Tempolimit: Polizei, Umweltorganisationen und Betroffene gegen das Rasen auf deutschen Straßen
Die Forderung ist nicht neu, das gesellschaftliche Bündnis umso größer. Gemeinsam mahnen sie die sofortige Einführung eines Tempolimits auf deutschen Straßen an – innerorts wie außerorts – für Klimaschutz und Verkehrssicherheit.
08.07.2024 – Tempo 100 auf deutschen Autobahnen, 80 auf Landstraßen und striktes Tempo 30 innerorts – klar und deutlich positionieren sich die Gewerkschaft der Polizei NRW, der ökologische Verkehrsclub VCD, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Verkehrsunfall-Opferhilfe Deutschland (VOD), Changing Cities und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gegen die Blockadehaltung der Bundesregierung für stringentere Tempolimits.
Auf Autobahnen gelten aktuell nur abschnittsweise Tempolimits, sonst heißt es freie Fahrt, mit der gefährlichen Folge hoher Geschwindigkeiten. Für Landstraßen gilt generell Tempo 100, mit abschnittsweisen Einschränkungen. Innerorts gilt grundsätzlich Tempo 50, mit teilweise 70 auf größeren Straßen und Tempo 30 bis Schrittgeschwindigkeit auf kleineren Straßen und in Wohnquartieren.
In Deutschland gibt die kürzlich erzielte Einigung zwischen Bundesrat und Bundestag zur Reform des Straßenverkehrsgesetzes und Straßenverkehrsordnung künftig Kommunen mehr Spielraum bei der Einrichtung von Tempo 30 Zonen, sowie der Schaffung autoreduzierter oder -freier Räume. In Berlin etwa, sollen aber viele eingeführte Tempo 30 Zonen unter dem CDU geführten Verkehrssenat wieder aufgehoben werden. Auf Autobahnen ist Deutschland europaweit das einzige Land ohne Tempolimit.
Unverständnis äußert das Bündnis darüber, dass die Bundesregierung sich weiterhin gegen generelle Tempolimits ausspricht, obwohl die Klimaziele für 2030 absehbar verfehlt werden und die hohe Zahl der Verkehrstoten in Deutschland zuletzt sogar wieder anstieg. Kerstin Haarmann, Bundesvorsitzende des VCD: „75.000 Menschen sind in den letzten 20 Jahren auf deutschen Straßen ums Leben gekommen. Das entspricht dem Fassungsvermögen der AllianzArena in München. Eine unerträgliche Zahl. Die Bundesregierung hat sich zwar der Vision Zero –Null Verkehrstote und Schwerverletzte – verpflichtet, doch verweigert sie sich gleichzeitig dem Tempolimit auf Autobahnen und Tempo 30 innerorts.“
Silke von Beesten, Vorsitzende der VOD, verweist auf verschiedene Studien, die nachweisen, dass eine Entschleunigung des Verkehrs zu einer signifikanten Reduzierung von tödlichen Unfällen und schwerstverletzten Verkehrsteilnehmern führt. Besonders betroffen: Kinder. „Alle 19 Minuten wird ein Kind im Straßenverkehr verletzt oder stirbt“, so Ragnhild Sørensen, Pressesprecherin von Changing Cities. Doch Bundesverkehrsminister Volker Wissing scheint dies egal zu sein, mit der fälschlichen Annahme, dass es für ein Tempolimit in Deutschland keine Mehrheit gebe.
Michael Mertens, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei NRW, sieht angesichts der steigenden Anzahl an Elektroautos mit dem Tempolimit erhebliche Vorteile in der Harmonisierung des Verkehrs. „Elektrofahrzeuge lassen sich nicht ohne dramatische Verkürzung der Reichweite mit Geschwindigkeiten über 130 km/h bewegen. Dadurch verändert sich der Verkehrsfluss auf den Autobahnen und einzelne deutlich schnellere Fahrzeuge stellen ein immer größeres Unfallrisiko dar.“
Ein Tempolimit für die Klimaziele
Auch das Risiko verfehlter Klimaziele steigt. Schuld trägt vor allem der Verkehrssektor, der nach einer Novelle des Klimaschutzgesetzes Ende April nicht mehr eigene Sofortprogramme vorlegen muss, um die Klimaziele einzuhalten. um 13 Millionen Tonnen überstiegen die Emissionen im Verkehr 2023 die zulässige Jahresemissionsmenge für den Sektor. Für die nächsten Jahre sieht es nicht besser aus.
„Ein Tempolimit ist die effektivste Klimaschutzmaßnahme im Verkehr, die sofort wirkt und praktisch nichts kostet“, sagt Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Mit den vorgeschlagenen Tempolimits ließen sich jährlich 11 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Gegen das vor der Novelle geltende Klimaschutzgesetz hatten Umweltverbände Klage eingereicht und im November 2023 Recht bekommen. Das 2023 eingereichte Programm des Bundesverkehrsministeriums für die Verfehlungen 2021 (knapp 2 Millionen Tonnen) und 2022 (rund 9 Millionen Tonnen) sei unzureichend.
Sollte Bundespräsident Walter Steinmeier die vom Bundestag beschlossene Novelle des Klimaschutzgesetzes unterschreiben, kündigte ein breites Bündnis von Organisationen gemeinsam mit vielen Privatkläger:innen an, gegen die Novelle erneut vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Mit Verweis auf das im November 2023 erstrittene Urteil sowie die 2021 erfolgreiche Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht gelte weiterhin die Einhaltung der Klimaziele zum Schutz künftiger Generationen, die mit der aktuellen Novelle umso mehr in Gefahr sei. mg