgefragt
25. September 2014

Speicher im Sommer zu klein und im Winter zu groß

Stadtwerke drohen durch die Energiewende in Bedrängnis zu geraten. Je mehr private Haushalte Strom aus Solaranlagen gewinnen, desto stärker kann der klassische Verkauf von Strom sinken. Neue Geschäftsmodelle sind deshalb gefragt, sagt Peter Eckerle, Geschäftsführer des Vereins StoREgio.

Peter Eckerle, Geschäftsführer des Vereins StoREgio. (Foto: StoREgio)
Peter Eckerle, Geschäftsführer des Vereins StoREgio. (Foto: StoREgio)

25.09.2014 – Der Verein StoREgio beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Speicher-Management. Energiezukunft sprach mit dem Geschäftsführer Dr. Peter Eckerle.

Herr Eckerle, immer mehr PV-Anlagen arbeiten auf deutschen Dächern, die Eigenversorgung steigt – und Stadtwerke verkaufen deutlich weniger Strom. Doch es gibt noch mehr Probleme. Welchen Herausforderungen müssen sich Stadtwerke in Zukunft stellen?
Eigentlich zeichnen sich zwei Entwicklungen parallel ab: Wir haben einen zunehmenden Eigenverbrauch, nicht nur in Privathaushalten, sondern auch in Gewerbebetrieben. Dadurch gehen den Stadtwerken verkaufte Kilowattstunden verloren. Aber nicht nur der Energieabsatz leidet, es ergibt sich ein zweites Problem: Die Einspeisung aus PV-Anlagen führt zu neuen Spitzenbelastungen der örtlichen Stromnetze. Dabei kommt es darauf an, ob sich das Stadtwerk neben dem Verkauf von Kilowattstunden auch beim Stromnetz engagiert. In der Regel betreiben Stadtwerke auch die lokalen Stromnetze.

Welche Probleme entstehen für die lokalen Netze, wenn immer mehr Strom aus PV-Anlagen eingespeist wird?
Stellen wir uns zuerst eine PV-Anlage ohne Speicher vor. Die erzeugte Energie fließt ins Netz, wenn sie im eigenen Haushalt nicht benötigt wird. Die Spitzen-Einspeisung erfolgt um die Mittagszeit; schon heute ergibt sich folgende Situation: Die Spitzenleistung einer durchschnittlichen PV-Anlage ist größer als die Spitzenlast, die ein Haushalt normalerweise bezieht. Das bedeutet: Schon jetzt muss der Netzbetreiber eventuell seine Netze ausbauen, wenn immer mehr Solaranlagen ans Netz gehen. Kommt ein Speicher hinzu, ist es entscheidend, wie der Speicher gesteuert wird. Wenn er nur auf Eigenverbrauch optimiert ist, wird er so früh wie möglich geladen werden, also bereits am Vormittag. Dann ist Strom mit Sicherheit da, sobald die Familie im Laufe des Tages nach Hause kommt. Folgen alle Speicher einer solchen Programmierung, würden an einem typischen Sommertag bis Mittag alle Speicher voll sein – und die PV-Anlagen beginnen zu demselben Zeitpunkt, ihre Überschüsse ans Netz abzugeben.

Was bedeutet das für das Stromnetz?
Ohne Speicher wächst die Einspeiseleistung kontinuierlich, da sie dem Sonnenstand folgt. Kommt es aber zum Einsatz von Speichern, wird ausgerechnet mittags die Spitzenleistung „schlagartig“ ans Netz abgegeben. Dadurch kann die Spannung im Netz stark steigen, was Störungen bei der Stromversorgung möglich macht. Die Netzbetreiber müssen also neben dem Ausbau der Netze gegebenenfalls weitere Maßnahmen ergreifen.

Lassen sich Speicher nicht intelligenter nutzen?
Ja, mit Sicherheit. Sie sollten „netzdienlich“ zum Einsatz kommen, indem sie die Spitzenbelastung in den Mittagsstunden abschneiden. Nehmen die Speicher zu diesem Zeitpunkt ihren Strom auf, ließe sich der Ausbaubedarf deutlich begrenzen. Weiterhin wären Speicher in der Lage, Schwankungen der Einspeiseleistung der PV-Anlagen bei Wolkenzug zu puffern und Netze zu stabilisieren.

Mit dem Stichwort „Netzdienlichkeit“ kommen wieder die Stadtwerke ins Spiel, weil sich da neue Geschäftsmodelle ergeben.
Genau, dem Endkunden ist das Netz erst einmal egal, solange er keine leistungsabhängigen Kosten für den Netzanschluss trägt. Im Privatbereich werden die Netzkosten heute mit dem Preis pro Kilowattstunde abgegolten. Daher gibt es für Endkunden keinen Anreiz, sich „netzdienlich“ zu verhalten.

Wenn also ein Stadtwerk die beschriebene Spitzenbelastung im Netz vermeiden will, muss es ein Geschäftsmodell entwickeln, das für Endkunden entsprechende Anreize schafft. Wie sieht ein solches Modell aus?
Langfristig könnte das über leistungsabhängige Stromtarife geschehen, was natürlich von den regulatorischen Rahmenbedingungen abhängt. Kurzfristig kann das Stadtwerk dem Kunden einen Dienstleistungsvertrag anbieten, der zum Beispiel die Wartung des Speichers zum Inhalt hat. Denkbar ist auch ein Investitionskosten-Zuschuss; bis hin zu der Situation, dass ein Stadtwerk die Kosten für den Speicher übernimmt. Im Gegenzug regelt es für den Kunden das Speicher-Management.

Wie könnte ein solches Management aussehen, angesichts von Stadtvierteln mit einer Vielzahl von Solaranlagen?
Es stellt sich die Frage: Welche Bedürfnisse müssen mit dem Speicher-Management erfüllt werden? Das Stadtwerk will auf diese Weise die Spitzenbelastung der Netze wegpuffern. Der Endkunde möchte möglichst viel Energie aus eigener Erzeugung nutzen, wobei er in der Summe nicht mehr dafür zahlen möchte. Überschüssig erzeugte Energie soll zu einem möglichst guten Preis verkauft werden.

Was kann ein Stadtwerk da machen?
Entweder das Stadtwerk sorgt dafür, dass der Speicher am Nachmittag wieder vollgeladen wird. Oder es bietet dem Kunden den nötigen Strom an, aber aus dem örtlichen Netz. Dafür darf der Preis nicht höher sein als die Kosten, die aus dem eigenen Speicherbetrieb entstehen. Der Kunde sollte nicht gezwungen sein, seinen Strom allein aus dem Speicher zu beziehen. Auf diese Weise hat das Netz auch immer eine Back-up-Funktion.

Gibt es noch weitere Möglichkeiten?
Das Modell lässt sich gedanklich ausbauen. Ein Stadtwerk könnte den Speicher parallel auch für andere Zwecke nutzen, zum Beispiel für den Regelenergiemarkt. Dazu liegt es nahe, viele kleine Speicher zu kombinieren, um einen virtuellen Großspeicher zu bilden. Das ist aber bei der Steuerung relativ aufwendig.

Es gibt auch den regulären Stromhandel. Ergeben sich da nicht Chancen?
Die Margen im normalen Energiehandel sind gering und für kleine Speicher eher uninteressant. Stadtwerke können aber versuchen, lokale Produkte zu entwickeln. Zum Beispiel durch die Direktvermarktung von überschüssigem Strom vor Ort: Ein Stadtwerk könnte den Besitzern einer PV-Anlage anbieten, im Namen der Eigentümer die Direktvermarktung des erzeugten Solarstroms zu übernehmen. Es würde diesen Strom Privatkunden und Gewerbebetrieben anbieten, die direkt um die Ecke liegen, und das zu einem interessanten Tarif mit Ökostrom-Label. Liegt die Abnahme des Stroms unter der erzeugten Menge, ließe sich diese Energie in den Speichern zwischenlagern, um sie zu einem anderen Zeitpunkt zu verkaufen. Durch die Vernetzung vieler Anlagen, eventuell kombiniert mit eigener Energie-Erzeugung, ist ein Stadtwerk in der Lage, viel effektiver zu agieren als die einzelnen Eigentümer der Solaranlagen. Das sind einige denkbare Möglichkeiten – neben der Optimierung des Eigenverbrauchs halte ich das Modell der Direktvermarktung für die spannendste Chance.

Bisher sprechen wir nur über Speicher, die jeder Betreiber einer PV-Anlage in den Keller stellt. Es gibt aber auch die Möglichkeit, große Speicher für ganze Quartiere zu bauen. Kann das nicht sinnvoller sein als reine Insellösungen?
Da stellt sich wieder die Frage, wie sieht der Nutzen für den Kunden aus. Und welche Vorteile bringt diese Lösung für das Stadtwerk? Fangen wir bei den Kunden an, wir müssen zwei Gruppen unterscheiden: Für die einen stellt sich hier eine rein wirtschaftliche Frage, es geht um geringere Energiekosten. Für die anderen ist es genauso wichtig, den Speicher möglichst autark zu kontrollieren – wie auf einer Insel. Das wollen sicher wenige Betreiber einer PV-Anlage, die Mehrheit wird in erster Linie an sinkenden Kosten interessiert sein. Für diese größere Gruppe könnte es attraktiv werden, wenn der Speicher nicht im eigenen Keller steht.

Warum kann es sinnvoll sein, auf den eigenen Speicher zu verzichten?
Das hat verschiedene Gründe: Da besteht zum einen das Investitionsrisiko. Zusammen mit einer PV-Anlage soll ein Speicher über 20 Jahre arbeiten. Es gibt bisher dazu wenig Erfahrungswerte, und der normale Endkunde kann die Qualität eines Systems heute kaum beurteilen. Daher muss er das Risiko tragen, mehrfach in den 20 Jahren Geld in seine gesamte Anlage zu stecken. Zusätzlich erfordert ein Speicher Wartung, außerdem nimmt er Platz weg. Ganz wichtig ist auch die Frage der Sicherheit, die ebenfalls mit der Qualität des Systems zusammenhängt. So entsteht bereits ein gewisser Anreiz, den Speicher nicht selbst anzuschaffen. Zusätzlich wird es interessant, wenn der zentrale Speicher nicht auf eine bestimmte Kapazität festgelegt ist. Der Speicher im Keller hat die Eigenart, im Sommer immer zu klein zu sein, und im Winter zu groß.

Könnten Sie das an einem Beispiel erklären?
Nehmen wir an, Sie fahren im Sommer zwei Wochen in Urlaub. Kaum sind Sie aus dem Haus, ist der Speicher voll. In der übrigen Zeit geben Sie die erzeugte Energie für wenig Geld ins Netz. Mit einem flexiblen Speicherangebot würde Ihnen diese Energie komplett zur Verfügung stehen. Das Gegenteil ist im Winter der Fall: Die PV-Anlage produziert nicht so viel Strom, dass die Kapazität des Speichers ausgelastet ist. Jetzt steht bei Ihnen totes Kapital im Keller. Dieses „tote Kapital“ lässt sich durch Quartiersspeicher vermeiden, mit denen Stadtwerke wieder Geld verdienen. Denn der Kunde hat einen echten wirtschaftlichen Vorteil, weil er den Eigenverbrauch deutlich optimieren kann – durch die flexible Speicherkapazität. Damit kommt der Kunde auch seinem idealistischen Ziel näher, den Eigenverbrauch in erster Linie durch selbst produzierten Strom zu decken. Außerdem muss er sich nicht um Wartungskosten und Ersatzinvestitionen kümmern. Das Stadtwerk legt diese Kosten natürlich auf seine Kunden um, aber dieses gebündelte Risiko bei zentralen Speichern ist leichter zu tragen als bei einzelnen Kellerlösungen. Allerdings gibt es dabei eine Schwierigkeit, ausgelöst durch die EEG-Novellierung: Der zentrale Speicher liegt in einem öffentlichen Netz, das heißt für die gespeicherten Kilowattstunden fallen Netzentgelte an. Da ist sehr sorgfältig gegenzurechnen, ob sich für den Endkunden trotz der Netzentgelte ein wirtschaftliches Optimum einstellt. Je mehr aber in Zukunft die Energiepreise steigen, desto stärker nimmt die Wirtschaftlichkeit solcher Lösungen zu. Heute ist die Rentabilität noch an der Grenze, aber es ist absehbar, dass sich das positiv verändern wird.

Kommen wir noch einmal auf die Gruppe zu sprechen, die ein gewisses Interesse an Autarkie hat, also eigene Speicher im Keller installieren will. Kann das nicht an zu hohen Kosten scheitern?
Für eine Privatperson stellt sich immer die Frage: Habe ich genug Geld auf dem Konto, um eine Investition in Speichertechnologie finanzieren zu können? Wenn das nicht der Fall ist, oder die Privatperson lieber einen Hauskredit abbezahlt, könnte ein Stadtwerk einen Investitionskosten-Zuschuss anbieten. Oder die gesamte Investition wird über ein Leasing- oder Contracting-Modell abgewickelt. Das heißt: Die Investitionskosten werden auf das Stadtwerk abgewälzt, das dafür einen steuernden Zugriff auf den Speicher erhält.

Das Stadtwerk würde aber auch eine Vergütung für seine Dienstleistungen bekommen?
Wenn das Stadtwerk den Speicher vollständig finanziert, er aber im Keller des Kunden steht, würde das Geschäftsmodell so aussehen: Das Stadtwerk erhält vom Kunden eine Vergütung, weil es die Speicher-Möglichkeit als Dienstleistung zur Verfügung stellt. Das lässt sich über den Strompreis abbilden. Besser wäre es, eine eigenständige Service-Gebühr einzuführen, da es sonst für den Kunden schwierig wird, den Stromanbieter frei wählen zu können. Wie sich diese Gebühr gestaltet, hängt von den enthaltenen Service-Elementen ab. Ein ganz ähnliches Vorgehen erleben wir, wenn Kommunikationsanbieter ihre Handy-Tarife definieren. Es gibt noch eine andere Möglichkeit: Der Kunde investiert in den Speicher und schließt mit dem Stadtwerk einen Vertrag ab, dass es den Speicher nutzen darf – gegen ein gewisses Entgelt. Doch bei allen nutzungsabhängigen Gebühren ist genau zu beachten, welches Messkonzept realisiert werden muss, um die unterschiedlichen Nutzungen erfassen und abrechnen zu können.

Welche Rolle könnten neue Versicherungsprämien spielen, zum Beispiel aufgrund bestimmter Sicherheitsrisiken?
Speicher sind relevant für die Sicherheit im Haus, sie werden in dieser Hinsicht in Zukunft stärker in die Diskussion kommen. Versicherungen könnten für sie eine zusätzliche Prämie verlangen, was im Markt heute noch nicht üblich ist. Wenn das kommt, verringert es den wirtschaftlichen Anreiz, im eigenen Heim einen Speicher aufzustellen.

Einen Aspekt haben wir noch vernachlässigt: Stadtwerke bieten in der Regel weit mehr als Strom an. Welche Chancen sehen Sie da?
Ein Stadtwerk hat gerade gegenüber den überregionalen Versorgern den Vorteil, nicht nur Strom anzubieten. Hinzu kommen Wasser, Wärme, Gas, eventuell auch Dienstleistungen im Bereich der Kommunikation. Besonders attraktiv ist es, Strom- und Wärmeprodukte zu bündeln. PV, Speicher und ein Blockheizkraftwerk (BHKW) können sich sehr gut ergänzen. Will ein Stadtwerk aus dieser Vielfalt ein neues Geschäftsmodell entwickeln, hat es viel mehr Freiheitsgrade als ein überregionaler Anbieter. Stadtwerke sollten diese Vorteile nutzen. Denn die reinen Skaleneffekte liegen bei den überregionalen Energieanbietern, weil sie größere Mengen handeln. Daher müssen Stadtwerke Angebote zusammenzustellen, bei denen sie selbst einen Wettbewerbsvorteil haben. Das kann bei gebündelten Angeboten mit mehreren Energieformen der Fall sein.

Herr Eckerle, herzlichen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Ingo Leipner (Eco-Words).


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