Mobilität: Wo die Verkehrswende hinterherhinkt

Der Verkehrssektor bleibt Sorgenkind der deutschen Klimapolitik. Ob E-Mobilität oder ÖPNV, Analysen zeigen, wo in Deutschland die Verkehrswende im Rückstand ist. In den laufenden Koalitionsverhandlungen müssen dicke Bretter gebohrt werden.
26.03.2025 – Die Zahlen des Umweltbundesamtes (UBA) Mitte März sprachen wieder einmal eine deutliche Sprache. Zwar wurden die Klimaziele, wie im Jahr zuvor, erneut übererfüllt, doch das nur, weil Energie und Industrie durch Energiewende und Wirtschaftsflaute deutliche Einsparungen beim CO2-Ausstoß verzeichneten. Sorgenkinder bleiben der Gebäude- und Verkehrsbereich. „Die zurückhaltende Nachfrage nach batterieelektrischen Autos sorgt mich. Der Markhochlauf von Elektroautos muss wieder deutlich mehr Fahrt aufnehmen.“, sagte UBA-Präsident Dirk Messner.
Die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) hat ermittelt, wie hoch der Anteil Erneuerbarer Energien im Verkehr im letzten Jahr war und wie es mit dem E-Automarkt und der Ladeinfrastruktur in den Bundesländern bestellt ist. Der AEE zufolge lag der Anteil der Erneuerbaren Energien im Verkehr in Deutschland bei nur 7,2 Prozent. Dies bedeutet einen Rückgang um 0,4 Prozentpunkte gegenüber 2023. Die Erneuerbaren trugen insgesamt 42 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. kWh) zum Endenergieverbrauch im Verkehr bei, sechs Prozent weniger als im Vorjahr. Zwar wurde mit 9,2 Mrd. kWh deutlich mehr Strom eingesetzt, der Absatz von Biodiesel ist dagegen um ein Fünftel gesunken.
Das insgesamt der Absatz von E-Autos 2024 gegenüber dem Vorjahr zurückging, zeigen bereits andere Analysen aus diesem Jahr. Grund ist vor allem das Auslaufen des Umweltbonus – die staatliche Förderung beim Kauf von E-Autos. Der AEE hat zudem die Zulassungen nach Bundesländern aufgeschlüsselt. In absoluten Zahlen die meisten neuen Elektroautos zugelassen wurden in Bayern (81.054) zugelassen. Dahinter folgen Nordrhein-Westfalen (81.010) und Baden-Württemberg (66.479). Führend beim Anteil von E-Autos an den Neuzulassungen waren Hamburg (21,8 %), Baden-Württemberg (16,5 %) und Berlin (16,3 %).
Ohne gut ausgebaute Ladeinfrastruktur, kein Fortkommen auf dem E-mobilen Markt. Ende 2024 gab es in Deutschland 160.809 Ladepunkte, 35.939 davon zum schnellen Laden. Bis zum Jahr 2030 sollen eine Million öffentlich zugängliche Ladepunkte bereitstehen. In Bayern stehen die meisten Lademöglichkeiten bereit (31.309). Danach folgen Nordrhein-Westfalen (30.853) und Baden-Württemberg (27.611). Gemessen an der Landesfläche gibt es in den Stadtstaaten die meisten Ladepunkte. In Berlin stehen pro Quadratkilometer fast drei öffentlich zugängliche Lademöglichkeiten zur Verfügung. Unter den Flächenländern ist das öffentliche Ladenetz in Nordrhein-Westfalen (0,5), Baden-Württemberg (0,5) und in Hessen (0,3) am dichtesten.
Für viele ÖPNV noch keine Alternative
Die am gestrigen Dienstag erschienene Erhebung „Mobilität in Deutschland“ vom Bundesverkehrsministerium zeigt, dass für die Menschen in Deutschland das Auto noch immer eine überragende Bedeutung hat – wenn auch abnehmend. 218.000 Haushalte und 420.000 Menschen in Deutschland wurden zwischen Mai 2023 und Juni 2024 nach ihrem Mobilitätsverhalten befragt. Der Anteil der Wege, den die Befragten mit dem Auto zurücklegten – ob als Fahrer oder Beifahrer, liegt bei 53 Prozent. Im Jahr 2017, bei der letzten Erhebung, lag der Wert bei 57 Prozent. Der Wegeanteils des öffentlichen Verkehrs stieg leicht von 10 Prozent im Jahr 2017 auf 11 Prozent der Wege im Jahr 2023. Der Radverkehr verharrt bei 11 Prozent. Lediglich der Anteil der reinen Fußwege steigerte sich von 22 Prozent im Jahr 2017 auf 26 Prozent im Jahr 2023.
Für die Klimaziele im Verkehr entscheidend ist auch, dass insgesamt weniger Auto gefahren wird. Dafür braucht es neben einer besseren Radinfrastruktur einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr, der den Menschen eine gute und günstige Alternative zum motorisierten Individualverkehr bietet. Laut einer Greenpeace-Analyse hat aber rund ein Viertel der Menschen in Deutschland einen sehr schlechten Zugang zum ÖPNV. Es sind überwiegend Menschen, die auf dem Land leben, denen es schwer gemacht wird öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Während der ÖPNV in kreisfreien Großstädten für rund 78 Prozent der Menschen gut oder sehr gut ist, ist es dieser in ländlichen Kreisen gerade einmal für 11 Prozent. Dort hat mit 52 Prozent über die Hälfte der Bevölkerung nur sehr schlechten Zugang zu Bus und Bahn.
In der letzte Woche Freitag veröffentlichten Analyse hat das Münchner Unternehmen lan4Better im Auftrag von Greenpeace die Fahrpläne aller 11.000 Gemeinden und Landkreise in Deutschland ausgewertet und das Angebot in Güteklassen eingeteilt. Güteklasse A bedeutet S- oder U-Bahn in einem Takt von weniger als 10 Minuten bis zu 500 Meter vom Wohnort entfernt. Güteklasse F dagegen gerade mal das Basisangebot eines Busses im ein bis 2 Stunden Takt, im Umkreis bis zu 300 Meter von Zuhause. In einigen Landkreisen fehlt ein Angebot sogar fast vollständig, sodass keine Güte ermittelt werden konnte.
Insgesamt schnitten vor allem die Bundesländer Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern mit vielen Landkreisen ohne Güteklasse besonders schlecht ab. Besonders gut dagegen, mit Güteklasse A, ist das ÖPNV-Angebot in vielen Großstädten dieser Republik, wie Berlin, München, Köln, Düsseldorf, Stuttgart, Frankfurt am Main, Essen, Dortmund und Leipzig.
Bei genauerer Betrachtung aber stagniert in den meisten Großstädten das Angebot oder nimmt sogar ab. Für diesen Teil der Analyse ermittelte lan4Better Anzahl der Abfahrten des öffentlichen Linien-Nahverkehrs im Stadtgebiet der 30 einwohnerreichsten Städte Deutschlands an einem durchschnittlichen Werktag, im Vergleich zum Sollfahrplan. Da ein einzelner Stichtag möglicherweise kein repräsentatives Bild des ÖPNV-Angebots für das gesamte Jahr liefert, wurde der Fahrplan ab dem Veröffentlichungsdatum für einen Zeitraum von sechs Monaten herangezogen und für jede Linie das typische Angebot für Dienstag als statistisch üblichen Wochentag herangezogen. Dort wo es Veränderungen gegenüber den Vorjahren von mehr als einem Prozent gab, schrieb Greenpeace die Stadtverwaltungen an. Zwar gaben einige Städte an, andere Prozentzahlen ermittelt zu haben, erklärten jedoch, dass die Zu- oder Abnahme des ÖPNV-Angebots grundsätzlich stimme.
„Die Klimaziele im Verkehr lassen sich nur mit einem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr erreichen. Dafür aber müsste das ÖPNV-Angebot pro Jahr um mindestens 4,5 Prozent wachsen“, so Greenpeace. Einen Wert, den einzig Leipzig in der Auswertung von lan4Better erreichte. Metropolen wie Frankfurt, Köln und Berlin aber verzeichneten sogar einen Rückgang an Verbindungen.
„Eine Großstadt ohne gutes Bus- und Bahnangebot ist keine. Der ÖPNV ist das Rückgrat eines sauberen, klimaschonenden Verkehrs, doch in den meisten Städten steht der Ausbau auf der Kriechspur. Weil Gelder fehlen, streichen viele sogar Verbindungen und zwingen Menschen so zurück ins Auto“, sagt Greenpeace Verkehrsexpertin Lena Donat. Bund und Länder müssten Gemeinden finanziell so ausstatten, dass Städte ihre Bus- und Bahnnetze ausbauen können.
Schwierige Koalitionsverhandlungen
Neben einem gut ausgebauten ÖPNV ist auch der Preis ein Anreiz öffentliche Busse und Bahnen zu nutzen. Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen forderte der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) diese Woche eine langfristige Fortführung des Deutschlandtickets. „Branche und Fahrgäste brauchen endlich eine verbindliche mehrjährige Finanzierungszusage, damit das Potenzial des Tickets voll ausgeschöpft werden kann“, sagte VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Schon jetzt sei das Ticket "eine Erfolgsgeschichte, die den Zugang zum ÖPNV für die Bürgerinnen und Bürger vereinfacht".
Das fordert auch der scheidende Verkehrsminister Volker Wissing. Zudem müssten nun weitere Schritte folgen, zum Beispiel die digitale Erfassung der Fahrleistung, um die erzielten Einnahmen anschließend gerecht auf die Verkehrsträger zu verteilen. Aus der zuständigen Arbeitsgruppe in den Koalitionsverhandlungen ist zu vernehmen, dass zur Fortführung des Deutschlandtickets Einigkeit herrsche. Auf lange Sicht wolle man die Kosten stärker an sozaieln fragen ausrichten. Derweil müsse auch das Angebot weiter ausgebaut werden, so Wissing gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. In Ihrem Wahlprogramm erklärte die SPD, man wolle in der Stadt wie auf dem Land Alternativen zum privaten Pkw stärker fördern. Und deutlich mehr Geld in Sanierung und Ausbau des Nah- und Fernverkehrs stecken. Dafür könnten mit dem Sondervermögen Infrastruktur nun erhebliche Mittel bereitstehen. In der Arbeitsgruppe Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen erklärten die Verhandler:innen mittelfristig eine weitreichende Bahnreform anzustreben. Mehrere Zeitungen berichteten über geleakte Papiere aus den Koalitionsverhandlungen.
Mittel aus dem Sondervermögen würde die Union erwartungsgemäß auch gerne in Sanierung und Ausbau von Straßen investieren, die sich in der Vergangenheit für einen gleichmäßigen Erhalt des Autos im Verkehrssektor einsetzten und eine einseitige Fokussierung auf die E-Mobilität ablehnen. Neben der Elektromobilität sollen alle klimafreundlichen Möglichkeiten für alternative Antriebe und energieeffiziente Kraftstoffe genutzt werden. Dazu gehören „E-Fuels, Wasserstoff und nachhaltige Biokraftstoffe“, so das Credo der Technologieoffenheit im Wahlprogramm von CDU/CSU.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hingegen bekräftigte in der Bild am Sonntag die Forderung nach einer Anschubfinanzierung für die Elektromobilität. „Ich bin auf alle Fälle für einen Kaufanreiz - gerade für Menschen, die nicht ein neues Auto einfach mal so kaufen können“, so Miersch. Auch hierfür müsse das Sondervermögen eingesetzt werden. Hinter der Formulierung Mierschs steht unter anderem das Konzept staatlich finanzierter Leasingprogramme von E-Autos für einkommensschwache Haushalte. Medienberichten zufolge finden sich in den Papieren der Arbeitsgruppen der Koalitionsverhandlungen noch viele Klammern. Eine sogenannte Steuerungsgruppe von Spitzenverhandlern der Parteien werden Freitag und Samstag zusammenkommen, um mögliche Knoten zu lösen. mg