Jürgen Resch ist Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (Foto: © DUH) Oliver Hummel ist Vorstand bei NATURSTROM (Foto: © NATURSTROM).

Nachgefragt 16.11.2017

„Ohne eine Verkehrswende geht es nicht“

Deutschland wird seine Klimaziele ohne massive Veränderungen im Verkehrssektor nicht erreichen – doch eine Verkehrswende ist nicht in Sicht. Wir haben mit Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe und Oliver Hummel, Vorstand bei Naturstrom, über die Herausforderungen gesprochen.


Nachgefragt 16.11.2017

„Ohne eine Verkehrswende geht es nicht“

Deutschland wird seine Klimaziele ohne massive Veränderungen im Verkehrssektor nicht erreichen – doch eine Verkehrswende ist nicht in Sicht. Wir haben mit Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe und Oliver Hummel, Vorstand bei Naturstrom, über die Herausforderungen gesprochen.

Jürgen Resch ist Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (Foto: © DUH) Oliver Hummel ist Vorstand bei NATURSTROM (Foto: © NATURSTROM).



16.11.2017 – Um die Pariser Klimaziele zu erreichen wird es im kommenden Jahrzehnt notwendig, die CO2-Emissionen von Fahrzeugen innerhalb der EU zu reduzieren.

Herr Resch, Herr Hummel: Was ist Ihrer Meinung nach derzeit die größte Herausforderung im Verkehrssektor?

Resch: Die größte Herausforderung ist gerade, saubere Städte zu schaffen – und zwar kurzfristig. Wir haben lange das Ziel verfolgt, die Städte sicherer zu machen und die Zahl der Verkehrstoten zu reduzieren. Das ist uns auch gelungen. Aber jedes Jahr sterben nach Berechnungen der EU Kommission jedes Jahr 400.000 Menschen an den Folgen der hohen Luftverschmutzung. Das müssen wir ändern.

Hummel: Dazu kommt die große Herausforderung, eine Lösung für die stetig steigenden individuellen Mobilitätsbedürfnisse der Menschen zu finden. Eine Lösung, mit der wir Gesundheits- und Umweltschäden reduzieren. Und insbesondere in den Großstädten muss das eine Lösung sein, die den Menschen Platz zum Leben wieder zurückgibt – beispielsweise indem man den immensen Parkplatzbedarf reduziert.

Diesen Sommer war die Debatte um Diesel-Verkehrsverbote in Innenstädten groß in den Medien. Das liegt auch an der Deutschen Umwelthilfe. Denken Sie, dass diese Debatte bereits etwas verändert hat?

Hummel: Ein spürbarer Erfolg ist, dass so das Thema Mobilität in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte gerückt ist. Das ist auch deshalb wichtig, weil das Thema bisher sehr stiefmütterlich behandelt wurde. Dabei ist bei einem Blick auf unsere Klimaschutzziele und die Bilanz des Verkehrssektors klar: Ohne eine Verkehrswende geht es nicht. Wir hätten uns schon in den vergangenen Jahren viel stärker damit beschäftigen müssen – dass es nicht gemacht wurde ist einer der Hauptgründe dafür, dass Deutschland seine Klimaziele 2020 deutlich verfehlen wird.

Resch: Zumindest sehen wir seit dem Spätsommer, dass sich die Bereitschaft der Politiker ändert, über wirksame Maßnahmen nachzudenken. Über Jahre hinweg haben wir nur plakative Ankündigungen zu mehr Elektromobilität gehört – und dann auf der Straße die steigende Zahl der Diesel-Fahrzeuge, die vielerorts steigenden Abgaswerte erlebt. Auch der Diesel-Gipfel hat das nicht geändert: die Maßnahmen bringen im Winter gar nichts und im Sommer vielleicht eine fünfprozentige Verbesserung. Und das ist schon positiv gerechnet. Ich bin gespannt, ob diese Bereitschaft bestehen bleibt – und nun, nach der Bundestagswahl, auch gegen die Interessen der Autoindustrie Maßnahmen durchgesetzt werden. Beispielsweise die Umrüstung von Bestandsfahrzeugen. 2018 alle Busse so nachzurüsten, dass sie die Euro-6-Grenze einhalten ist technisch kein Hexenwerk und auch bezahlbar. Die Abgaswerte zu manipulieren und die Software für die Abgasreinigung bei 17 Grad abzuschalten – das hingegen ist für uns vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge.

In mehr als 60 Städten werden laut der Deutschen Umwelthilfe (DUH) die Stickstoffdioxid-Grenzwerte um mehr als zehn Prozent überschritten. Gegen diese Städte haben Sie, Herr Resch, angekündigt Verfahren einzuleiten. Wie können die Städte Ihrer Meinung nach dafür sorgen, dass sie die Grenzwerte künftig einhalten?

Resch: An allererster Stelle steht das Diesel-Fahrverbot für alle Fahrzeuge, die die Euro-6-Abgasnorm nicht einhalten – vor allem im Winter, da die Gesundheitsrisiken bei Minusgraden extrem steigen. Wenn man alle Fahrzeugflotten betrachtet, stammen die höchsten Abgaswerte von den ÖPNV-Bussen. In manchen Städten kommen sie auf einen Anteil von bis zu 20 Prozent. Die Busse müssen deshalb dringend sauber gemacht werden. Und auch Umwelttaxen können eine große Wirkung in der Stadt erzielen – mit sauberen Antrieben wie Flüssiggas, Hybrid oder Elektromotoren.

Herr Hummel, wie können Ihrer Meinung nach Lösungen aussehen?

Hummel: Ich glaube auch nicht, dass es mit den Ergebnissen des Diesel-Gipfels getan ist und es reicht, ein bisschen an den Motoren herumzuschrauben. Wenn man die Regeln und damit auch Grenzwerte ernst nimmt, die aufgestellt wurden, dann wird man um Fahrverbote in Innenstädte für besonders schadstoffhaltige Fahrzeuge nicht herum kommen. Wenn hingegen Gesetze und Regeln aufgestellt und dann missachtet werden und diese Überschreitung von Grenzwerten keinerlei Konsequenzen hat – dann finde ich das inakzeptabel.

Herr Resch, die DUH hat sich den Kampf für eine „Saubere Luft in Deutschland“ auf die Fahnen geschrieben. Kann dieser nur über gewonnene Klagen zum Erfolg führen?

Resch: Wir kämpfen ja seit 30 Jahren für saubere Luft: Wir kämpfen für strengere Gesetze und Richtlinien der EU und setzen uns für deren Einhaltung ein. Wir werben auch im Rahmen der Verbraucherberatung für schadstoffarme Fahrzeuge und helfen Menschen, deren Fahrzeuge sich als hochbelastet herausstellen. Für uns gibt es eine ganze Reihe an Instrumenten. Allerdings mussten wir feststellen, dass politische Entscheidungen für eine saubere Luft bisher ausgeblieben sind. Der Druck der Industrie ist einfach zu groß. Alle Bundeskanzler haben sich bisher lieber als Auto-Kanzler darstellen lassen als sich für saubere Luft einzusetzen. Dabei ist die Bundesregierung dazu verpflichtet, hohe angemessene Strafen bei Abgasüberschreitungen zu verhängen. Doch das Beispiel der Porsche-Cayenne, die aufgrund der Werte ihre Zulassung verloren haben, zeigt: Die Bundesregierung weigert sich. Der Fall wird nicht im Kraftfahrtbundesamt entschieden, sondern an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Während in den USA Kompensationen im zweistelligen Milliardenbereich üblich sind, gibt es in Deutschland nicht einmal die Forderung von fünf Euro Bußgeld an die Automobilindustrie. Wenn Sie jedoch als Autofahrer auf ein Knöllchen für Falschparken drei Mal nicht reagieren, landen Sie im Gefängnis. Deswegen haben wir da gerade kein Vertrauen in die Politik und setzen auf Klagen. Dass wir den Staat über Gerichte zwingen müssen sich an Gesetze zu halten – das ist eine deutsche Kuriosität.

Wie können ökologische Unternehmen zu einer Lösung beitragen?

Hummel: Das eine ist, wie die DUH das Bewusstsein zu schaffen und auf die Einhaltung von Gesetzen zu pochen. Das andere ist, alternative Lösungen zu entwickeln – darin sehe ich die Aufgabe von Unternehmen. Für uns ist das Donk-EE-Lastenrad-Sharing-Projekt in Köln das beste Beispiel dafür, wie Lösungen aussehen können: Elektrisch, flexibel, Platz sparend – und dabei emissionsfrei. Indem wir Mobilitätslösungen teilen, können wir vielen Herausforderungen begegnen: Bestehende Ressourcen besser zu nutzen und den ruhenden Verkehr von den Straßen und Parkplätzen zu bekommen sind nur zwei davon. Ich glaube, dass es für Unternehmen große Chancen bietet, genau solche Mobilitätslösungen anzubieten.

Was sind Ihrer Meinung nach Alternativen zum Diesel?

Hummel: Die Elektromobilität ist meines Erachtens perspektivisch die beste Antriebsalternative – aber eben nur, wenn sie mit Erneuerbaren Energien betrieben wird. Zu 100 Prozent. Das heißt aber nicht, dass man sich nun einseitig auf nur eine Technologie festlegen sollte. Das Ziel der Schadstoffreduktion sollte klar sein, der Weg dahin aber weiterhin frei, denn technische Innovationen sind ja nicht immer langfristig vorhersehbar und planbar.

Resch: Im Moment sind es die bezahlbaren alternativen Antriebe wie Erdgas, bezahlbare Benzin-Hybride und auch schon beginnend Elektro-Antriebe. Wahrscheinlich müssen wir hier derzeit mehr auf ausländische Hersteller setzen: Auf Modelle, die nicht nur in symbolischen Mengen produziert werden.

Sind diese Alternativen ökologisch und ökonomisch? Und wenn ja, warum?

Hummel: Im Moment ist zumindest die Elektromobilität noch primär ökologisch. Aber da wir am Anfang einer exponentiellen Entwicklung stehen, werden die Kosten noch entscheidend sinken. Allerdings ist es nicht damit getan, den Antrieb zu wechseln – wenn wir nicht gleichzeitig sicherstellen können, dass die Energie aus erneuerbaren Quellen kommt. Und das bedeutet einen noch höheren Bedarf an Erneuerbaren Energien. Ein Wagen, der mit Kohlestrom fährt, verbessert die Klimabilanz nicht. Darüber hinaus spielt auch die Art des Autos eine entscheidende Rolle. Derzeit entscheiden sich immer mehr Deutsche für einen SUV – und ob nun elektrisch oder nicht: Das ergibt für mich einfach keinen Sinn. Elektromobilität ist gut für Fahrten im kleinen und mittleren Raum. In die Richtung sollte man die Fahrzeuge insgesamt entwickeln – aber das passiert meiner Meinung nach überhaupt nicht. Stattdessen wird versucht, die Benzin- und Diesel-Logik – größer, schwerer, schneller – auf die Elektromobilität zu übertragen und das ist dann natürlich nicht umweltfreundlich. Ein Elektro-Rennwagen ist nicht wirklich ökologisch, der ist primär hip. Umweltfreundlich ist ein Kleinwagen mit Elektro-Antrieb, der mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien angetrieben wird und einen großen Benziner ersetzt. Der kann dann auch ökonomisch günstig sein.

Mit einem Blick auf den gesamten CO2-Fußabdruck, den der Verkehrssektor jährlich hinterlässt: Wie können wir Ihrer Meinung nach diesen Herausforderungen begegnen?

Hummel: Mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, der Umstellung von Benzin und Diesel auf umweltfreundlichere Antriebsformen in Verbindung mit Erneuerbaren Energien und der besseren Nutzung von vorhandenen Ressourcen im Individualverkehr – zum Beispiel durch Sharing-Angebote.

Resch: Wir brauchen auf jeden Fall Obergrenzen für den Maximalverbrauch von Fahrzeugen. Bei Häusern, Küchengeräten und Heizungen haben wir das bereits – warum nicht auch bei Straßenfahrzeugen? Außerdem ist Deutschland das letzte Industrieland, das kein Tempolimit von 120 vorschreibt. Das muss sich ändern.

Und was denken Sie, kann jeder einzelne schon jetzt tun?

Resch: Auf jeden Fall keinen Diesel kaufen. Kein einziger der heute angebotenen Diesel ist empfehlenswert. Schauen Sie auf alternative Mobilitätsangebote in Ihrer Stadt – setzen Sie sich für besonders gute ÖPNV-Angebote ein und nutzen Sie sie dann auch.

Hummel: Das Auto bei Gelegenheit stehen lassen und mit dem Rad fahren, Sharingsysteme nutzen. Ich habe selbst auch kein Auto – in Großstädten ist das in vielen Fällen heute schon problemlos möglich.

Das Interview führte Finja Seroka

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