Europawahl und Energiepolitik der Parteien: Aufruf zur Wahl für Demokratie und Klimaschutz
Kurz vor der Europawahl rufen mehrere Ökostromanbieter gemeinsam auf Wählen zu gehen und ihr Kreuz bei Parteien zu setzen, die sich für eine ambitionierte europäische Energiewende einsetzen. Doch welche Parteien sind das? Eine Kurzanalyse.
04.06.2024 – Die Warnung ist deutlich: „Umfragen deuten darauf hin, dass rechtspopulistische und nationalistische Parteien viele Sitze dazu gewinnen könnten“, so ein Bündnis von Ökostromanbietern in einem am heutigen Dienstag veröffentlichten Aufruf. Unter den rechten Parteien seien viele, die den menschengemachten Klimawandel leugnen, demokratiefeindliche Positionen vertreten und die Energiewende für überflüssig halten. Für den Klimaschutz, die Energiewende und die Demokratie in Europa bestehe die Gefahr, dass wesentliche Erfolge zunichtegemacht werden.
Kirsten Nölke, Vorständin der naturstrom AG, sagt: „Europa war schon immer ein zentraler Treiber für die Energiewende, auch in Deutschland: Von der Energiemarktliberalisierung über die hohen Verbraucherschutzstandards bis hin zum Energy Sharing waren europäische Regeln häufig ein Garant dafür, dass der demokratisierende, dezentrale und bürgernahe Ausbau Erneuerbarer Energien hierzulande Fahrt aufnehmen konnte.“
Zudem wurde in der letzten Legislaturperiode Klimaziele im Rahmen des Green Deal verschärft, der Emissionshandel ausgeweitet, ein Verbrennerverbot beschlossen, eine Solarpflicht eingeleitet und eine Industriestrategie für grüne Technologien aufgesetzt. Auch wenn hier noch viel Verbesserungsbedarf angemahnt wird und schärfere Ziele wiederholt torpediert wurden.
Sönke Tangermann, Vorstand der Green Planet Energy, sagt: „Die Klimakrise bedroht unsere Lebensgrundlagen fundamental. Europa hat eine besondere Verantwortung, die Folgen der Erderhitzung einzudämmen. Gleichzeitig ist die Energiewende eine riesige Chance, unsere Wirtschaft zukunftssicher umzubauen und mehr Solidarität und Teilhabe zu ermöglichen. Dafür brauchen wir weiter starke Impulse für mehr Klimaschutz aus Europa – und Menschen, die diese Transformation gestalten." Neben naturstrom und Green Planet Energy, sind EWS Schönau und die Bürgerwerke Teil des Aufrufs.
Doch was sagen die zur Wahl stehenden Parteien für das Europaparlament zur künftigen Ausrichtung der europäischen Energie- und Klimapolitik? Hier kommt eine Kurzanalyse der Wahlprogramme aller Parteien, die aktuell bereits im Europaparlament vertreten sind, zudem das Bündnis Sahra Wagenknecht, dem gute Chancen für den Einzug ins Parlament eingeräumt werden. Die Umweltverbände BirdLife International, Climate Action Network (CAN), European Environmental Bureau (EEB), Transport & Environment und WWF haben das Abstimmungsverhalten der Parteien in der bisherigen Legislaturperiode hinsichtlich Klimaschutz relevanter Themen analysiert. Der Wert von 0 (kein Abstimmungsverhalten pro Klimaschutz) bis 100 (voll pro Klimaschutz) findet sich ebenfalls in der Analyse.
CDU/CSU:
Im Wahlprogramm hinter „Kriminalität bekämpfen“ und „Migration begrenzen“ findet sich „Wirtschaft, Energie und Klima zusammendenken“. Die Union setzt sich für Technologieoffenheit und Kernkraft im europäischen Energiesystem ein. Der Green Deal soll „im Sinne einer größeren Wirtschaftsfreundlichkeit“ gestaltet werden. Aktuell streben sie eine Abkehr von den ambitionierten Zielen des Green Deal an. Biomasse, wie Holz, soll gleichwertig zu Wind- und Solarkraft gefördert werden. Die Union steht zum Ziel der Klimaneutralität in Europa bis 2050, Zwischenziele aber werden nicht genannt. Beim Ranking nach dem Abstimmungsverhalten in der bisherigen Legislaturperiode zu Klimaschutz relevanten Themen erreicht die Union einen Wert von 22 von 100.
Grüne:
Bei den Grünen hat ein klimaneutrales Europa absolute Priorität und steht im Wahlprogramm an erster Stelle. Detailliert benennen sie die verschiedenen Möglichkeiten für Energie- und Wärmewende, inklusive Sektorenkopplung und Energieeffizienz sowie Reform des europäischen Strommarktes im Sinne Erneuerbarer. Dezentrale Erzeugung und Nutzung von Erneuerbaren Energien wird hervorgehoben. Ein europaweiter Ausstieg aus der Kohleverbrennung bis 2030 wird angestrebt, Atomkraft eine Absage erteilt und für Deutschland als Vorreiter in Europa bis 2035 ein Ende der fossilen Stromerzeugung anvisiert. Der Emissionshandel soll durch Maßnahmen eine stärkere Wirkung entfalten. Dort wo die Elektrifizierung schwierig ist, soll eine europäische Wasserstoffinfrastruktur aufgebaut werden. Für soziale Gerechtigkeit wird neben Bürgerenergie auch ein europäisches Klimageld gefordert. Beim Klimaschutz-Ranking der Umweltverbände erreichen die Grünen einen Wert von 93 von 100.
SPD:
Weit vorne im Wahlprogramm der SPD finden sich die Forderungen zur künftigen Klima- und Energiepolitik in Europa. Nicht ganz so detailliert wie die Grünen, setzen sich auch die Sozialdemokraten für eine unabhängige Energieversorgung auf Basis Erneuerbarer ein. Der Einsatz von Holzverbrennung in Kraftwerken aus Wäldern soll abgeschafft werden. Die Förderung der Atomenergie durch EU-Mittel wird abgelehnt. Der Europäische Emissionshandel soll gestärkt und der Green Deal sozial ausgebaut werden, etwa mit dem Just Transition Fund und dem Social Climate Fund sowie mehr Energieeffizienz für sozialen Wohnungsbau. Beim Klimaschutz-Abstimmungsverhalten erreicht die SPD 65 von 100.
AfD:
Für die AfD ist die Klimakrise „Klimawahn“ und Erneuerbare Energien, volatile Energieträger, die Natur- und Siedlungsraum zerstören. Stattdessen soll weiter auf Kohle und ihre riesigen Tagebaue gesetzt werden, zumindest so lange bis die Kernenergie flächendeckend ausgebaut wurde. Für Haushalt und Betriebe soll wieder Gas aus Russland fließen. Ungeachtet des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Die AfD landet im Klimaschutzranking auf dem letzten Platz, mit einem Wert von 5 von 100.
Linke:
Die Linke will die EU bis 2040 klimaneutral machen und kritisiert, dass die bisherigen Pläne der EU nicht ausreichen. Durch den Ausbau von LNG-Kapazitäten in Europa werde die Energiewende ausgebremst. Konkrete Zwischenziele fordert die Linke auch für 2030 (etwa die Reduzierung der Treibhausgase um 70 Prozent, bislang festgelegt sind 55 Prozent) und 2035 (u.a. 100 Prozent Erneuerbare Energien im Stromsektor). Die Energieversorgung soll stärker in öffentliche Hand übergehen und Bürger:innen, Kommunen und Genossenschaften besser an der Energiewende beteiligt werden. Einen zweiten Emissionshandel für Verkehr und Wärme lehnt man aus Gründen sozialer Schieflagen ab, ein Klimageld wird befürwortet. Beim Klimaschutz-Ranking erreicht die Linke einen Wert von 82 von 100.
FDP:
Sehr kurz gehalten ist das Wahlprogramm der Freien Demokraten. Das gilt auch für den Klima- und Energieteil. Der Emissionshandel für Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr soll es demnach richten, am besten global ausgeweitet. Ansonsten brauche es eine „Regulierungspause“ beim Green Deal und Abkehr von staatlichen Hilfen. Kernfusion und E-Fuels stehen bei der FDP hoch im Kurs. Beim Abstimmungsverhalten zum Klimaschutz in der laufenden Legislatur erreichen die FDP-Abgeordneten gerade mal einen Wert von 20 von 100.
Freie Wähler:
„Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit, Bezahlbarkeit, Technologieoffenheit und umweltschonende Lösungen“ sind für die Freien Wähler Eckpfeiler der Energiewende. Die dominierenden Versorgungsarten Wasser-, Wind- und Solarkraft werden nicht genannt. Stattdessen biomassebasierte Energieversorgungssysteme. Strom solle möglichst dort produziert werden, wo er verbraucht wird und Bürger:innen am Gewinn beteiligt werden. Der Emissionshandel soll sozialverträglich ausgestaltet werden. Beim Klimaschutz-Ranking erreicht die Partei jedoch gerade einmal einen Wert von 29 von 100.
Die Partei:
Kein Wort zur Energiewende im satirisch gehaltenen Wahlprogramm der Partei. Beim Abstimmungsverhalten zum Klimaschutz erreicht die Partei einen Wert von 47 von 100.
Tierschutzpartei:
Ohne spezielles Programm zur Europawahl, legt die Partei Mensch Umwelt Tierschutz kurz und knapp auf ihrer Webseite dar, dass sie sich für Europas Energie aus Wind, Wasser und Sonne und gegen Kohle, Gas und Atom einsetzen will. Bis 2030 soll mehr als die Hälfte des europäischen Energiebedarfs mit Erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Die Tierschutzpartei hebt zudem hervor, dass die dezentrale Natur erneuerbarer Energien eine Chance für kleine Unternehmen und lokale Gemeinschaften biete. Im Klimaschutzranking der Umweltverbände findet sich die Partei nicht wieder.
ÖDP:
Von allen Parteien am weitesten gehend, fordert die Ökologisch Demokratische Partei Klimaneutralität 2030. und anschließende Senkung des CO2-Gehalts der Atmosphäre von derzeit 420 auf den sicheren Wert von 350 ppm mit natürlichen Methoden. EU-Emissionshandelssystem und die CO2-Grenzabgabe (CBAM) sollen ausgebaut werden und zur Investition in emissionsarme Technologien beitragen. Umwelt- und klimaschädliche Subventionen sollen vollständig abgebaut werden. Beim Abstimmungsverhalten zum Klimaschutz erreicht die ÖDP einen Wert von 92 von 100.
Familien-Partei:
Für eine lebenswerte Umwelt nachfolgender Generationen sei sowohl der Atomausstieg als auch der Kohleausstieg zwingend notwendig, so die Familien-Partei in ihrem Wahlprogramm. Dabei müsse die Energiewende europäisch gedacht und das Stromnetz ausgebaut werden. Das alles klingt progressiv. Doch im Klimaschutz-Ranking erreicht die Partei gerade einmal einen Wert von 23 von 100.
Volt:
Die Partei Volt fordert ein Klimatransformationsgesetz. Darin unter anderem: Initiierung eines Gesetzespakets für den Klimanotstand, um die Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 2019 um 80 Prozent zu reduzieren. Klimaneutralität bei der Energieerzeugung und -nutzung bis 2035 und Netto-Klimaneutralität 2040. Der Emissionshandel soll ausgeweitet und klimaschädliche Subventionen abgeschafft und stattdessen eine angemessene Besteuerung fossiler Brennstoffe, wie etwa Kerosin, eingeführt werden. Zudem sollen Klimaanpassungsmaßnahmen und Katastrophenschutz angesichts der Klimakrise ausgebaut werden. Beim Klimaschutzranking nach dem Abstimmungsverhalten landet Volt auf Platz eins, mit einem Wert von 100 von 100.
Piraten:
Die Piraten fordern, dass die Green Deal Strategie über die internationalen Klimaschutzverpflichtungen für Europa hinausgeht. Sie stehen für eine Energiewende, die „viel Beteiligung und Transparenz“ ermöglicht. Alle Subventionen für klimaschädliche Aktivitäten sollen schrittweise eingestellt werden. Das müsse auch für klimaschädliche Projekte im Ausland gelten. Das europäische Stromnetz müsse so lokal wie möglich und so zentral wie nötig werden. Konkrete Zahlen für die Zielsetzungen werden nicht genannt. Beim Abstimmungsverhalten erreicht die Partei einen Wert von 58 von 100. Jedoch fehlte der einzige deutsche Abgeordnete der Piraten im Europaparlament an einem entscheidenden Tag – und der Abstimmung über viele Klimaschutz relevante Themen – krankheitsbedingt.
BSW:
Das Bündnis Sahra Wagenknecht spricht sich gegen LNG-Importe aus, zugleich aber für Pipeline-Gas als Brückentechnologie, dass neben Öl auch wieder aus Russland bezogen werden soll. Klima-, Energie- und Technologiepolitik soll „technologieoffen“ erfolgen. Europäische CO2-Bepreisung und Emissionshandel sollen abgeschafft werden. Grundsätzlich ist man für die Energiewende, sieht diese aber aktuell in vielen Punkten als Preistreiber.
Manuel Grisard
Kommentare
Matthias U am 05.06.2024
Beachte dass das Abstimmungsverhalten der PARTEI-Leute nicht zur Wertung taugt. Sonneborn hat mal geschrieben, dass er seine Stimme würfelt, wenn das Ergebnis aufgrund der Stimmenverhältnisse eh schon feststeht.