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Nachgefragt
12. Februar 2018

„Die Zukunft gehört den Erneuerbaren Energien“

Eine russische Umweltorganisation prangert die Energieproduktion ihres Staates an und versucht auf lokaler Ebene dem entgegenzuwirken. Wir haben mit Vladimir Slivyak von Ecodefense über Hindernisse und Möglichkeiten der Umweltbewegung gesprochen.

Vladimir Slivyak ist Vorsitzender der russischen Umweltorganisation Ecodefense. (Foto: © Ecodefense)
Vladimir Slivyak ist Vorsitzender der russischen Umweltorganisation Ecodefense. (Foto: © Ecodefense)

12.02.2018 – Wie überall auf der Welt sind auch in Russland Menschen aktiv, die sich gegen die Verschmutzung der Umwelt und den fortschreitenden Klimawandel stellen. Doch während in Deutschland das Recht auf freie Meinungsäußerung besteht und Medien über Proteste berichten, arbeiten russische Umweltbewegungen unter hoher staatlicher Repression und unbeachtet der Mehrheit der Bevölkerung. Doch gerade im autoritären russischen Staat scheint es wichtig für Umwelt- und Klimaschutz zu kämpfen. Vladimir Slivyak ist Vorsitzender der russischen Umweltorganisation Ecodefense.

Herr Vladimir Slivyak, was sind die größten Umweltprobleme in Russland, gegen die ihre Organisation Ecodefense versucht anzugehen?

Vor allem natürlich solche, die unsere Energieproduktion betreffen. Ein wichtiges Beispiel ist die Nuklearkraft. Wir haben viele Gebiete in Russland, die radioaktiv kontaminiert sind. Sie kennen vielleicht nur Tschernobyl aus der Zeit der Sowjetunion, aber es gibt viele andere Fälle radioaktiver Unfälle von denen nicht in den Medien berichtet wurde. Und die Regierung versucht weiterhin neue Atomkraftwerke zu bauen, nicht nur in Russland sondern auch in afrikanischen Ländern. Damit wollen sie ihre globale politische Macht ausbauen. Und Entwicklungsländer mit wenig Mitteln und vielen Stromausfällen sind geeignet, um deren Abhängigkeit von der russischen Regierung und Wirtschaft zu steigern. Sie wollen weltweit Einfluss zurückgewinnen und sich wie in Sowjetzeiten auf einer Stufe mit den Vereinigten Staaten von Amerika messen. Aber wir als kleine Umweltschutzorganisation glauben, dass dies nicht der richtige Weg ist. Auch die Atomkraft als Technologie sollte der Vergangenheit angehören und nicht weiterhin Atommüll produzieren, der noch Millionen von Jahre gefährlich seien wird.

Wie verhält es sich mit der Kohleindustrie in Russland?

Die Produktion und Verfeuerung von Kohle ist ein weiteres Problem, gegen das wir versuchen anzugehen. Während jedoch hier in Europa die Menschen darüber Bescheid wissen, dass die Kohle das Klima schädigt und starke Gesundheitsrisiken zur Folge hat, ist dies in Russland nicht der Fall. Seit Jahrzehnten gehört die Kohle zu den wichtigsten Energielieferanten Russlands und wird vor allem in Sibirien abgebaut und verfeuert. Auch Erdöl und Erdgas können hier genannt werden. Viele Menschen in Russland wissen leider noch nicht viel über grüne erneuerbare Energieerzeugung und die Risiken der genannten Energieproduktion. Hier versuchen wir anzusetzen, mithilfe von Kampagnen und organisiertem Protest gegen veraltete und für Erneuerbare Energie.

Doch dieser Protest scheint nicht einfach. Was macht die russische Regierung – die sich für die Probleme verantwortlich zeichnet – um eure Arbeit zu erschweren?

Ihr wichtigstes Mittel wird das „Ausländische-Agenten-Gesetz“ genannt. Wenn eine russische Zivilorganisation, die von russischen Menschen geleitet wird, die alle Entscheidungen treffen nur in kleinem Maße Spenden von ausländischen Organisationen – wie z.B. der Heinrich Böll Stiftung – erhält, dann werden sie als ausländische Agenten eingestuft. Jeder der die Arbeit der russischen Regierung kritisiert und zu beeinflussen versucht steht unter strenger Beobachtung. Und auch wir wurden auf die Liste der Ausländischen Agenten gesetzt. Laut Gesetz hätten wir viermal im Jahr einen Report an das russische Justizministerium schreiben müssen mit der Offenlegung all unserer Aktivitäten, doch wir ignorieren das. Deswegen werden wir bis zu fünf Mal im Jahr vor Gericht gebeten. Aber wir haben von Anfang an gesagt, dass wir das Label „Ausländischer Agent“ nicht akzeptieren, weil wir uns nicht als solche sehen.

Das Ausländische-Agenten-Gesetz besteht seit 2012. Wie war die Situation davor?

Im Vergleich zur vorherigen Situation erkennt man den wahren Sinn hinter dem Gesetz. Denn bevor dies in Kraft trat, haben wir bereits alle unsere Finanzen in einem Report an das Justizministerium offen gelegt, welche von den Verantwortlichen öffentlich gemacht wurden. Es ging vielmehr darum, die Aufmerksamkeit in der Bevölkerung zu steigern. Das Gesetz erinnert an die Zeit der großen Repression in den 1930er Jahren, wo Stalin Millionen von Menschen hinrichten ließ. Es geht darum, die Menschen auf beiden Seiten zu ängstigen. Gegenüber der Bevölkerung werden wir als schlechter Einfluss dargestellt. Und das funktioniert in weiten Teilen, da die Regierung die Medien kontrolliert. Ein durchschnittlicher Arbeiter in Russland kommt von der Arbeit nach Hause und macht den Fernseher an und auf jedem Sender läuft russische Propaganda. Der Fernseher läuft bis er zu Bett geht. Andere Informationen werden nicht aufgenommen.

Und über eure Arbeit wird gar nicht oder nur negativ berichtet?

Genau, weniger als 20 Prozent der Russen haben jemals von Greenpeace gehört. Die meisten Menschen in Russland haben keine Ahnung was Umweltorganisationen machen. Es geht vielen Menschen in Russland wirtschaftlich sehr schlecht und die russische Regierung hat große Angst, dass die Menschen deswegen auf die Straße gehen und Veränderung fordern. Und wir werden, genau wie Menschenrechtsbewegungen, von der Staatsmacht als die Organisatoren einer möglichen Revolution gesehen. Deswegen werden wir klein gehalten und in ein negatives Licht gerückt. Doch solange wir nicht geschlossen werden, werden wir weiter arbeiten.

Dies klingt nach sehr schwierigen Arbeitsbedingungen, hat Ecodefense dennoch Erfolge vorzuweisen?

Natürlich, wir waren zum Beispiel in der Lage den Bau eines nuklearen Reaktors in Kaliningrad zu stoppen, der sich gerade einmal 600 km von Deutschland entfernt befunden hätte. Auch haben wir geholfen Pläne für Atomkraftwerke in Südafrika unter russischer Leitung auf Eis zu legen. Wir sind auch sehr erfolgreich mit Kampagnen gegen die Kohlekraft. Im Herzen der Kohleindustrie und mitten in Russland in Kuzbass haben wir sehr erfolgreich ein Netzwerk geschaffen, das einen Austausch vieler Dörfer und kleiner Städte zu den Nachteilen der Kohleproduktion ermöglicht. Darauf aufbauend konnten wir im letzten Jahr Dutzende von Protesten organisieren, die es so bisher noch nicht gab. Bei den meisten unserer Erfolge haben wir es geschafft, die Menschen auf lokaler Ebene direkt anzusprechen. Aufmerksamkeit erlangen wir also nicht über die Medien, sondern indem wir in direkte Interaktion mit den Menschen vor Ort treten.

Wie wird Russlands Zukunft im Hinblick auf Umweltschutz und der Produktion Erneuerbarer Energien aussehen?

Ich glaube fest daran, dass die Zukunft den Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz gehört. Es wird einen Moment in diesem Jahrhundert geben, da wir von 100 Prozent Erneuerbarer Energie leben. Und dies wird in Russland genau wie im Rest der Welt passieren. Die Frage ist doch nicht ob, sondern wann es passieren wird. Ich bin mir sicher, dass die Atomkraft, genau wie Kohle und Gas, einmal der Vergangenheit angehören wird, doch bis dahin werden noch mehr Atom- und Kohlekraftwerke eine Riesengefahr für die Menschen darstellen. Die Zeit ist also eine sehr sensitive Frage. Wird es 2030, 2050 oder erst 2100 passieren.

Nach einem schnellen Wandel sehen die aktuellen Entwicklungen aber nicht aus.

Momentan drehen sich die Gedanken der russischen Regierung in Energiefragen noch alleine darum, mehr Energie aus klimaschädlichen und endlichen Trägern zu produzieren und in der Welt zu verkaufen. Die Bevölkerung soll sich nicht mit Zukunftsfragen beschäftigen. Dies ist auch Teil der russischen Strategie, Angst in der Bevölkerung zu schüren, mithilfe des Ausländischen-Agenten-Gesetzes und der Erinnerung an die 1930er Jahre. Und ich habe die Befürchtung, dass hier eine Rückentwicklung auf Seiten des Staates stattfindet. Doch gleichzeitig geschieht dies auf Seiten der Bevölkerung nicht. Wir beobachten eine wachsende Anzahl von Protesten in den vergangenen Jahren in nahezu jeder Region des Landes.

Wie funktioniert denn die internationale Unterstützung und Zusammenarbeit mit anderen Umweltbewegungen?

Ohne internationale Zusammenarbeit ist Erfolg schwierig. Am Ende ist der Klimawandel ein globales Problem. Insbesondere mit zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Deutschland haben wir bisher gut zusammen gearbeitet. Wir haben u.a. Russen zu einer NGO nach Deutschland geschickt, die Teil der zivilen Bewegung rund um das Zwischenlager für Atommüll in Gorleben sind. Auch die Pläne für den Bau des Atomreaktors in Kaliningrad konnten wir nur stoppen, weil uns deutsche Organisationen geholfen haben europäische Banken zu identifizieren, die mit ihrem Geld direkt oder indirekt den Bau unterstützten. Daraufhin konnten wir die Banken dazu bewegen dies nicht mehr zu tun. Wir können nur in eine positive Zukunft gehen, wenn wir gemeinsam arbeiten und uns gegenseitig unterstützen.

Das Interview führte Manuel Först.


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