Menü öffnen

KoalitionsausschussVerkehr in der Grauzone

Autos auf einer Straße im Stau und viele stehende Güterzüge dahinter
Stau auf der Straße und beim Schienengüterverkehr – Lösungen müssen her. (Bild: qwesy qwesy, Wikimedia Commons, CC BY 3.0)

Für Verkehrsminister Wissing gut, ist die Aufhebung der Sektorenziele für den Klimaschutz ein Desaster. Doch in anderen Punkten sind die Ergebnisse des Koalitionsausschusses zum Verkehr nicht so eindeutig. Auch positives gibt es zu vermelden.

30.03.2023 – Der erste Eindruck bei vielen, Ernüchterung und Wut auf die Ergebnisse des Koalitionsausschusses, die nach zweieinhalb langen Verhandlungstagen am Dienstagabend von den Parteivorständen der Ampelparteien verkündet wurden. „FDP beerdigt alle Chancen, das Pariser Klimaschutz-Abkommen einzuhalten. Zu schwache Grüne können das nicht verhindern und die SPD ... Wer zum Teufel war noch mal die SPD und wer ist Kanzler?“, twitterte der Energieexperte Volker Quaschning auf Twitter. Besonders die faktische Aufhebung der Sektorenziele stößt bei vielen auf völliges Unverständnis.

„Das geplante Schleifen des Klimaschutzgesetzes aus der Merkel-Ära mit den verpflichtend einzuhaltenden jährlichen Sektorziele widerspricht komplett Geist und Inhalt des historischen Klimaschutzurteils des Bundesverfassungsgerichts, das wir als Deutsche Umwelthilfe mit Kindern und jungen Erwachsenen erstritten haben“, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe Jürgen Resch. Laut Beschluss der Bundesregierung soll die Einhaltung der Klimaschutzziele „zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden“, heißt ein einzelner Sektor, wie der Verkehr, kann seine jährlichen Klimaziele verfehlen und wird nicht sofort zum Nachsteuern verpflichtet, wenn Deutschland über alle Sektoren hinweg seine mehrjährigen Klimaziele einhält.

Ob mit dem Beschluss Deutschland seiner Verpflichtung zu effektivem Klimaschutz nachkommt, bezweifeln Expert:innen. Hermann Ott, Leiter des deutschen Büros der Umweltrechtsorganisation ClientEarth erklärte am gestrigen Mittwoch: „Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Klima-Beschluss von 2021 eine klare Verpflichtung des Staates zu effektivem Klimaschutz, zur Sicherung von Freiheitschancen in der Zukunft und zum Erreichen selbstgesetzter Klimaziele festgestellt. Dieser Beschluss besagt auch deutlich, dass diese Verpflichtungen nicht in die Zukunft verschoben werden dürfen.“  Sollte eine Novelle des Klimaschutzgesetzes diesen Vorgaben nicht genügen, könnte diese, laut ClientEarth, wieder sehr schnell vor dem Bundesverfassungsgericht landen.“

Vor allem, um den Verkehrssektor aus der Schusslinie zu nehmen, hatte die FDP auf die Abschaffung der verbindlichen Sektorenziele gedrängt. Im Verkehrsbereich wurden im letzten und vorletzten Jahr die Treibhausgasreduktionsvorgaben deutlich überschritten. Auch die Festschreibung bestimmter Autobahnvorhaben als „überragendes öffentliches Interesse“ ist eine Forderung der FDP, die Eingang in das Beschlusspapier fand. Damit werden für bestimmte Straßenprojekte andere Belange, wie eine Umweltverträglichkeitsprüfung hintenan gestellt. Von 144 Bundesfernstraßenvorhaben mit vordringlichem Bedarf oder laufender und fest disponierter Vorhaben ist die Rede, deren Festschreibung im Einvernehmen mit dem jeweils betroffenen Land getroffen geschehen soll.

Größere Entscheidungsspielräume

Der Grüne Umweltminister Niedersachsens, Christian Meyer, wies auf Twitter daraufhin, dass keine Autobahnen wie die A20, A33 und A39 beschleunigt würden, sondern es um 144 Engpassstellen ohne Neubauten gehe. „Es sind 144 kleine Projekte der Liste vordringlicher Bedarf, mit Engpassbeseitigung, also ca. 600 km, und kein Neubau, sondern kleinste Lückenschlüsse, wo manche bestehende Autobahnen acht mal vorkommen“, so Meyer weiter. Auch viel kritisierte Vorhaben, wie der weitere Ausbau der A100 in Berlin bis nach Friedrichshain rein, sind dort nicht enthalten. Doch vom Tisch ist der Ausbau damit nicht. Eine künftige schwarz-rote Landesregierung könnte den Bau wieder vorantreiben.

Die Ampel-Koalitionäre wollen Ländern und Kommunen zudem größere Entscheidungsspielräume durch eine Modernisierung des Straßenverkehrsrechts geben, indem Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung so anpasst werden, „dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden.“ Das könnte auch Tempo 30 als Standard in vielen Kommunen vortrieb geben. Über 350 Städte und Gemeinden fordern dies inzwischen eigenmächtig umsetzen zu können. Bezüglich Autobahnen wiederum ist die Frage, ob CDU und SPD in Berlin, der vermeintlichen Flüssigkeit des Autoverkehrs Vorrang vor den anderen Zielen geben. Es bestehe weiterhin die Gefahr, dass man beim Bau neuer Autobahnen Emissionen schön rechne, indem man argumentiert, dass dort künftig nur noch Elektroautos fahren und neben der Fernstraße Solarzellen sind, so Michael Müller-Görnert vom ökologischen Verkehrsclub Deutschland VCD, gegenüber energiezukunft.

Im Beschlusspapier wird festgelegt, bei jedem Meter Autobahnbau, genauso wie beim Schienennetz, die Projektierung von Erneuerbaren Energien neben den Trassen zu prüfen. Für Grüne Politiker:innen ein Erfolg der Verhandlungen. Doch eine Auswertung des Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) zu den 144 vorrangigen Autobahnprojekten zeigt zugleich, dass auf mehreren tausend Hektar europaweit geschützte Lebensräume und hunderte Moorflächen bedroht sind. Projektierer sind bislang verpflichtet Ausgleichflächen für zerstörte Naturräume zu schaffen. Künftig soll es auch möglich sein Geldzahlungen zu leisten, mit denen zusammenhängende länderübergreifende Biotopverbunde als Vorrangfläche geschaffen werden sollen. Dafür soll ein Flächenbedarfsgesetz erarbeitet und beschlossen werden, was der BUND grundsätzlich begrüßt.

Kein „Straße finanziert Straße“ mehr

Ebenfalls positive Reaktionen ruft die Erhöhung der Lkw-Maut hervor. Für Lastkraftwagen mit Verbrenner soll von 2024 an ein CO2-Aufschlag in Höhe von 200 Euro pro Tonne CO2 eingeführt werden. Emissionsfreie Lkws dagegen sind bis 2025 von der Maut befreit und müssen dann nur 25 Prozent des regulären Satzes bezahlen. Ein deutlicher Kostenanreiz für Unternehmen und Logistiker auf emissionsfreie Lkws umzusteigen, was die Bundesregierung mit weiteren Mitteln fördern will.  Fließen sollen die Einnahmen aus der Lkw-Maut zu 80 Prozent in den Ausbau des Schienenverkehrs. einen „Riesenfortschritt“, dass der Finanzierungskreislauf „Straße finanziert Straße“ der Lkw-Maut aufgebrochen werde, nannte es die Interessenorganisation Allianz pro Schiene. „Dadurch könnte es in den kommenden Jahren bis zu 45 Milliarden Euro zusätzlich für die Schiene geben – das wird mehr Kapazität schaffen und einen großen Unterschied für den Personen- und Güterverkehr machen“, so Geschäftsführer Dirk Flege.

Laut Beschlusspapier will die Bundesregierung mit verschiedenen Maßnahmen den Marktanteil des Schienengüterverkehrs auf 25 Prozent bis 2030 bringen. Dazu gehört etwa die anteilige Förderung der Trassenpreise, sowie eine stärkere Digitalisierung. Die Ampel-Koalition verspricht zudem insgesamt die Digitalisierung der Schiene weiter voranzutreiben. Und Für Genehmigungsverfahren zum Schienenausbau im Kernnetz, soll eine Frist von höchstens vier Jahren eingeführt werden. Wie bereits im Koalitionsvertrag festgelegt, soll deutlich mehr Geld in die Schiene als in die Straße investiert werden. Müller-Görnert vom VCD bezweifelt jedoch, dass die angekündigten 45 Milliarden Euro bis 2027 ausreichen werden. „Wenn man sich den Investitionsstau bei der Schiene anschaut, braucht es viele Milliarden mehr“, so Müller-Görnert.

Auch wie das im Beschlusspapier und zuvor schon angekündigte Ziel von 15 Milliarden E-Autos bis 2030 erreicht werden soll, bleibt vielen Schleierhaft. „Die Bundesregierung kündigt lediglich Maßnahmen zum Ausbau der Ladeinfrastruktur an. Die Frage, wie allein damit der Bestand an vollelektrischen Pkw bis 2030 von heute einer Million auf 15 Millionen Fahrzeuge anwachsen soll, bleibt unbeantwortet“, kritisiert Wiebke Zimmer, Stellvertretende Direktorin des Thinktanks Agora Verkehrswende. Nötig wäre, laut Zimmer, eine umfassende Steuerreform mit dem Abbau von Subventionen und Privilegien für Verbrennerfahrzeuge und einer klaren Ausrichtung von Kfz- und Dienstwagenbesteuerung am CO2-Ausstoß.

Stattdessen wird im 16-seitigen Beschlusspapier fast eine ganze Seite den vermeintlichen Vorteilen von E-Fuels auch im Pkw-Bereich gewidmet. Die Leute würden so in einer Illusion gewogen, weiter mit herkömmlichen Verbrennern zu fahren, so Müller-Görnert. Dabei ist der Einsatz von E-Fuels in Pkws vielfach von Expert:innen als falscher Weg identifiziert worden. Die hohe Energiedichte von E-Fuels ist zwar für den Luft- und Schiffsverkehr interessant, aber aufgrund des hohen und energieintensiven Herstellungsprozesses für Pkws gegenüber dem batterieelektrischen Antrieb ungeeignet. Der VCD warnt, dass mit der Ausweitung von E-Fuels in Pkws, das 15-Millionen Ziel für E-Autos zusätzlich Gefahr läuft, verfehlt zu werden. Denn für dieses Ziel müssten neue Autos in den kommenden Jahren fast nur noch mit E-Antrieb auf die Straße kommen.

Immerhin sollen über das „Sonderprogramm Flottenelektrifizierung“, die Fuhrparks von Kommunen und Unternehmen gezielt ausgetauscht werden, wobei auch hier nur von „CO2-neutrale Antrieben“ gesprochen wird. Die FDP scheint sich insgesamt, vor allem gegenüber den Grünen, in vielen Punkten durchgesetzt zu haben. Es bleibt abzuwarten, ob Verkehrsminister Volker Wissing die positiven Ansätze im Beschlusspapier auch wirklich umsetzt. Manuel Grisard


Mehr zum Thema


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft