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Nachgefragt
06. August 2018

Zehn Gigawatt PV pro Jahr

Für die Streichung des Ausbaudeckels für Photovoltaik und einen fairen Wettbewerb im Energiemarkt plädiert Carsten Körnig, Chef des Bundesverbands Solarwirtschaft. Die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Sonderausschreibungen hält er für einen Lackmustest für die Glaubwürdigkeit der Klimaversprechen.

Carsten Körnig, Geschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW-Solar)

Carsten Körnig, Geschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW-Solar)
Foto: © BSW-Solar

06.08.2018 – Carsten Körnig ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft.

Hätten Sie vor zehn Jahren geglaubt, dass Solarstrom mittlerweile so günstig ist?

Als wir zur Jahrtausendwende gemeinsam mit Hans-Josef Fell und Hermann Scheer das EEG aus der Taufe hoben, hatten wir das Ziel fest im Auge, Solarenergie preiswert zu machen. Wir hätten uns aber kaum zu träumen gewagt, dass wir bereits heute Solarstrom im Kraftwerksmaßstab für rund 5 Cent die Kilowattstunde in Deutschland produzieren können. Damit ist die Photovoltaik beim Kraftwerksneubau schon jetzt die günstigste Energieerzeugungsform geworden. Und die Technologie ist noch lange nicht ausgereizt!

Läuft der weitere Ausbau der PV nun also hauptsächlich marktgetrieben? Wie wichtig bleibt die Politik?

Das wäre schön! Denn es würde bedeuten, dass es für den Photovoltaikausbau keine Bremsen mehr gibt. Die Politik wird jedoch weiterhin solange entscheidender Faktor bleiben, bis im Energiemarkt wirklich fairer Wettbewerb herrscht. Dieser Tage wurde bekannt, dass Deutschland bis 2030 Strafzahlungen von bis zu 30 Milliarden Euro drohen, weil die EU-Klimaziele verfehlt werden. Diese Kosten stehen genauso wenig auf der Stromrechnung wie die Klimafolgekosten konventioneller Energien.

Sind Sie zuversichtlich, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarten Sonderausschreibungen für 2019 und 2020 wirklich kommen? Bis jetzt scheint sich ja die Große Koalition noch nicht ganz einig darüber zu sein.

Pacta sunt servandum – Verträge müssen gehalten werden. Zur Erinnerung: Mit den Sonderausschreibungen soll die absehbare Klimalücke bis 2020 verkleinert werden. Sie sind ohnehin nur ein zaghafter Versuch, mehr Klimaschutz zu betreiben. Für das Erreichen der Pariser Klimaziele müsste der Solarausbau vervielfacht werden auf etwa 10 Gigawatt pro Jahr. Die Sonderauktionen reichen also nicht, sind aber ein entscheidender Lackmustest für die Glaubwürdigkeit der jüngsten Klimaversprechen.

Ist ein gesetzlich fixierter Ausbaudeckel denn nicht grundsätzlich von gestern? Oder brauchen wir den um eine Marktüberhitzung und Netzüberlastung zu vermeiden?

Das EEG ist als Ermöglichungsgesetz für Erneuerbare Energien gestartet. Mittlerweile ist es so komplex und kompliziert, dass es an vielen Stellen zu einem Behinderungsgesetz mutiert ist. Viele Vorgaben stammen noch aus einer Zeit, in der die Photovoltaik teuer war und einflussreiche Teile der Energiewirtschaft die Photovoltaik scheuten wie der Teufel das Weihwasser. Inzwischen sollte sich aber herumgesprochen haben, dass Solarenergie preiswert geworden ist und ein modernes Energiesystem deutlich mehr Solarstrom braucht und verkraften kann. Deckel und Ausbaubremsen müssen schleunigst beseitigt werden.     

Es wird ja viel über intelligentere Netze diskutiert, vor allem auf Verteilnetzebene. Wie wichtig sind diese für eine verbesserte „Integration“ von Solarstrom?

Bei neuen Photovoltaikanlagen wird der erzeugte Solarstrom in der Regel direkt vor Ort verbraucht und Dank der immer weiter verbreiteten Solarstromspeicher wird dies auch zeitversetzt möglich, sodass die Netze noch weniger beansprucht werden. Klar ist aber auch, dass wir für das Fernziel 100 Prozent Erneuerbare Energie die passenden technischen Möglichkeiten und regulatorischen  Rahmenbedingungen brauchen. Heute werden die Erneuerbaren – in der Regel sind es Windräder – einfach abgestellt, wenn zu viel Strom im Netz ist. Das ist reine Verschwendung. Für die Photovoltaik ist das Verteilnetz sehr wichtig. Solarstrom wird überwiegend auf dieser untersten Netzebene eingespeist. Hier startet bald die Verbreitung von Smart Meter Gateways, die Flexibilitätspotenzial mit sich bringen. Damit sind zum Beispiel angebotsabhängige Strompreise möglich – dann lädt das Elektroauto oder läuft die Waschmaschine, wenn viel erneuerbarer Strom verfügbar und entsprechend günstig ist.

Digitalisierung, Sektorenkopplung und Flexibilisierung also als die zentralen Treiber?

Das sind Hilfsmittel für die 100-Prozent-Energiewende. Zugleich treiben sie natürlich die Entwicklung. Wie war das beim Mobilfunk? Vor 20 Jahren waren Handys vor allem Telefone. Jetzt sind sie Hilfsmittel für zahlreiche digitale Geschäftsmodelle. Die Photovoltaik-Branche setzt zusehends auf Geschäftsmodelle, die durch die Digitalisierung ermöglicht werden. Dabei wissen wir heute noch nicht, was die „Killer-App“ der Zukunft sein wird. Fest steht: Intelligente Systemtechnik und Energiemanager bringen die Energiewende voran und ermöglichen die Evolution der Photovoltaik, sodass wir preiswerten Solarstrom effizient im Strom- Wärme- und Mobilitätsbereich einsetzen und konventionelle Energien ersetzen können.

Gibt es denn hierfür schon die passenden Geschäftsmodelle?

Viele unserer Mitgliedsunternehmen sind hier sehr aktiv. Denken Sie etwa an Speicher- und Wechselrichterhersteller, die einzelne Speicher und Nutzer vernetzen und damit sowohl mehr Flexibilität als auch zusätzliche Erlösmöglichkeiten schaffen. Zum Teil ist der regulatorische Rahmen noch nicht optimal auf die Anforderungen und Möglichkeiten der neuen Energiewelt zugeschnitten, Herausforderungen, die wir als Verband verstärkt angehen wollen.

Wie wichtig ist hierbei die Rolle der kommunalen Energieversorgungsunternehmen und Verteilnetzbetreiber? Oder verlieren diese angesichts von steigender Eigenversorgung und immer mehr Prosumern an Bedeutung?

Die Stadtwerke können zum Gelingen der Energiewende beitragen, weil sie einen guten Zugang zu den Menschen vor Ort haben und in vielen Fällen flexibler sind als große Konzerne. Für moderne Stadtwerke bietet die Energiewende durchaus Chancen. Sie erkennen zunehmend, dass sie sich zu digitalen Service-Providern entwickeln und in neue Geschäftsmodelle einsteigen müssen, die dem Kunden nachhaltige Rundum-Sorglos-Pakete in den Bereichen Strom, Wärme und Mobilität anbieten. Wenn sie ihren Startvorteil hier nicht nutzen, gehen andere in diese Märkte. Als Partner solarer Mieterstromprojekte gelingt es ihnen z. B., private Endkunden zu binden. Für Gewerbe- und Industriekunden mit PV-Anlage und zunehmend elektrifiziertem Fuhrpark können Stadtwerke das komplette Energiemanagement übernehmen und dadurch neue Erlösquellen anzapfen.

Das Interview führte Hans-Christoph Neidlein


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Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Energieverbraucher 06.08.2018, 13:55:00

+545 Gut Antworten

Herr Körnig, Cheflobbyist seit Jahrzehnten, hat mitnichten das EEG aus der Taufe gehoben ("Wir"), oder wenn dann im Hinterzimmer, was ich nicht hoffe.

Das ewige Credo "alles zu wenig" ist leider typisch für Akteure, die nicht in der Verantwortung gegenüber dem Endverbraucher stehen und auch die Konsequenzen andern überlassen, konkret:

Einfach mal 10 GW pro Jahr zu fordern OHNE die Aufnahmefähigkeit der Netze zu beachten ist ein Unsinn.

PS: wenn schon, dann richtig, es muss "Pacta sunt servanda" heißen.

Rudolf Tarantik 07.08.2018, 16:46:16

+540 Gut Antworten

Ein Zubau vo 10 GW jährlich sind durchaus möglich, da bei max. 90 GW, also in ca, 5 Jahren maximal an einigen Sommertagen (wie heute) eine zeitweise Vollversorgung erreicht wird, und zwar dezentral! Selbstverständlich sollte heute schon an weitere Spitzenstromverwertungen gedacht werden, aber vor allem an stark flexible Endverbraucherpreise und die dazugehörigen gesetzlichen Regelungen, damit endlich mal merktwirtschaftliche Elemente zur Wirkung kommen. Die Netze haben dann genügned Zeit, sich zu entwickeln. Und zwar auf der richtigen Ebene.

Energieverbraucher 15.08.2018, 21:59:59

+506 Gut Antworten

* Möglich ist immer alles, bloß wer zahlt am Ende? Die Konsequenzen werden "andere" bezahlen. 90 GW PV bedeutet massiv Energie wegwerfen am Wochenende. Wenn der PV-Erzeuger hier seine Anlage entschädigungslos sich abdrehen lässt wäre das ok, wird er sie aber nicht betreiben wollen.

* "Dezentral" ist ein Mythos. Der trifft im Falle der PV nur zu, wenn die Anlagen in Großstädten gebaut werden, das passiert leider aber nicht. Ihre 90 GW werden also über teuer Verteil/Übertragungsnetze "entsorgt" werden müssen, was heute schon der Fall ist.

* Flexible Endverbraucherpreise heißt nichts anderes als höhere EEG-Kosten. Damit ist aus Verbrauchersicht nichts gewonnen, solange die Erzeuger nicht auch niedrigere Preise erstattet bekommen.

* Die Marktwirtschaft wird seit Jahren in der Energiewirtschaft ausgehebelt. Jetzt baut die Netzagentur schon Reservekraftwerke, die keiner mehr bauen/bezahlen will.

Rudolf Tarantik 19.08.2018, 13:35:08

+501 Gut Antworten

* Wer bezahlt die horrenden Kosten der Endlagerung? Wer bezahlt die gesundheitlichen Schäden, die durch erhöhte und durchaus verringerbare Giftemissionen der Kohlestromgewinnung entstehen und entstanden sind? Wer bezahlt die Schäden, die durch Verockerung der Flüsse und die Zerstörung der Landschaften durch Braunkohletagebau entstehen?

* Dezentraler Solarstrom braucht mit Sicherheit keine sündteuren Hochvolt HGÜ-Leitungen. Einfach mal in anderen Ebenen denken.

Strom müßte niemals "entsorgt" werden, wenn er sinnvoll von den verschiedenen Sektoren verwertet werden könnte, wenn es also gesetzliche Regelungen für Sektorkopplung gäbe. Man bedenke, dass 1 KWh Strom im Wärmebereich immer mindestens den Wert von 1 KWh Gas entspricht, also aktuell ca. 2 Ct./KWh. Abregeln und entsorgen ist also absoluter unnötiger Schwachsinn.

* Flexible Endverbraucherpreise bedeutet marktgerechtere Preise (für größere Verbraucher), die sich verstärkt nach Angebot und Nachfrage orientieren. Wer also in Zukunft meint, sein E-Auto genau zu den ungünstigsten Zeiten aufladen zu müssen, der darf dies gerne tun, zahlt aber dann erheblich mehr. Wer meint Strom sinnlos verschwenden zu müssen, der darf gerne mehr bezahlen. Marktgerechter geht es nicht. Stark flexible Endverbraucherpreise meint eben auch keine EEG Umlage bei starkem erneuerbarem Stromangebot. Auch die Einspeisevergütung kann flexibilisiert werden (teilweise ist sie das ja bereits durch die 6 Stunden Regel). Daran wird jedenfalls die Energiewende nicht scheitern. Man muß sie nur eben richtig machen und nicht auf die bewußt falsche altmaierische Art.

* Deshalb ist es auch selbstverständlich falsch, dass die Netzagentur Gas-Reservekraftwerke baut und gleichzeitig stehen fertige, hocheffiziente Gaskraftwerke (z.B. Irsching) ungenutzt und für die Abschaltung angemeldet sinnlos herum, und das nur, weil eine Überkapazität von giftverbreitenden Schrott-Kohlemeilern existiert.


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