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Koalitionsvertrag in BerlinAufbruch ins Ungewisse

Straßenbahnschiene und Autoverkehr in der Nacht
Straßenbahnlinien gelten als schnell umzusetzendes probates Mittel für den Umweltverbund. Die neue schwarz-rote  Koalition in Berlin will womöglich weniger bauen als bislang geplant. (Bild: abbilder, flickr, CC BY 2.0)  

Was steht drin zu Energie, Mobilität, Umwelt- und Klimaschutz? Nach drei Wochen Verhandlungen präsentieren Berliner CDU und SPD ihren gemeinsamen Koalitionsvertrag. Darin viel Vages und manch Widersprüchliches.

04.04.2023 – Mehr Grün- und Freiflächen, aber die Randbebauung des Tempelhofer Feldes; Ausbau des ÖPNV, aber kritische Überprüfung geplanter Tram-Strecken; Vision-Zero, aber eine Überprüfung sicherer Radverkehrsanlagen und kein klarer Standpunkt zur A100 – der gestern veröffentlichte Koalitionsvertrag von CDU und SPD in Berlin wimmelt vor Widersprüchen. Der Titel: „Das Beste für Berlin. Ein Aufbruch für die Stadt. Eine Koalition für Erneuerung. Ein Regierungsprogramm für alle“. Über das 135-Seiten lange Papier wird die SPD in einem Mitgliederentscheid abstimmen. Das Ergebnis wird am 23. April bekannt gegeben. Voraussichtlich nach Bekanntgabe des SPD-Entscheids, wird die CDU in einem Landesparteitag über den Koalitionsvertrag abstimmen. Das steht drin zu Energiewende, Mobilität, Klima- und Umweltschutz.

Energie und Klima

Drei Wochen lang hatten Vertreter:innen der beiden Parteien verhandelt. Herausgekommen ist ein Vertrag, der zwar Klimaschutz als Staatsziel in die Berliner Verfassung verankern will, das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm sowie das Mobilitätsgesetz aber lediglich fortschreibt und an einigen Stellen sogar abschwächt. Man wolle für Berlin Windpotenziale erfassen und entsprechende Windeignungsflächen zügig ausweisen. Doch dazu ist die Berliner Landesregierung ohnehin verpflichtet. Laut Wind-an-Land-Gesetz des Bundes, muss Berlin 0,5 Prozent seiner Landesfläche für die Windkraft bereitstellen. Schaffen will die mögliche künftige Landesregierung dass vor allem mit innerstädtischen Kleinwindanlagen auf geeigneten hohen Gebäuden. Dafür sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden.

Auch der „Masterplan Solarcity“, mit einem Ausbauziel von 25 Prozent an der Berliner Stromerzeugung, soll fortgeführt werden, mit einem akuten Fokus auf Infrastruktur in städtischer Hand. Ebenso Pläne zum Erwerb der Fernwärme in städtische Hand, um diese klimagerecht umzugestalten, sollen weiter forciert werden. Das alles fand sich bereits im Koalitionsvertrag von rot-grün-rot von 2021, ebenso wie die Förderung von Mieterstrommodellen und die Themen energetische Sanierung, eine gemeinsame Energieregion Berlin-Brandenburg und Förderung von grünem Wasserstoff. Neu ist das Versprechen von CDU und SPD, für Klimaschutz, Resilienz und Transformation ein Sondervermögen zu schaffen, von zunächst fünf Milliarden Euro und nach einer Evaluation Ende 2024 möglicherweise um weitere fünf Milliarden Euro. Zudem wolle man deutlich vor 2045 klimaneutral werden.

Michael Efler, Vorstand im Bürgerbegehren Klimaschutz und ehemaliger Energie- und Klimapolitischer Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, zeigt sich positiv überrascht über diese Ankündigung und lobt grundsätzlich das geplante Sondervermögen. „Es stellen sich jedoch einige Fragen, wofür das Geld genau ausgegeben werden soll“, so Efler im Gespräch mit der energiezukunft. Im Koalitionsvertrag findet sich zwar eine ganze Liste von möglichen Vorhaben zu Gebäude, Energie, Mobilität und Wirtschaft, doch ohnehin geplantes sollte nicht einfach als Klimaschutzinvestition ettikiert werden, so Efler. Es gelte dem möglichen künftigen Regierungsbündnis kritisch auf die Finger zu schauen. 

Auch der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) in Berlin begrüßt das geplante Sondervermögen sowie die Aufnahme von Klimaschutz als Staatsziel. Aber es fehle weiterhin eine konsequente Handlungsstrategie für eine klimaneutrale Stadt. Wie die Umsetzung der Klimaschutzziele erreicht werden soll, bleibe offen. „Insbesondere in den Handlungsfelder Bauen und Wohnen sowie Mobilität sind die getroffenen Vereinbarungen teilweise widersprüchlich, teilweise konterkarieren sie das Ziel einer klimaneutralen Stadt“, sagt Tilmann Heuser, Geschäftsführer des BUND Berlin.

Umweltschutz

Für ein nachhaltiges Berlin wollen CDU und SPD Grün- und Freiflächen erhalten und weiterentwickeln. Dafür soll unter anderem der Bestand von klimaresilienten Straßenbäumen auf 500.000 Bäume anwachsen. Man strebe eine Netto-Null-Versiegelung an, Berlin müsse zur Schwammstadt werden. Auch hier werden die positiven Bestrebungen des bisherigen rot-grün-roten Senats fortgeführt. Nicht ins Bild passt dabei eine neue Debatte über eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes, die im Koalitionsvertrag explizit erwähnt wird. Eine mögliche Randbebauung werde dabei mit Grünanlagen und Erneuerbaren Energien so ausgestaltet, dass sie einen „Beitrag zur Klimaneutralität“ leiste.

Doch die riesige Freifläche gilt als lebenswichtiger Kalt- und Frischluftproduzent mitten in der Stadt. Schon eine übermäßige Bepflanzung mit Bäumen würde dieses System empfindlich stören, von Häusern ganz zu schweigen. Zudem würden Flächen wegfallen, in denen Regenwasser versickern kann. 2014 fiel ein Volksentscheid zugunsten einer Freihaltung des Tempelhofer Feldes aus. Zwar kann das Berliner Abgeordnetenhaus diesen Entscheid mit einfacher Mehrheit kippen, der Ärger aber, einen Volksentscheid ad acta zu legen, wäre fatal. Der BUND Berlin warnt vor einer Spaltung der Stadt. Angesichts jahrzehntelanger Planungs- und Realisierungszeiträume könne das Tempelhofer Feld ohnehin keinen Beitrag für eine schnelle Verbesserung der Wohnraumversorgung leisten. Es müsse eine Fokussierung der Stadtentwicklungspolitik auf bereits versiegelte und bebaute Flächen geben und eine klimaneutrale Modernisierung des Bestands.

Mobilität

Ein Vorgehen, dass der Koalitionsvertrag von CDU und SPD durchaus beinhaltet, wie etwa dem schrittweisen Rückbau der ehemaligen Autobahn A104 für neuen Wohnraum, sowie grüne Erholungsflächen. Die Überbauung von Abschnitten der A100, die durch Berlin verläuft, will schwarz-rot prüfen, für neuen Wohnungsbau, Kultur-, Grün- und Kleingartenflächen. Der im Bau befindliche 16. Abschnitt der Berliner Stadtautobahn werde fertiggestellt. Was mit dem zur Diskussion stehenden 17. Bauabschnitt passiert, ließen CDU und SPD hingegen offen. Dabei hatte die Bundesregierung letzte Woche noch im Koalitionskompromiss entschieden, die Verantwortung für neue Autobahnprojekte stärker in die Hand der Länder zu legen. Michael Efler befürchtet, dass mit der fehlenden Festlegung von CDU und SPD, die Verantwortung wiederum an den Bund geht. Das zuständige FDP-geführte Verkehrsministerium will die Planungen für den 17. Bauabschnitt vorantreiben.

Auch an anderen Stellen will die Bundesregierung Fragen der Mobilität stärker in die Verantwortung von Kommunen und Länder legen. Flächendeckend Tempo 30 einführen will schwarz-rot trotzdem nicht. Auf Hauptstraßen soll grundsätzlich weiter Tempo 50 herrschen, Tempo 30 auf Nebenstraßen „dort, wo es sinnvoll ist“. Dabei hat Berlin durch Wirken von rot-grün-rot bereits die meisten Tempo 30 Zonen bundesweit. Der bisherige Verkehrssenat unter grüner Führung sah auch Tempo 30 auf Hauptstraßen als probates Mittel. Das klingt nach Rückschritt für Verkehrssicherheit und Umweltschutz durch das neue mögliche Regierungsbündnis.

Als Rückschritt lässt sich auch folgender Passus im Koalitionsvertrag lesen: „Wir wollen das Mobilitätsgesetz im Sinne einer angebotsorientierten Mobilität weiterentwickeln. Hierbei geht es insbesondere um ein besseres Miteinander der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer und die Beachtung örtlicher Gegebenheiten. Dazu zählt auch die Überprüfung von Mindestbreiten, beispielsweise im Radverkehrsplan.“ Auch sollen Radspuren „unter Beachtung örtlicher Gegebenheiten“ eingerichtet werden. CDU und SPD würden zum „Frontalangriff auf das Mobilitätsgesetz blasen“, sagt Ragnhild Sørensen, Pressesprecherin von Changing Cities gegenüber der energiezukunft. „Im Klartext heißt es: Radwege wird es nur geben, wenn sie den Autoverkehr nicht einschränken.“ De facto gebe es eine Abkehr vom Vorrang des Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehrs, vor dem motorisierten Individualverkehr, wie es das Mobilitätsgesetz eigentlich verlangt.

Beim Öffentlichen Nahverkehr versprechen schwarz-rot immerhin ein unbefristetes 29-Euro-Ticket für alle und ein 9-Euro-Sozialticket. Das kann mehr Menschen dauerhaft zum Umstieg auf den ÖPNV bewegen. S-Bahnverbindungen sollen erweitert werden, genauso wie einige U-Bahnverbindungen, die jedoch teuer werden können. Beim Bau von Straßenbahnstrecken sollen bereits begonnene Planungen vorangetrieben werden. Für drei geplante Strecken droht jedoch das Aus – die Verlängerungen der M10 zum Herrmannplatz und der M2 in den Blankenburger Süden, sowie eine Verbindung vom Potsdamer Platz zum Alexanderplatz.

 „Deutliche Fortschritte beim Ausbau des ÖPNV, die so in einigen Jahren möglich wären, werden gegen U-Bahn-Träume, die nicht einmal in 20 Jahren realisiert sein können, getauscht“, kritisiert Heuser vom BUND Berlin. Und Efler warnt davor, dass die Milliardengelder aus dem Sondervermögen vor allem in den teuren Ausbau des U-Bahnnetzes fließen könnten. Ansonsten geht es im Koalitionsvertrag viel ums Prüfen und Erproben – wie Umweltgesichtspunkte bei der Bemessung der Gebühren für die Anwohnerparkausweise einzubeziehen und Kiezshuttles oder Ruftaxis insbesondere in den Außenbezirken einzurichten. Vor allem dort soll künftig auch ein stärker Fokus beim Aufbau einer Ladeinfrastruktur für E-Autos liegen. Ziel ist es in ganz Berlin durchschnittlich 2.000 Ladesäulen pro Jahr zu errichten.

Mit Blick auf den anstehenden Mitgliederentscheid warnte die bisherige Sozialsenatorin Berlins, Katja Kipping von den Linken gegenüber dem Tagesspiegel: „Die Formulierungen sind nicht verbindlich genug, um nach dem Mitgliederentscheid auf der Ebene der Durchsetzung gegenüber einem CDU-Finanzsenator und einer CDU-Senatskanzlei bestehen zu können.“ Der Koalitionsvertrag enthalte laut Kipping einige Signalworte, „die ganz sicher mit Blick auf den SPD-Mitgliederentscheid ihren Weg in den Vertrag fanden.“ Kipping bot an weiterhin mit der SPD über ein rot-grün-rotes Bündnis zu verhandeln. Der Berliner Juso-Verband und einige Bezirksverbände hatten sich im Vorfeld gegen ein schwarz-rotes Bündnis ausgesprochen. Manuel Grisard


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