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Nachgefragt
27. Juli 2021

Wo möglich, müssen Wärmenetze installiert werden

Kurt Rohrig, Leiter des Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik in Kassel, erläutert im Interview die Notwendigkeit und Chancen von Wärmenetzen – und auch die Hürden für deren Ausbau.

Kurt Rohrig, Leiter des Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in Kassel

Kurt Rohrig, Leiter des Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in Kassel
Kurt Rohrig, Leiter des Fraunhofer IEE
Foto: Fraunhofer IEE

Herr Rohrig, in jüngster Zeit ist Etliches in Bewegung gekommen in Sachen Klimaschutz. Milliardenprogramme wurden aufgelegt, die CO2-Bepreisung für Wärme und Verkehr eingeführt und Klimaschutzziele verschärft. Gute Schritte?

Wir sind auf alle Fälle ein Stück weitergekommen, aber man kann mit der jetzigen Entwicklung noch längst nicht zufrieden sein. Die Bundesregierung hat jetzt schärfere Ziele beschlossen, aber es fehlt die Aussage, wie diese erreicht werden sollen. Ein konsequenter Schritt wäre ein Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen ab einem bestimmten Stichtag.  Zurzeit werden jedoch noch viele neue Anschlüsse gelegt. Da frage ich mich, wo sind die Maßnahmen zum Klimaschutz.

Was sehen Sie als Hauptalternativen zum Erdgas in der Wärmeversorgung?

Also die priorisierte Variante ist aus meiner Sicht die netzgebundene Wärmeversorgung. Da wo es möglich ist, müssen Wärmenetze installiert werden und diese Netze sollten mit niedrigeren Temperaturen zu betreiben und über Wärmepumpen versorgt werden. Das bietet die Möglichkeit, größere Wärmepumpen, die effizienter sind als viele kleine Wärmepumpen, zu platzieren und so mehr Wärme für den gleichen Aufwand bereitzustellen. Daneben gibt es noch weitere ergänzende Technologien wie die Solarthermie, deren Potenzial noch häufig unterschätzt wird.  

Wie sehen Sie die Kraft-Wärme-Kopplung, oder ist das schon ein Auslaufmodell?

Die KWK wird noch für einen längeren Zeitraum eine Rolle spielen. Sie muss allerdings im Laufe der Zeit irgendwann auf die CO2-freie Strom- und Wärmeversorgung umgerüstet werden. Hier bietet sich die Biomasse an, aber nicht mehr Kohle oder mit CO2-behaftetes Gas.

Wie stehen Sie denn zur Umrüstung von Gasheizungen und Gasnetzen auf Wasserstoff und grüne Gase?

Grüner Wasserstoff wird eine sehr wichtige Rolle im künftigen Energiesystem spielen, allerdings muss man sich gleich fragen, wo bekomme ich den Wasserstoff her, wie wird er erzeugt und wo setze ich ihn ein. Jedenfalls muss bei der Erzeugung aus erneuerbarem Strom der Wirkungsgrad berücksichtigt werden. Wenn wir in der Wärmeversorgung auf Wasserstoff setzen, würde das bedeuten, dass wir die installierte Leistung der Windkraft und der Photovoltaik nahezu verdoppeln müssten gegenüber den Szenarien, die die direkte elektrische Energieversorgung im Wärmebereich im Fokus haben.

Sprich, die Gasverteilnetze sind künftig überflüssig?

Ja, für die häusliche Wärmeversorgung auf jeden Fall.

Es wird derzeit in der Gasbranche kontrovers diskutiert, inwieweit man jetzt Rückstellungen für künftige Rückbauverpflichtungen der Gasnetze bilden sollte, auch im Rahmen der Anreizregulierung. Haben Sie den Eindruck, dass einige Unternehmen die Problematik erkannt haben und schon mit einem Rückbau anfangen?

Also ich habe keine Informationen darüber, dass der Rückbau des Gasverteilnetzes tatsächlich schon begonnen hat. Man kann den Rückbau der Gasnetze und den Umbau der Wärmeversorgung durch verbesserte Planung effizienter machen.

Wo klemmt es denn außer an einer höheren CO2-Bepreisung noch, was den verstärkten Umstieg auf Wärmenetze betrifft. Gibt es hier zwei, drei zentrale Hemmnisse?

Ja, einmal natürlich, dass bei Neubauten und bei Bestandsgebäuden die Fernwärme bzw. die Nahwärme (noch) nicht wirklich attraktiv ist. Das ist auch eine Preisfrage. Und dann gibt es heute noch die Wahlfreiheit, sprich wenn sich jemand ein Gebäude errichtet, ist er immer noch frei zu wählen, wie und durch wen er sich mit Wärme versorgt. In Kassel haben wir eine teilweise Anschlusspflicht überlegt, d.h. alle Gebäude, die im 500 Meter Umkreis von einer Fernwärmeleitung liegen, sollten einen Fernwärmeanschluss bekommen, wenn der Anschluss wirtschaftlich attraktiv ist.  Die Fernwärmebetreiber müssen dann die Möglichkeit haben, attraktive Angebote zu machen. Letztendlich muss es dahin gehen, dass diese Infrastruktur dann auch genutzt wird.

Also ein Anschluss- und Benutzungszwang?

Das ist ein heikles Thema, und dazu wird auch noch heftig diskutiert, wie die Umsetzung aussieht. Doch sollten aus meiner Sicht Gebäude, die sich in der Nähe eines Fernwärmestrangs befinden, vorrangig daran angeschlossen werden, bevor eine neue Gasleitung gelegt wird.

Aber ist es schon wichtig, dass man die Anwohner und Bürger mitnimmt und überzeugt und nicht nur auf Zwangsregelungen setzt?

Ja, das ist eine Aufgabe der Stadtplanung und dann auch der Umsetzung. Als Anreize zum Umstieg können ja beispielsweise Abwrackprämien für Heizungsanlagen angeboten werden oder die Übernahme der Restkosten der Heizungsanlage inklusive des Nahwärmeanschlusses.

Und sollten Wärmenetze auch künftig sinnvollerweise von kommunalen Unternehmen betrieben werden?

Ja, ein Wärmenetz ist kein Stromnetz. Wärmenetze sind nicht überregional vernetzt, sondern man kann die Wärme nur von einem kommunalen oder regionalen Anbieter beziehen.

Nehmen denn Stadtwerke wie in Kassel schon ausreichend die Chancen in diesem Bereich wahr, auch um künftig neue Geschäftsmodelle aufzubauen?

Es gibt viele Stadtwerke, die da schon sehr weit sind. Es gibt aber auch viele kommunale Unternehmen, die jetzt gerade umstrukturieren und auch ums Überleben kämpfen. Und für die steht die Umgestaltung der Wärmeversorgung nicht so weit oben auf der Agenda.

Das Interview führte Hans-Christoph Neidlein.


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