Straßenverkehr: Begründete Zweifel an Nachhaltigkeit von Dieselkraftstoff HVO100
Beim Ausstoß genauso klimaschädlich wie ein Diesel-Auto und bei Feinstaub und Stickoxiden sogar noch gesundheitsgefährdender – der viel gepriesene Dieselkraftstoff HVO100 fällt in unabhängigen Tests durch.
28.06.2024 – Es sei ein wichtiger Schritt für mehr Klimaschutz im Verkehr, so Bundesverkehrsminister Volker Wissing vor der Freigabe des Dieselkraftstoffs HVO100. „Der Kraftstoff ist besonders hochwertig und nachhaltig“, so Wissing weiter. Ende Mai wurde der Kraftstoff zugelassen. Bislang ist er nur an wenigen Tankstellen in Deutschland verfügbar. Auch die Bahn setzt zunehmend HVO für ihre Dieselloks auf bestimmten Regionalstrecken ein.
HVO steht für Hydrotreated Vegetable Oils, wird in Deutschland von der Firma Neste vertrieben und nach Firmenangaben überwiegend aus nachhaltigen Rest- und Abfallstoffen wie zum Beispiel Altspeisefette gewonnen. Mittels Reaktion mit Wasserstoff werden die Pflanzenöle in Kohlenwasserstoffe umgewandelt und anschließend in einer sogenannten Isomerisierung die Moleküle so modifiziert, dass ein in Verbrenner-Motoren nutzbarer Kraftstoff entsteht. Laut Bundesverkehrsministerium werden bei der Produktion mehr als 90 Prozent an Treibhausgasemissionen eingespart – im Gegensatz zu herkömmlichen Kraftstoffen.
Bei der Verbrennung im Motor dagegen setzt HVO100 ähnlich viel Treibhausgasemissionen frei wie Diesel. die europäische Umweltorganisation Transport & Environment (T&E) aber zeigt in einer aktuellen Untersuchung, dass weltweit viel zu geringe Mengen alter Frittieröle verfügbar sind, um den steigenden Bedarf für HVO100 zu erfüllen. Nach Deutschland und Europa importiert werden Altspeisefette vor allem aus China und anderen asiatischen Ländern, was mit langen Exportwegen und damit hohen Emissionen einhergeht. Die Vermutung liegt zudem nahe, dass die Lücke doch mit extra angebauten Pflanzenölen wie Palmöl gefüllt wird, was die klimaschädigende Wirkung von HVO100 steigert. Transparente Daten dazu gibt es keine.
Zudem muss HVO energieintensiv mit Wasserstoff hergestellt werden, dem „Champagner der Energiewende“. Insbesondere grüner Wasserstoff ist absehbar in Deutschland nicht in großen Mengen verfügbar und wird für energieintensive Prozesse, insbesondere in der Industrie gebraucht. Global kommt zur Herstellung von Wasserstoff aktuell vor allem klimaschädliches Gas zum Einsatz.
Erhebliche Gesundheitsgefährdung
Ein weiteres vermeintliches Versprechen von Wissing und den Herstellern von HVO100: der Ausstoß von Feinstaub, Partikeln und Stickoxiden sei geringer. Trifft das auf größere Feinstaubpartikel zu, sind die weiteren Versprechen, laut Tests der Deutschen Umwelthilfe (DUH), nicht zu halten. Aktuelle Messungen der DUH an einem Euro-5-Diesel-Pkw VW Touareg 3.0 sowie Messungen des ADAC zeigten bei Stickoxiden im Straßenverkehr einen Anstieg der Emissionen von 533 mg/km bei Verwendung von konventionellem Diesel auf 643 mg/km mit HVO100.
Axel Friedrich, Leiter des Emissions-Kontroll-Instituts der DUH: „Unsere Messungen an einem VW Touareg Euro 5 zeigen, dass die Stickoxidemissionen bei HVO100 ungefähr 20 Prozent höher sind als bei herkömmlichem Diesel. Besonders problematisch ist jedoch, dass auch die ultrafeinen Partikel ansteigen. Diese sind besonders schädlich für die Gesundheit, weil sie tief in den Körper bis in die Blutbahnen eindringen.“ Das kann unter anderem zu Atemwegsproblemen, aber auch Bluthochdruck, Diabetes, Schwangerschaftskomplikationen und Demenz führen.
In einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz kritisierte Friedrich, dass die Aussagen des Hersteller Neste einfach vom Bundesverkehrsminister übernommen wurden. „Man macht Werbung, ohne genau geprüft zu haben“, so Friedrich. Der Reduzierung des Ausstoßes von Ultrafeinpartikeln mit HVO100 ließe sich nur mit der Umrüstung von Millionen Euro5 Autos beikommen.
Friedrich verwies zudem darauf, dass die Inhaltsstoffe von HVO in anderen Bereichen viel besser, weil ohne hohen Energieaufwand, genutzt werden. Alte Frittieröle sind zum Beispiel ein wertvoller Rohstoff in der chemischen Industrie. Eingesetzt für HVO100, würde das Altfett dort fehlen und müsste durch Rohölprodukte ersetzt werden.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH, fordert vom Bundesverkehrsministerium mehr Transparenz. „Wir haben Bundesverkehrsminister Volker Wissing aufgefordert, die falschen Aussagen zu einer angeblich reduzierten Umweltbelastung in den Städten und Gemeinden durch den HVO100-Diesel sofort zu stoppen. Wir wollen von ihm darüber hinaus wissen, seit wann ihm die gesundheitlich problematischen Messwerte bekannt sind.“ Es brauche nun breit angelegte und belastbare Messungen welche Fahrzeuge tatsächlich – ohne zusätzlich die Atemluft zu belasten – HVO100 tanken können.
Grundsätzlich fordert die DUH eine Mobilitätswende, die den Fokus auf den öffentlichen Verkehr, Fahrrad- und Fußverkehr legt. Bei Pkws müsse der Trend – ebenso wie bei Lkws – zu batterieelektrischen Antrieben gehen. Zudem sollen Pkws wieder effizienter und damit tendenziell kompakter werden. mg