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Auf dem Weg zur Solarnation

Zwar nehmen in Asien die CO2-Emissionen aufgrund des Wirtschaftswachstums und der Nutzung fossiler Energien vorerst weiter zu. Doch vor allem Indien legt einen beeindruckenden Kurs pro Solar- und Windstrom sowie saubereren Verkehr hin. Wobei der deutsche Lobbyeinfluss auch Sinnvolles verhindern kann.

07.11.2016 – Wer als Fußgänger in einer Megacity wie Delhi unterwegs ist, braucht Mut und gute Lungen. Sechsspurig rollt die Verkehrslawine Richtung Innenstadt: am Straßenrand offene Abwassergräben, Wellblechhütten, Feuerstellen mit verkohlten Plastikfolien und ein übler Gestank. Vom blauen Himmel ist trotz drückender Hitze nichts zu sehen. Wie an vielen anderen Tagen im Jahr liegt eine schmutzige Smogglocke über der gut 17 Millionen Einwohner zählenden Metropole. Und wer nach Dächern mit Solarmodulen, Kleinwindrädern oder Elektro-Tuk-Tuks Ausschau hält, muss lange suchen.

Hohe Ausbauziele für Wind- und Solarenergie

Und trotzdem tut sich etwas in Sachen Energie- und Verkehrswende in Indien. In jüngster Zeit setzt das 1,3 Milliarden Einwohner zählende Land zu einem beeindruckenden Ausbau der Solar- und Windstromerzeugung an. Die vor sechs Jahren beschlossenen Ausbauziele der National Solar Mission von 20 Gigawatt bis 2022 werden schon bald erreicht sein. Derzeit sind schon Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von über 8 Gigawatt (GW) installiert. Anlagen mit 14 GW sind im Bau und die Ausschreibungen für weitere sieben Gigawatt laufen gerade an. Dazu kommen gut 25 GW installierte Windkraftleistung bis Ende 2015, womit Indien weltweit an vierter Stelle liegt.

Im März wurde das Ausbauziel für Solarenergie bis zum Jahr 2022 auf 100 GW verfünffacht und für Wind auf 60 GW erhöht. Insgesamt sollen bis in sechs Jahren 175 Gigawatt Erneuerbare Energien in Indien installiert sein. Und die Regierung unter dem amtierenden Ministerpräsidenten Narendra Modi engagiert sich auch international. Zusammen mit Frankreichs Regierungschef François Hollande initiierte Modi beim Pariser Klimagipfel im vergangenen Dezember die International Solar Alliance, der sich mittlerweile schon 121 Staaten angeschlossen haben. In Folge dessen kündigte die Weltbank im Sommer an, den globalen Ausbau der Solarenergie bis zum 2030 mit insgesamt einer Billion US-Dollar zu fördern.

Akteur auf dem globalen Solarmarkt

Beeindruckt von der indischen Aufbruchsstimmung in Sachen Erneuerbare Energien zeigte sich Anfang September Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group. 650 Branchenunternehmen präsentierten sich auf der Renewable Energy India Expo 2016 in Neu-Delhi, davon beinahe die Hälfte aus Indien. „Es zeichnet sich ab, dass sich Indien in den nächsten Jahren zum großen Akteur für Erneuerbare Energien neben China, den USA und Südamerika entwickeln wird“, so Fell. Allein für dieses Jahr wird ein Zubau neuer Solarstromanlagen mit einer Leistung von sieben bis acht Gigawatt erwartet.

Tata Solar kündigte jüngst den Bau eines 100 Megawatt Solarparks für den größten indischen Energieversorger NTPC in Anantapur an, der ausschließlich mit Zellen und Modulen „Made in India“ bestückt sein soll. Denn über Regelungen zum „Domestic Content“ bei der Förderung versucht die indische Regierung schon seit 2010 auch den Aufbau einer heimischen Wertschöpfungskette zu fördern. Allerdings legte die US-Regierung dagegen bei der Welthandelsorganisation (WTO) Klage ein. Es würden ausländische Hersteller diskriminiert, so der Vorwurf. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Diesen Februar entschied die WTO zu Gunsten der USA. Indien legte dagegen Berufung ein.

Zudem zeigte sich bisher, dass indische Hersteller vor allem bei der anspruchsvollen Fertigung der Solarzellen in punkto Know-how, Qualität und Preis nicht mit den ausländischen Weltmarktführern, vor allem chinesischen Herstellern, mithalten konnten. Dies beginnt sich nun jedoch allmählich zu ändern. So unterzeichnete Vikram Solar Anfang September mit dem schwäbischen Maschinenbauer Teamtechnik eine Kooperationsvereinbarung. Ziel ist die bestehende Modulfertigung des indischen Herstellers im Bundesland Tamil Nadu auf eine Produktionskapazität von jährlich zwei Gigawatt zu erweitern, derzeit liegt sie bei 500 Megawatt. Teamtechnik ist Weltmarktführer für Spezialmaschinen zum Verlöten von Solarzellen, sogenannten Stringern.

Sinkende Kosten machen Solarstrom attraktiv

Hauptfaktor für das rapide Marktwachstum von Windkraft- und Photovoltaik sind in Indien, wie in vielen anderen Ländern, neben der politischen Unterstützung die stark gefallenen Kosten und Preise. So wird mittlerweile die Kilowattstunde Solarstrom bei Ausschreibungen für größere Solarparks für 4,53 Indische Rupie angeboten, dies entspricht sechs Eurocent. Auch die indischen Banken, die sich bisher gegenüber der noch vergleichsweise neuen Solartechnik skeptisch zeigten, steigen nun stärker in deren Finanzierung ein. Dazu kommen die wachsende Energienachfrage und die regelmäßigen Stromausfälle, die vor allem Unternehmen dazu bewegen, in die Eigenstromversorgung mittels Solartechnik zu investieren.

Ab 2030 nur noch E-Mobile

Auch bei der Reduzierung der Schadstoffemissionen des Verkehrs und der Förderung der Elektromobilität macht Indien Schritte nach vorne. Ab 2020 sollen jedes Jahr sechs bis sieben Millionen elektrische oder hybride Fahrzeuge neu zugelassen werden, kündigte der indische Umweltminister Prakash Javadekar Anfang Juli auf dem Petersberger Klimadialog an. Ab 2030 sollen nur noch Autos mit E-Antrieben zugelassen sein.

Zudem soll das öffentliche Verkehrsnetz ausgebaut werden. So wird derzeit im südindischen Kochi ein integriertes Wassertransportsystem aufgebaut. Energieeffiziente Fähren, Metro, E-Busse,  E-Rikschas und Radverleihstationen sollen miteinander verbunden werden. Fahrpläne und Ticketsysteme sollen vereinheitlicht und das Fußgänger und Radwegenetz ausgebaut werden. Das Vorhaben wird mit einem Darlehen in Höhe von 85 Millionen Euro von der KfW im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt.

Kochi ist eine von 100 sogenannten Smart Cities in Indien, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Lebensqualität ihrer Bevölkerung durch Investitionen in öffentliche Infrastruktur und moderne Dienstleitungen zu verbessern. Der indische Haushaltsplan für 2016 und 2017 sieht laut Medienberichten zusätzlich eine Sondersteuer beim Kauf von Dieselautos von 2,5 Prozent des Kaufpreises vor. Käufer von großen, spritschluckenden SUVs müssen vier Prozent draufzahlen, für besonders große Autos soll es eine Luxussteuer von einem Prozent geben. Eine mit der Euro­6­Norm vergleichbare Höchstgrenze für Treibhausgas­ und Schadstoffausstoße soll bereits vier Jahr früher gelten und 2020 in Kraft treten.

Der lange Arm der deutschen Autoindustrie

Auf Druck von Daimler und der deutschen Botschaft wurde allerdings Mitte August ein Zulassungsverbot für private Dieselfahrzeuge ab zwei Liter Hubraum im Großraum Delhi wieder aufgehoben. Der Supreme Court Indiens hatte dies im Dezember 2015 aufgrund der hohen Luftverschmutzung erlassen. Trotz dieser mit Erleichterung aufgenommenen Entscheidung sei die Einschränkung von Dieselfahrzeugen in Indien noch nicht vollständig vom Tisch, heißt es einem internen Schreiben. Denn der Supreme Court habe sich ausdrücklich vorbehalten, seine Anordnung auch auf Dieselfahrzeuge mit kleinerem Hubraum auszuweiten. Dies beträfe eine wesentlich größere Zahl an Autos und würde auch andere deutsche Automobilhersteller wie Volkswagen stärker tangieren. Zum anderen seien andere Verfahren wegen Luftverschmutzung beim National Green Tribunal anhängig. Die internationale Kooperation und Zusammenarbeit kann zwar bei der Energie- und Verkehrswende in Ländern wie Indien vieles nach vorne bringen, doch auch vieles blockieren, wie dieses Beispiel zeigt. Hans-Christoph Neidlein


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