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Nachgefragt
18. November 2016

„Die Zeit für den Kohleausstieg ist reif“

Die Auswirkungen des Klimawandels sind bereits heute in vielen Regionen der Welt zu spüren und verstärken Faktoren, die Menschen zu Migration und Flucht zwingen, sagt Bastian Neuwirth, Projektkoordinator Klima und fossile Energien bei Oxfam Deutschland. Er fordert den Ausstieg aus der Kohleverstromung.

Bastian Neuwirth ist Projektkoordinator Klima und fossile Energien bei Oxfam Deutschland. (Foto. © Bastian Neuwirth / Oxfam)
Bastian Neuwirth ist Projektkoordinator Klima und fossile Energien bei Oxfam Deutschland. (Foto. © Bastian Neuwirth / Oxfam)

18.11.2016 – Der Klimawandel verschärft die weltweite Armut. Deswegen setzt sich die Entwicklungs- und Nothilfeorganisation Oxfam, deren Ziel eine Welt ohne Armut ist, vehement für einen Kohleausstieg in Deutschland innerhalb der nächsten 15 bis 20 Jahre ein. Alles andere wäre ein Verrat am Pariser Klima-Abkommen „und an den Menschen, die schon heute unter den verheerenden Folgen der Klimakrise leiden“, sagt Bastian Neuwirth im Interview. Die Bundesregierung müsse außerdem aufhören, den Bau von Kohlekraftwerken im Ausland zu unterstützen.

Herr Neuwirth, wie kommt eine Entwicklungsorganisation dazu, sich gegen Kohle einzusetzen?

Kohle ist der mit Abstand klimaschädlichste Energieträger und wesentlicher Treiber für den Klimawandel. Wir sehen schon heute, wie die Auswirkungen des Klimawandels die weltweite Armut verschärfen: Zunehmende Dürren, Überschwemmungen oder extreme Tropenstürme bedrohen oder vernichten die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen besonders in Entwicklungsländern und zwingen viele Menschen in die Armut. Um die weltweite Armut in den Griff bekommen zu können, müssen wir deshalb auch den Klimawandel in den Griff bekommen. Wegen klimatischer Extremlagen sind allein dieses Jahr rund 60 Millionen Menschen von Hunger betroffen.

Wo bekommen Menschen die Auswirkungen des Klimawandels bereits heute zu spüren?

Grundsätzlich sind die Auswirkungen des Klimawandels weltweit zu spüren – auch hier in Deutschland. Am härtesten trifft es aber vor allem die Menschen in armen Ländern, die am wenigsten zur Krise beigetragen haben. Dort sind die Menschen den klimatischen Veränderungen besonders stark ausgesetzt und können sich am wenigsten wehren, etwa wegen der verbreiteten Armut.

Welche Länder sind am stärksten betroffen?

Die verwundbarsten Länder befinden sich vor allem in den Tropen und Subtropen. Durch den Klimawandel kommt es zu zunehmenden und heftigeren Tropenstürmen oder Überschwemmungen. Diese können ganze Landstriche verwüsten und die Lebensgrundlagen der Menschen vernichten. Besonders betroffen sind davon z.B. Länder Südostasiens wie die Philippinen. Dort forderte allein der gewaltige Taifun Haiyan im Jahr 2013 mehr als 6000 Todesopfer. Über 11 Millionen Menschen waren betroffen, deren Häuser, Dörfer und Felder zerstört wurden. Besonders flach gelegene Küstenregionen wie in Bangladesch sind stark durch den steigenden Meeresspiegel bedroht, der die Menschen zunehmend zur Aufgabe von Anbauflächen in Küstennähe oder gar zum Verlassen ihrer Heimat zwingt. Kleine Inselstaaten im Pazifik könnten sogar durch den steigenden Meeresspiegel ganz im Meer verschwinden. Auch weite Teile Afrikas sind stark betroffen. In vielen Ländern lebt dort ein Großteil der Menschen von der Landwirtschaft. Zunehmende Dürren lassen ihre Felder vertrocknen und machen Landwirtschaft so teilweise unmöglich, oder aber sintflutartige Regenfälle spülen ihre Ernte von ihren Feldern. So rutschen Familien zunehmend in die extreme Armut ab und müssen hungern. Syrien hat von 2006 bis 2010 unter der verheerendsten Dürre gelitten, die die Region je erlebt hat. Dies kann bestehende Konfliktpotentiale in der Region durchaus verstärkt haben. Klimaschutz ist deshalb nicht nur ein Umweltthema, es umfasst viel mehr: Es ist ein Entwicklungsthema, ein Gesundheitsthema, ein Sicherheitsthema. Deswegen sind die Probleme, die durch mangelnden Klimaschutz verstärkt werden, vielfältig. Sie äußern sich in mehr Armut, Hunger, Konflikten – und vielem mehr.

Die Oxfam Kampagnen zum Klimaschutz in Deutschland haben den Kohleausstieg im Fokus – warum?

In Deutschland ist der Kohleausstieg zentral für wirksamen Klimaschutz. Denn ohne eine schrittweise Reduktion der Kohleverstromung werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen können. Was viele nicht wissen: Deutschland ist der weltweit größte Produzent von besonders klimaschädlicher Braunkohle. Etwa ein Drittel der CO2-Emissionen in Deutschland stammen aus Kohlekraftwerken. Über 40 Prozent unseres Stroms wird immer noch in Kohlekraftwerken produziert. Auch deswegen sieht derzeit alles danach aus, dass wir unser Klimaziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent zu senken, weit verfehlen werden.

Oxfam kritisiert zudem, dass die Bundesregierung den Bau von Kohlekraftwerken im Ausland unterstützt. Wie funktioniert das und was sind Oxfams Forderungen?

Die Bundesregierung unterstützt Kohleprojekte im Ausland durch Hermesbürgschaften und Finanzierungsangebote über die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Damit sendet sie fatale Signale an andere Regierungen oder Finanzierer. Kohlekraftwerke, die heute gebaut werden, heizen für mindestens 40 Jahre den Klimawandel an. Die Bundesregierung muss die Förderung von Kohlekraftwerken im Ausland streichen und vollständig auf die Förderung von Erneuerbaren Energien umsteigen. Vor allem in ländlichen Regionen in Entwicklungsländern sind Erneuerbare deutlich sinnvoller: Der Strom wird dann direkt in den Dörfern produziert, in denen die Menschen ihn nutzen – es müssen also nicht zusätzlich teure Leitungen gebaut werden, wie es bei Kohlekraftwerken nötig wäre.

Nach den Genfer Flüchtlingskonventionen werden weder Naturkatastrophen noch der Klimawandel als Fluchtgrund anerkannt. Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf Migrationsbewegungen?

Die Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen sind sehr unterschiedlich. Es kann fluchtartig geschehen, weil sie sich vor Naturkatastrophen oder gewaltsamen Konflikten in Sicherheit bringen oder etwa aufgrund von politischer Verfolgung. Oder sie verlassen ihre Heimat, weil ein Leben frei von extremer Armut oder Hunger in ihrer Heimat unmöglich ist.Der Klimawandel verstärkt viele dieser Fluchtgründe.

Sollte der Klimawandel also als Fluchtgrund anerkannt werden?

Die in der Flüchtlingskonvention festgeschriebenen Fluchtgründe sind sehr eng gefasst und decken die existenziellen Bedrohungen, denen heute immer mehr Menschen weltweit ausgesetzt sind, nicht mehr ab. Ob die Konvention neu gefasst werden sollte, ist umstritten. Definitiv aber müssen die Regierungen den rechtlichen Status und Schutzansprüche von Menschen stärken, die wegen des Klimawandels zu Flucht und Migration gezwungen werden.

Inwieweit beeinträchtigt der Klimawandel die Preise für Grundnahrungsmittel auf dem Weltmarkt?

Verringerte Ernteerträge, etwa weil die Ernte vertrocknet oder Felder überschwemmt werden, bedeuten steigende Preise für Nahrungsmittel. Nach einer Studie in Auftrag von Oxfam könnten die Weltmarktpreise für wichtige Grundnahrungsmittel wie Mais, Reis und Weizen bis 2030 wegen des Klimawandels deutlich stärker steigen, als ohnehin zu erwarten ist. Das bedroht vor allem Menschen in Armut, die heute schon oft bis zu drei Viertel ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen.

Wo zum Beispiel?

Schon bei einer globalen Erwärmung um zwei Grad könnten die Folgen für die Ernteerträge erheblich sein. In Jordanien, Ägypten und Libyen könnten die Weizenerträge um bis zu 30 Prozent sinken. In Afrika südlich der Sahara wird ein Rückgang der gesamten Erträge um etwa 10 Prozent erwartet.

Was sind die nächsten Schritte auf dem Weg zum Kohleausstieg in Deutschland?

In den nächsten Jahren müssen dringend die ältesten und schmutzigsten Kohlekraftwerke vom Netz gehen – sonst werden wir unser Klimaziel für 2020 weit verfehlen. Dann werden 2017 der neue Bundestag und der Landtag in Nordrhein-Westfalen (NRW) gewählt. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung muss der Kohleausstieg stehen – alles andere wäre ein Verrat am Pariser Klimaabkommen. Und auch NRW hat große Bedeutung: hier liegt das größte Braunkohlerevier Deutschlands. Bei der Landtagswahl geht es also nicht nur um NRW; die CO2-Emissionen aus den Kraftwerken machen nicht an Landesgrenzen halt, sondern belasten das globale Klima. Das gibt der Wahl eine internationale Dimension. Hier braucht es auf Landesebene einen Plan für einen sozialverträglichen Kohleausstieg. Innerhalb der nächsten 15 bis 20 Jahre muss spätestens Schluss sein mit der Kohle in Deutschland.

Wie arbeitet Oxfam zum Thema Kohle?

Im wichtigen Klimajahr 2015 haben wir die Kampagne „Kohle kostet Leben“ gestartet: Auf Aktionstagen in 26 Städten sind Ehrenamtliche der Oxfam-Shops mit Materialien auf die Straßen gegangen, um mit Menschen über das Thema ins Gespräch zu kommen und Stimmen für eine Petition zu sammeln. In einigen Regionen waren die Diskussionen mit den Passanten sehr kontrovers, weil es auch um Arbeitsplätze in der Kohlebranche geht, die von einem Kohleausstieg betroffen sind. Wir beteiligen uns auch an verschiedenen Protestaktionen, auf denen wir mit Verbündeten bei entscheidenden klimapolitischen Anlässen für den Kohleausstieg auf die Straße gehen. Im Vorfeld des G7-Gipfels 2015 in Deutschland haben wir die Verantwortung der sieben führenden Wirtschaftsmächte für den Klimawandel in dem Report „Let them eat coal“ herausgestellt und Kohleausstiegspläne für alle sieben Länder vorgelegt. Nach unseren Recherchen sind die G7-Staaten für die Hälfte der gesamten historischen CO2-Emissionen, sprich die CO2-Emissionen seit Beginn der industriellen Revolution, verantwortlich. Die Wirtschaftsmächte haben deshalb eine enorme Verantwortung, aber auch die finanziellen und technologischen Möglichkeiten, die nötige Transformation von Fossilen zu Erneuerbaren stemmen zu können. Kurz vor der Pariser Klimakonferenz haben wir Klimazeugen aus dem Tschad und von den Philippinen nach Deutschland eingeladen, wo sie auf öffentlichen Veranstaltungen oder in Gesprächen mit Politikern über die Situation in ihrer Heimat berichteten und ihre Erwartungen an die deutsche Politik formulieren konnten. Natürlich beteiligen wir uns auch regelmäßig an Gesprächen mit der Politik zum Thema und setzen uns bei der alljährlichen Weltklimakonferenz für eine ambitionierte und gerechte Klimapolitik ein.

Was steht in Zukunft bei Oxfam zum Thema Kohle in Deutschland an?

Wir werden das Thema im Wahljahr 2017 weiterhin in die Öffentlichkeit bringen und an die Politik herantragen. Wir haben Verschiedenes in Planung, um die Öffentlichkeit und unsere Unterstützer/innen dabei miteinzubeziehen. Besonders wichtig ist uns, Stimmen und Erwartungen der Menschen aus besonders betroffenen Ländern in Deutschland Gehör zu verschaffen. Dazu planen wir z.B. wieder eine Speakers-Tour mit engagierten Klimazeugen von den Philippinen und aus Nigeria durch Deutschland, auf der sie ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Klimawandel der Öffentlichkeit schildern können. Die Zeit für den Kohleausstieg ist reif. Ich glaube fest daran, dass der Kohleausstieg kommen wird, wenn wir jetzt alle zusammenstehen und ihn unermüdlich und lautstark einfordern – wir als Oxfam wollen unseren Beitrag leisten, damit uns das gelingt.

Das Interview führte Sophie Schmalz

Mehr Infos zur Organisation Oxfam, die mit rund 3500 Partnern in rund 90 Ländern zusammenarbeiten unter: www.oxfam.de


Kommentare

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Eitel Heck 23.04.2017, 15:37:54

+309 Gut Antworten

Ich möchte Ihnen außerhalb eines Kommentars zum o.g. Artikel meine Hochachtung zu Ihrem Portal mitteilen.

Dieses Portal ist eine hervorragende Informationsquelle zum Arbeitsstand der erneuerbaren Energierzeugung in Deutschland und im Ausland.

In Detailfragen habe ich bei einigen Artikeln eine andere Auffassung bei der Bewertung der Energiewende.

Das beeinflusst aber nicht meine positive Einstellung zu den Informationen und des Informationsaustausches in Ihrem Portal.

Die Energiewende ist ein sehr komplexes, schwer überschaubares Programm verschiedener Technologien der Energieerzeugung und der Energieeinsparung.

Forderungen zu einer Technologie können nicht losgelöst von anderen Technologien gestellt werden.

Das zeigt der o.g.Artikel von Herrn Bastian Neuwirth zum Kohleausstieg.


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