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Atomkraft, nein dankeAlter Wein in neuen Schläuchen

Menschen in Schutzanzügen in der Ruine des Kernkraftwerks Fukushima
Ein Tsunami zerstörte das Atomkraftwerk in Fukushima. Es kam zu einem Supergau. (Foto: Greg Webb IAEA auf Flickr / CC BY-SA 2.0)

Zum zehnten Mal jährt sich die Reaktorkatastrophe von Fukushima. Nicht nur die enormen Risiken sprechen gegen die Atomkraft, auch ökonomisch ist sie überholt. Manche Politiker sehen in ihr den rettenden Strohhalm in Sachen Klimaschutz – ein Irrtum.

05.03.2021 – Zehn Jahre nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima erlebt die Diskussion um die Nutzung der Kernkraft eine beunruhigende Renaissance. Gerade hat die französische Atomaufsichtsbehörde bekannt gegeben, die Laufzeit der ältesten französischen Atomreaktoren von 40 auf 50 Jahre verlängern zu wollen. Die nationalen Ziele für den Atomausstieg wurden zuvor schon weit in die Zukunft geschoben.

Aber auch andere Länder in Europa wollen weiter auf Atomkraft setzen. Die polnische Regierung verfolgt den Bau von zwei Kernkraftwerken bis 2033 und auch die Niederlande erwägen den Bau mehrerer Kernkraftwerke.Das erste Mini-AKW will Estland errichten, ein fatales Signal.

Der Trend ist global. Immer mehr Länder liebäugeln mit der Atomenergie als Teil der Energieversorgung. So ging beispielsweise das erste Kernkraftwerk in den Vereinigten Arabischen Emiraten letztes Jahr in Betrieb. In Indien sind sieben Kraftwerke in Bau, 20 weitere projektiert. Wie das Schweizer Nuklearforum meldet, befanden sich Ende 2019 weltweit 54 Atomkraftwerke in 19 Ländern in der Bauphase,  119 in 16 Ländern sind geplant. Anfang 2020 umfasste der zivile Kernkraftwerkspark der Welt 442 Reaktoren in 31 Ländern.

Atomkraft ist keine Alternative im Kampf gegen den Klimawandel

Gefahren und Sicherheitsrisiken sind enorm, doch der fortschreitende Klimawandel und die bisher nicht ausreichenden Erfolge bei der Eindämmung der Treibhausgasemissionen lassen die Kernkraft als rettenden Strohhalm erscheinen. Diese Vorstellung beruht auf mehreren Irrtümern.

Zunächst ist der Bau und der Betrieb der Kraftwerke keineswegs emissionsfrei. Die vermeintliche sichere Energieversorgung erweist sich darüber hinaus in der Praxis keineswegs als stetig und sicher. Ausfallzeiten aufgrund von Wartungsarbeiten und Reparaturen sind hoch, nicht selten müssen die Reaktoren wegen sinkender Wasserspiegel und damit einhergehender mangelnder Kühlung heruntergefahren werden. 

Ein weiterer Fakt, der häufig ausgeblendet wird: Auch die weltweiten Uranvorräte sind begrenzt und würden nach heutigem Stand der Technik und etwa gleichbleibendem Verbrauch in etwa 100 Jahren aufgebraucht sein, bei verstärkter Nutzung entsprechend früher. Zudem hinterlässt der Abbau von Uranerz großflächig radioaktiv verseuchte Gebiete. Die weltweit bekannten Vorräte liegen laut Greenpeace zu rund 70 Prozent auf dem Land indigener Völker, die von schweren Gesundheits- und Umweltfolgen des Uranabbaus besonders betroffen sind – und am wirtschaftlichen Erfolg der Firmen noch nicht mal teilhaben.

Weltweit bisher kein sicheres Endlager für Atommüll

Schließlich ist die Frage der Atommülllagerung weiterhin ungeklärt. Christoph Pistner, Bereichsleiter Nukleartechnik und Anlagensicherheit am Öko-Institut in Darmstadt erklärt: „Weltweit gibt es bisher kein Endlager für hochradioaktive Abfälle. Einzelne Staaten sind auf dem Weg, es gibt aber auch Betreiberstaaten, die noch gar nichts unternommen haben und noch gar nicht wissen, was sie mit ihren Abfällen unternehmen werden. Gerade auf Neueinsteiger trifft das zu.“ Auch die Aufbereitung und erneute Nutzung sind nach Auffassung von Pistner nach heutigem Stand ein gescheitertes Konzept.

Neue Reaktorkonzepte sind nicht neu

Vermehrt wird in jüngster Zeit auf Reaktoren der Generation IV verwiesen oder auf sogenannte Mini-AKW. Generation IV suggeriert moderne, grundlegend neue Ansätze. Doch die Konzepte sind im Wesentlichen seit den 50-er, 60-er Jahren des letzten Jahrtausends in Entwicklung. Es handelt sich dabei beispielsweise um flüssigmetallgekühlte Reaktoren, wie vor vielen Jahren in Kalkar geplant, oder um Hochtemperaturreaktoren, die bisher nicht erfolgreich zu Ende entwickelt sind. „Aufgrund der langen Entwicklungszeiten wird wohl vor 2040 kein neues Reaktordesign in Betrieb gehen“, schätzt Pistner.

Diese Reaktoren werden auf keinen Fall preiswerter sein als heutige Leichtwasserreaktoren, da sie aufwändigere technische Konzepte verfolgen. Gegebenenfalls können sie andere Systemdienstleistungen anbieten. Manche Kernkraftwerke sind tatsächlich heute schon im Lastfolgeeinsatz, variieren ihre Leistung aber nur im oberen Leistungsbereich. Allerdings sind sie nicht dafür ausgelegt, das dauerhaft über ihre gesamte Betriebslaufzeit zu tun. Zudem ist kapitalintensive Technologie ökonomisch nur sinnvoll, wenn sie mit hoher Auslastung eingesetzt wird. Ansonsten sieht die Kostenrechnung nochmal düsterer aus.

Mini-AKWs in Serie ökonomisch keine Alternative

Bei den kleineren Reaktoren mit der geringeren Leistung finden sich verschiedene technologische Konzepte. Bei den kleineren wassergekühlten Reaktoren verbinden die Ingenieure mit der geringeren Leistung die Hoffnung, eine höhere Sicherheit zu erreichen, unter anderem weil bei einem Störfall weniger radioaktives Material entweichen kann. Die Befürworter der Small Modular Reactors wollen die Kosten minimieren, indem sie eine industrielle Serienfertigung anstreben. Doch ein kleiner Reaktor ist bezogen auf die installierte Leistung teurer als ein großer. Es ist mehr als fraglich, ob der potenzielle Vorteil der Serienfertigung, so sie denn tatsächlich Skalenvorteile erreichen kann, die Nachteile überwiegt.

Es bleibt also nach Abwägung der Argumente keinerlei Substanz, die für Atomkraft spricht. Seit längerem ist das erforscht und belegt, sehr ausführlich und anschaulich in einer Studie des DIW von 2019. Längst sind Wind- und Sonnenkraftwerke ohnehin auch ökonomisch im Vorteil, sie erzeugen den preiswertesten Strom. Die enormen Risiken und Kosten der Kernenergie sind Ballast, der auf dem Weg in die Klimaneutralität ganz sicherlich nicht weiterhilft. pf


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Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Gregor Beck 06.03.2021, 10:31:58

Wer hier das Dual Fluid Patent außer Acht lässt, hat meiner Meinung nach die Frage noch nicht abschließend beantwortet.

Diese Technik hat so viele Benefits, dass ich als Anti-Atomkraft-Mensch ins Schwanken komme. Und nie geht ein kritischer Artikel drauf ein.

Timo Luthmann 10.03.2021, 12:08:24

Danke für diesen guten Überblicksartikel. Was das "Dual Fluid Patent" betrifft haben sich damit natürlich kritische Artikel auseinandersetzt wie z.B. "Dual-Myth-Reaktor: Das Illusionskraftwerk" auf dem ausgestrahlt-Blog oder z.B. beim Deutschlandfunk "Dual Fluid Reaktor. Mit Flüssigbrennstoff im Reaktor soll Kernenergie sicher werden", die berichten: "Ein weiterer Erfolg war das internationale Patent auf das Reaktor-Design, das 2013 erteilt wurde. Doch ein Patent bedeutet nicht, dass am Ende auch tatsächlich alles wie geplant funktionieren würde. Denn noch steht alles nur auf dem Papier. Edwin Lyman von der US-Organisation Union of Concerned Scientists ist alles andere als überzeugt von der Idee: „Wir wissen so wenig über Flüssigsalzreaktoren – und dazu zählt auch der Dual Fluid Reaktor. Es gibt so gut wie keine Betriebserfahrung – und damit viele mögliche Komplikationen und Probleme bei der Sicherheit. Es ist schwierig, das alles seriös abzuschätzen. Für mich sind solche Konzepte reine Phantasie.“


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