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Nachgefragt
31. Januar 2019

„Wir werden vor 2038 aus der Kohle aussteigen“

Der Kohlekompromiss ist gefunden und die Energiebranche atmet auf. Wir haben mit Patrick Graichen von der Denkfabrik Agora Energiewende darüber gesprochen, wie das Kohleausstiegsgesetz aussehen wird und warum die Empfehlungen der Kohlekommission Ideen aus dem Jahr 2016 auffällig ähneln.

Patrick Graichen, Direktor Agora Energiewende

Patrick Graichen, Direktor Agora Energiewende
Patrick Graichen ist Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende
Foto: Agora Energiewende

30.01.2019 – Seit dem Sommer hatte die Kohlekommission verhandelt, der Abschlussbericht wurde um zwei Monate verschoben und die Kanzlerin lud zum Krisengipfel ins Kanzleramt. Nach einer langen Nachtsitzung schloss die 28-köpfige Kommission am Morgen des 26. Januar ihre Empfehlungen für einen deutschen Kohleausstieg ab. Demnach werden die deutschen Kohlekapazitäten bis Ende 2022 um 12,5 Gigawatt reduziert und die Klimaziele für das Jahr 2030 eingehalten. Bis spätestens 2038 steigt Deutschland aus der Kohle aus.

Herr Graichen, die Kohlekommission hat am Samstagmorgen nach 21 Stunden Verhandlungsmarathon einen Kompromiss erreicht. Ist es ein gutes Ergebnis?

Zunächst ist es gut, dass ein Konsens für den Ausstieg aus der Kohle in Deutschland gefunden wurde. Nicht nur Umweltschützer, sondern auch die energieintensive Industrie, die Gewerkschaft IG BCE, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, alle tragen den Kohleausstieg gemeinsam mit. Das ist ein extrem wichtiges Signal. Man muss aber gleichzeitig festhalten: Mit Blick auf die Pariser Klimaziele kommt der Kohleausstieg im Jahr 2038 zu spät. Ich glaube jedoch nicht, dass dieses Datum unverrückbar ist. Der Druck im internationalen Klimaschutz wird zunehmen und durch die festgelegten Überprüfungszeiträume wird sich der Prozess noch einmal beschleunigen.

Damit teilen Sie die Einschätzung der Umweltverbände. Deren Kommissionsmitglieder feiern den Erfolg, sagen aber auch: 2038 ist zu spät, wir müssen weiter für einen frühen Kohleausstieg kämpfen. Sie stellen sich damit gegen den eigenen Kompromiss. Was halten Sie davon?

Es macht zunächst keinen Sinn gegen diesen Kompromiss zu kämpfen. Allerdings wurde der Zeitraum zwischen 2030 und 2038 im Kommissionsbericht gar nicht konkretisiert und in den Jahren 2023, 2026 und 2029 sind Überprüfungsklauseln vorgesehen. An diesen Zeitpunkten wird man sehen, wo wir im nationalen und internationalen Klimaschutz stehen und ob wir nachschärfen müssen. Meine Erwartung ist: Das Ausstiegsdatum wird eher vorgezogen werden, wir werden vor 2038 aus der Kohle aussteigen.

Hatten Sie inhaltlich mit einem solchen Ergebnis gerechnet?

Tatsächlich ist der Endbericht der Kohlekommission sehr nah dran an unserer eigenen Studie aus dem Jahr 2016. Damals hatten wir elf Eckpunkte für einen Kohleausstieg bis 2038 formuliert. Insofern habe ich mit einem solchen Ergebnis gerechnet. Der wesentliche Unterschied zu unserer Studie ist, dass es nun viel mehr Geld gibt. Wir hatten damals keine Entschädigungen für Kraftwerksbetreiber und nicht so großzügige Zahlungen an die Kohleregionen vorgesehen. In diesen beiden Punkten ist die Kommission weit darüber hinausgegangen, was damals diskutiert wurde.

Der Kompromiss ist nicht nur auffällig nah dran an ihren Vorschlägen aus dem Jahr 2016, sondern ebenso an dem Plan, den der Co-Kommissionsvorsitzende und Vertraute der Kanzlerin Ronald Pofalla bereits im Herbst gestreut hatte. Ist das Zufall oder der einzig gangbare Weg?

Ich halte das nicht für Zufall. Alle, die sich näher mit der Thematik auseinandergesetzt haben und die gegenläufigen Interessen analysiert haben, sind bei genau diesem Ergebnis gelandet. Zuerst waren es wir, dann Herr Pofalla und am Schluss die gesamte Kommission. Das angepeilte Jahr 2038 ist eine angemessene Perspektive, wenn man über einen so umfangreichen Strukturwandel redet. Ähnlich lief es damals beim Atomausstieg. Im Jahr 2000 wurde der Atomkonsens mit dem Ausstiegsdatum 2022 vereinbart.

Überzeugen Sie die vorgesehenen Strukturhilfen für Braunkohleregionen, die Investitionen in Infrastruktur und Ansiedlung von Behörden?

Ich finde überzeugend, dass die Kommission beim Strukturwandel ein klares Zeichen setzt und den Menschen sagt: Wir lassen euch nicht allein. In dieses Thema fallen die ganzen Umbrüche der letzten dreißig Jahre mit hinein, insofern spielt der Strukturwandel in der Lausitz eine deutlich größere Rolle als im Rheinischen Revier. Es ist richtig, sich im Kontext der Kohlekommission auch um eher kleiner erscheinende Fragen wie einer schnellen Bahnanbindung von Cottbus nach Berlin zu kümmern.

Der Bericht enthält einige schwammige Formulierungen. Zwischen 2023 und 2030 sind etwa keine konkreten Abschaltungen von Kohleblöcken vorgesehen, stattdessen ist die Rede von einer „stetigen Verringerung der Treibhausgasemissionen“. Lässt der Abschlussbericht zu viele Hintertüren?

Nein, nicht unbedingt. Wichtig ist erst einmal, den Einstieg in den Kohleausstieg zu bewältigen. Bis Ende 2022 sollen 30 Prozent der Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, das ist ein großer Batzen. Anschließend muss ein Pfad bis 2030 definiert werden und da hätte die Kommission tatsächlich eindeutiger werden können. Mit den Begriffen „stetig“ und „verlässlich“ ist dieser Punkt schwammig formuliert. Das klar umzusetzen, ist nun Aufgabe der Bundesregierung. Die Kraftwerke müssen in diesem Zeitraum schrittweise vom Netz gehen und nicht erst alle 2029.

Der Wirtschaftsflügel der Union begehrt gegen den Kohlekompromiss auf, nennt die Vorschläge „teure Symbolpolitik“ und warnt vor „nationalen Alleingängen“. Wird die Bundesregierung die Empfehlungen der Kohlekommission rasch und ohne große Veränderungen umsetzen?

Ja. In Bezug auf den Kernbereich des Kohlekompromisses, also den Kohleausstieg, wird die Bundesregierung nicht anders können, als die Empfehlungen eins zu eins umzusetzen. Wenn die Bundesregierung das nicht tut, hat sie ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.

Und was ist mit den von der Kommission geforderten weiteren Veränderungen, also einer Reform des Abgabensystems im Energiebereich und die Einführung einer CO2-Steuer? Wird die Bundesregierung den großen Wurf wagen?

Das erwarte ich nicht. Es ist zwar kein Geheimnis, dass wir und die gesamte Energiebranche solche Reformen für dringend notwendig halten. Aber ob die Koalition für solche Veränderungen in diesem Jahr die Kraft aufbringt, wage ich zu bezweifeln. Zudem muss man die separaten Diskussionen in der Verkehrskommission und in der Gebäudekommission, die das Bundeskabinett nun einsetzen wird, abwarten. Denn eine solche Reform betrifft nicht nur den Strombereich.

Experten bemängeln seit Jahren einen energie- und klimapolitischen Stillstand, eine regelrechte Lethargie der Bundesregierung auf diesem Gebiet. Wird diese durch den Kohlekompromiss aufgelöst?

Ich habe die vorsichtige Hoffnung. Denn 2019 muss laut Koalitionsvertrag das Klimaschutzgesetz verabschiedet werden und wir müssen für die Klimaschutzziele 2030 die Weichen stellen. Ein reines Rahmengesetz ohne Inhalt reicht insofern nicht aus. Deshalb ist es zwingend, in diesem Jahr pro Sektor zwei bis drei Kernmaßnahmen zu beschließen, die tatsächlich mehr Klimaschutz bedeuten. Für den Stromsektor ist das sicherlich das Kohleausstiegsgesetz und eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), die das angepeilte Ziel von 65 Prozent Ökostrom bis 2030 umsetzt. Ebenso der Netzausbau. Genauso braucht es in den Sektoren Wärme, Verkehr und Industrie Klimaschutzmaßnahmen, die richtig was bringen.

Werden die großen Energieversorger, ob RWE im Rheinischen Revier, LEAG in der Lausitz oder auch die Stadtwerke mit ihren Beteiligungen an Kohlekraftwerken, sich dem Kohlekonsens unterordnen?

Die Stadtwerke werden in jedem Fall mitmachen. Es wird sicherlich noch Verhandlungen mit der LEAG und RWE geben, die Bedingungen der Kohlekommission sind allerdings eindeutig: Wenn keine einvernehmliche Lösung gefunden wird, soll der Staat die Abschaltung ordnungsrechtlich mit angemessenen Entschädigungen lösen, sprich ohne Zustimmung aber mit Geld. Insofern wird es eine Verhandlungsbereitschaft geben.

Das Interview führte Clemens Weiß.


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