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VerkehrswendeAuf dem Land unterwegs

Auf dem Land ist der öffentliche Nahverkehr ausgedünnt. (Foto: Tobias Arhelger /Adobestock)

In ländlichen Gebieten ist das Auto das Verkehrsmittel Nummer eins. Wer keinen Führerschein oder kein Auto hat, ist weniger mobil. Das ist ungerecht und eine verschenkte Chance für weniger Autoverkehr. Engagement vor Ort und Geld sind gefragt.

11.05.2022 – Ein Alltag ohne Auto ist für viele Menschen auf dem Land undenkbar. Der Weg zur Arbeit, zum Einkauf oder zu Freunden wäre mit dem öffentlichen Nahverkehr vielerorts umständlich und lang, mitunter sogar unmöglich. In Deutschland leben rund 30 Millionen Menschen in ländlichen Regionen. 70 Prozent davon sind mit dem Auto mobil – ob als Fahrer oder Beifahrer. Nur fünf Prozent verlassen sich auf den öffentlichen Nahverkehr, der damit noch hinter dem Fahrrad rangiert, das für sieben Prozent Mobilität garantiert.

Der Individualverkehr im Auto hat eine weitere Dimension: mit den Pendlern kommen zusätzliche Fahrzeuge in die Stadt, die Straßenraum und Parkflächen beanspruchen. Ein klug gespanntes Netz an öffentlichen Verkehrsangeboten auf dem Land entlastet deshalb auch die Städte.

Doch Linienbusse im ländlichen Raum mit kurzen Taktzeiten sind kaum noch anzutreffen. Solch ein Angebot ist teuer und wird mit schwindenden Fahrgastzahlen ausgedünnt. Ein Teufelskreis, der vor allem die trifft, die keine Alternative haben: Schüler, Auszubildende und altersbedingte Autoabstinenzler. Lediglich der bezuschusste Schülerbus ist flächendeckend noch unterwegs, allerdings nicht in den Ferien. Regionalbahnen sind dort, wo sie halten, ein echter Mobilitätsgewinn. Doch wenn kein Anschlussbus ins nächste Dorf fährt, steigt der potenzielle Fahrgast lieber ins Auto als in die Bahn.

Die Elektromobilität auf dem Land ist meist privat. Wer ein Elektroauto kauft, montiert seine eigene Ladesäule. Viele Kommunen bemühen sich um öffentliche Ladeinfrastruktur – die Fortschritte dabei sind sehr verschieden. Für den öffentlichen Nahverkehr ist der Elektrobus noch keine echte Alternative. Gründe sind die weiten Strecken, die übers Land gefahren werden und die teure Anschaffung.

Anja Sylvester ist Geschäftsführerin von Landlogistik und parallel seit vielen Jahren Mitarbeiterin des Beratungsunternehmens Interlink. Sie berät Verkehrsunternehmen im schienen- und straßengebundenen Verkehr und kennt die Lücken und Bedürfnisse in puncto Mobilität. Für sie ist die Nahmobilität außerhalb der individuellen PKW-Nutzung etwas Essenzielles, das nicht wegbrechen darf. Sie verweist auf das Dilemma der Finanzierung: „Schülerbeförderung wird bezahlt, alles andere ist freiwilliges Engagement der Kommune. Wenn der Haushalt gedeckelt ist, wird an den freiwilligen Aufgaben gespart – gerne beim ÖPNV. Das karge Rumpfangebot ist nicht attraktiv. So schaffen wir keine Verkehrswende, wenn wir den ländlichen Raum nur über den PKW-Verkehr bedienen.“

Weniger motorisierter Individualverkehr und attraktivere öffentliche Angebote brauchen eine solide Finanzierung. Wird der öffentliche Nahverkehr weiter je nach Kassenlage der Kommune betrieben, scheitert die Verkehrswende auf dem Land. Hier ist die Politik gefordert, um für Verkehrsprojekte vorhandene Gelder anders aufzuteilen und den öffentlichen Nahverkehr auf dem Land stärker finanziell zu unterstützen.

Für Sylvester gibt es nicht das eine Erfolgskonzept, das überall funktioniert. Immer sei der Schulterschluss zur Realität entscheidend: „Nützliche Ideen entstehen nur, wenn man in echten Austausch tritt. Ob etwas funktioniert oder nicht, hängt auch stark mit dem Engagement in der Region zusammen.“

Der Rufbus ist ein inzwischen häufig anzutreffendes Angebot der regionalen Verkehrsbetriebe. Er fährt in der Regel die Strecken der Linienbusse – aber nur auf Anfrage. So werden Leerfahrten großer Busse vermieden. Doch wie Anja Sylvester aus ihrer Praxis weiß, ist der Rufbus kein Selbstläufer.

Ein Beispiel vom Gelingen findet sich im Landkreis Teltow-Fläming in Brandenburg. 2010 gab es hier das erste flexible Rufbusangebot. Ein Fahrzeug fuhr damals im Gemeindegebiet zur Wunschzeit von und zu jeder beliebigen Haltestelle. Eine Bürgermeisterin hatte sich dafür stark gemacht. Doch richtig los ging es erst, als auch die Verkehrsbetriebe das Projekt Rufbus aktiv begleiteten.

Dirk Müller, verantwortlich für Verkehrsplanung und Qualitätsmanagement der Verkehrsgesellschaft Teltow-Fläming, befragte die Kunden. Für ihn entscheidend für den Erfolg eines Angebotes. Er sagt: „Wir müssen die Wünsche der Kunden kennen und dabei auch am Ball bleiben, denn Bedürfnisse können sich ändern.“ Als zweites nennt Müller die Flexibilität bei der Suche nach Dienstleistern – wenn nötig, klein anfangen und schrittweises Mitwachsen ermöglichen. Ebenso wichtig findet er die Zusammenarbeit mit den Gemeinden und Multiplikatoren. Werbung und Information zum Rufbusangebot gehören dazu, aber auch immer wieder hinschauen und Stolpersteine aus dem Weg räumen.

Rufbus unkompliziert buchen

Die Kundenumfrage zeigte, dass diejenigen, die den Rufbus nutzten, überaus zufrieden waren. Dazu gab es eine ganze Menge Wünsche, die sich vor allem auf den Buchungsvorgang bezogen: Die Wartezeiten bei der telefonischen Buchung waren zu lang, die Mitarbeiter in der Rufbuszentrale hatten wenig Ortskenntnis, die Möglichkeit zur Online-Buchung wurde vermisst, Fahrten fürs Wochenende mussten schon am Freitag gebucht werden. Die Ausdehnung der Bedienzeiten war ein weiterer Wunsch.

Seitdem ist die Buchung sehr viel einfacher geworden: Zum einen hat der Landkreis die Rufbuszentrale als Dienstleistung an einen Sicherheitsdienst in der Region übertragen. Die Zentrale dort ist 24 Stunden an sieben Tagen der Woche besetzt und die Mitarbeiter haben Ortskenntnisse. Freundlichkeit und kürzere Wartezeiten – nur 8 Sekunden in der Warteschleife – das kommt bei den Kunden gut an. Die Buchungssoftware wurde auf den Stand der Zeit gebracht und ein ganz grundsätzlicher Schalter umgelegt: Jetzt entscheidet die Software, ob ein Rufbus fährt oder nicht. Online kann der Rufbus nun ebenfalls gebucht werden. Außerdem ist Dirk Müller stolz darauf, dass die Rufbusfahrten auch beim Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB) beauskunftet werden. „Das hat viel Kraft gekostet. Die Mühe hat sich aber gelohnt. So werden auch Ortsfremde über das Rufbusangebot informiert“, erzählt er. Es ist ein Rundumpaket, welches bei den Bedürfnissen der Kunden beginnt.

Fahrdienstleister mitwachsen lassen

Das rare Angebot an Transportdienstleistern auf dem Lande bremst neue Rufbuslinien aus. Externe Auftragnehmer sind für die Verkehrsbetriebe wichtig, denn sie haben die notwendigen kleinen Fahrzeuge, die die Verkehrsgesellschaft sonst erst anschaffen müsste. Außerdem schätzt Dirk Müller an Taxiunternehmen und karitativen Fahrdiensten die Erfahrung der Fahrer im Umgang mit Kunden. Er berichtet: „Anfangs wurden freie Kapazitäten durch uns zugekauft. Das war für beide Seiten wirtschaftlich eine gute Sache. Wir mussten keine ganzen Fahrzeuge bezahlen und auch keine Vollzeitstellen. Inzwischen haben wir so eine große Nachfrage, dass die Dienstleister feste Fahrzeuge für uns einplanen.“

Müller erzählt die Geschichte eines Taxiunternehmers, der grundsätzlich bereit war, Rufbusfahrten zu übernehmen. Allerdings hatte er Bedenken, von heute auf morgen einen von der Planungsgesellschaft recht umfassend formulierten Anforderungskatalog zu erfüllen. Müller vereinbarte als Einstieg die Übernahme eines fahrplangebundenen Rufbusses. Nach den ersten Erfahrungen schien dem Unternehmer auch das flexible Fahren machbar. Schließlich konnte das Rufbusgebiet für diesen Dienstleister ausgedehnt werden. Das Unternehmen hatte sich Kilometer für Kilometer in das Rufbusgeschäft eingearbeitet. „Wenn wir umgekehrt darauf bestanden hätten, dass das Konzept vollständig umgesetzt werden muss, hätten wir diesen Dienstleister nicht gewonnen“, ist Müller überzeugt.

Im kürzlich in Betrieb genommenen Rufbusgebiet im Bereich Trebbin fährt jetzt sogar ein Elektrobus. Die Gemeinde hat das Fahrzeug über ein Crowdfunding und auch die Ladeinfrastruktur beim Dienstleister finanziert.

Besonders freut sich Müller, dass der Rufbus junge Erwachsene vom Mama-Taxi unabhängiger macht. Fahrten zur Ausbildungsstelle, zum Pferdehof oder zum Schülerpraktikum kann diese Klientel dank dem Rufbus selbstständig bewältigen. Gibt es weiteren Haltebedarf an Einkaufszentren, bei Ärzten oder an Badeseen, wird eine zusätzliche Haltestelle eingerichtet. Dafür sind keine aufwendigen Baumaßnahmen notwendig – ein Schild wird aufgestellt und informiert über das Angebot. Beim Rufbus ist das hinnehmbar, beim Linienbus ist die unbehauste Wartestelle am Straßenrand wenig kundenfreundlich. Denn komfortabel ist das für die Wartenden im Winter oder bei Regen nicht. An vielen Landbahnhöfen und Bushaltestellen gibt es keinerlei Wetterschutz, geschweige denn eine Sitzgelegenheit.

Einzellösungen unter einen Hut bringen

Anja Sylvester von Landlogistik ist eine glühende Verfechterin des Gedankens, die vielen Einzelsysteme – Bus, Bahn, Mikrologistik – als ein System zu sehen und zu entwickeln. Sie berichtet aus ihrer Erfahrung: „Die Nahversorgung ist ein echtes Sorgenkind. Der Großhandel bestimmt die Versorgungsstrategie, nur leider ist er nicht bereit, durch die Lande zu ziehen und Kleinstmengen auszuliefern.“ Stattdessen schießen die Discounter auf der grünen Wiese aus dem Boden – so entsteht zusätzlicher Verkehr und die Transportleistung übernehmen die Privatkunden. „Der Wirtschaft fällt es schwer, eine bezahlbare Logistik für Kleingüter auf die Beine zu stellen“, konstatiert Sylvester. Die Selbstauslieferung sei häufig kostenaufwändiger als gedacht und unter Klimaschutzaspekten nicht die beste Wahl.

Landlogistik tritt dafür ein, alle freien Ladeflächen von wem auch immer miteinander zu verknüpfen. Bus, Regionalbahn, Behindertenfahrzeug, regionale Erzeuger – sie alle haben eine Restfläche, die zum Warentransport genutzt werden kann. Das Ziel: alle Sowieso-Fahrten effizienter auslasten, Verkehr vermeiden und damit auch Emissionen reduzieren.

Als Vorbild dient die Idee der Postkutsche. In der Uckermark ist diese Idee seit zehn Jahren tägliche Praxis. Der Kombibus befördert Personen und transportiert Waren. Alle Linienbusse in der Uckermark sind gleichzeitig Kombibusse – wenn eine Warenmitnahme gebucht wurde. Dabei kann der öffentliche Nahverkehr einen wichtigen Vorteil ausspielen: Er fährt zuverlässig, pünktlich, auch in den Abendstunden und nach allseits bekannten Fahrplänen. „Same-day-delivery“ wird hier übererfüllt – mehrmals am Tag beim Kunden vorbeizufahren schafft kein Logistikdienstleister, sehr wohl aber der öffentliche Personenverkehr.

Die moderne Postkutsche

Für Anbieter von gepäckfreien Wandertouren oder Fahrradreisen ist der Kombibus eine perfekte Lösung. Andere Nutzer sind Produzenten von Waren, die Kleinstmengen ihrer Produkte in die regionalen Verkaufsstellen befördern. Ein Kunde der ersten Stunde ist der regionale Lebensmittelhändler Q-Regio. Geschäftsführer Pieter Wolters ist mit dem Kombibus sehr zufrieden, liefert er doch seine Waren an verschiedene Geschäfte im Landkreis zuverlässig und pünktlich aus. Wenn der Schulbus seine Schüler abgeliefert hat, hält er auf der Rücktour bei Q-Regio und lädt die Lebensmittel ein, sehr oft Waren in Kühlboxen. Sogar Speiseeis in Isolierboxen erreichen bestens gekühlt ihre Adressaten. Innerhalb von zwei Stunden inklusive Umladen in Prenzlau sind die Waren am Ziel. Für Wolters sind lediglich die Schulferien problematisch, wenn der Schulbus nicht fährt. Er wünscht sich außerdem eine Kopplung des Angebotes über die Grenzen des Landkreises hinweg.

„Innerhalb von vier Stunden kann im Landkreis Uckermark eine Ware mit dem Kombibus von A nach B geliefert werden“, berichtet der Geschäftsführer der Uckermärkischen Verkehrsgesellschaft Lars Boehme. Diese Zeitangabe bezieht sich auf die Fläche des Landkreises, rund 70 mal 120 Kilometer. Gebucht wird online oder telefonisch. Die Anrufe laufen in der Rufbus-Zentrale ein. Bereits bei der Bestellung wird disponiert, der Kunde erfährt, zu welcher Uhrzeit die Ware an der gewünschten Haltestelle ankommt. Für den Fahrer wird ein Frachtbrief erstellt, so dass der Fahrer weiß, wann und wo Güter aufgenommen werden und wohin sie unterwegs sind.

Die Ware wird im Gepäckraum verstaut, der je nach Art des Busses verschieden groß sein kann. Die Preise richten sich nach Gewicht und Entfernung und liegen zwischen 15 und 20 Euro, wobei das Höchstgewicht eines Stückes 25 Kilogramm ist. Lars Boehme sieht noch Potenzial. „Wir könnten noch viel mehr Güter befördern“, sagt er. Im Landkreis wird gerade ein weiteres Logistikangebot getestet: der UCKERWarentakt, der Waren regionaler Händler mit dem Linienbus in den jeweiligen Dorfladen liefert.

Niemand will verloren am Bahnhof stehen

Nach Meinung von Boehme sollte das Mobilitätsangebot auf dem Land reichlich ausgestaltet werden, die verschiedenen Angebote sich sinnvoll ergänzen. Die größte Lücke sieht er in der fehlenden Mobilitätsgarantie. „Die Menschen auf dem Land wollen für ihre Freizeitaktivitäten, für Wege zur Schule, zur Ausbildung oder zum Sport ein Angebot haben.“ Den Stundentakt, den die Bahn vorgibt, sollte der öffentliche Nahverkehr aufnehmen und bedienen – sonst stehen die Kunden verloren am Bahnhof oder nutzen von vornherein weder Bahn noch Bus. Stattdessen wachsen die Pendlerströme.

Sylvester hat mit ihrer Firma den nächsten Meilenstein schon vor Augen. Mit dem Cargo-Surfer, einem vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr geförderten Projekt, soll das digitale Herz der Landlogistik wachsen. Gemeint ist eine Software für multimodale Logistikprozesse – eine KI-gesteuerte Vermittlungsplattform. Multimodal meint über mehrere Transportmittel hinweg: vom Lastenrad in die Bahn, von dort in den Bus oder andere Mitnahmegelegenheiten – und alles in Echtzeit. In den nächsten drei Jahren soll das Werkzeug gemeinsam mit Partnern entwickelt werden und dann über Bestellung, Fahrerapp, Scanning, Buchung, Tracking und Abrechnung eine verlässliche Transportkette vermitteln.

Zusätzlich werden neue Ideen ihren Weg in die Praxis finden, die ähnlich wie der Cargo-Surfer stark digital geprägt sind: privat organisierte Sharingmodelle beispielsweise – mit Auto oder Lastenrad. Petra Franke


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