Lieferkettengesetz: Bestehender Schutz darf nicht abgesenkt werden
Strenger als das bereits umgesetzte deutsche Lieferkettengesetz, gilt dessen europäische Version jedoch erst ab 2027. Das nimmt die Bundesregierung zum Anlass auch deutschen Unternehmen mehr Zeit einzuräumen. Dagegen gibt es rechtliche Einwände.
11.07.2024 – Nach der Einigung zum Haushalt und dem sogenannten „Wachstumspaket“, tönte die FDP: „Das Lieferkettengesetz wird eingedampft, sodass nur noch wenige Unternehmen davon betroffen sind.“ Als vermeintlichen Bürokratieabbau und Entlastung der Wirtschaft, verbuchten die Liberalen die Abschwächung des deutschen Lieferkettengesetzes im Rahmen der Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2025 als ihren Erfolg. Viele Unternehmen sollen sich nun ganz auf die Umsetzung der europäischen Lieferkettenrichtlinie konzentrieren. Doch was steckt hinter den Richtlinien? Und könnte das Vorgehen der Bundesregierung gegen EU-Recht verstoßen?
Das deutsche Lieferkettengesetz verpflichtet deutsche Unternehmen entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette Menschenrechte und Umweltauflagen zu achten. Kontrolliert wird das vom Bundesamt für Wirtschaft und Außenkontrolle. Bei Verstößen werden die Firmen dazu verpflichtet dem entgegenzuwirken, andernfalls drohen Bußgelder. Auch können diese bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. Im Januar 2023 trat das Gesetz in Kraft und galt Anfangs für Unternehmen ab einer Größe von 3.000 Mitarbeitern, seit Anfang dieses Jahres für Firmen ab 1.000 Mitarbeitern.
Zeitgleich wurde auf europäischer Ebene über ein EU-weites Lieferkettengesetz verhandelt. Nach einer grundsätzlichen Einigung stellte sich die FDP Anfang des Jahres plötzlich quer und verweigerte zwischenzeitlich die deutsche Zustimmung. Schließlich wurde die europäische Lieferkettenrichtlinie im Mai 2024 aber doch noch verabschiedet und muss nun innerhalb von zwei Jahren von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.
Das europäische Gesetz geht inhaltlich über das deutsche Gesetz hinaus. Es beinhaltet eine zivilrechtliche Haftungsregel, die ermöglicht, dass Betroffene einfacher Schadensersatz vor Gerichten in Europa einklagen können. Zudem erfasst sie mehr menschenrechtliche Schutzgüter an Freiheitsrechten und sozialen Rechten. Auch gibt es verpflichtende Klimapläne, wobei es bei Nichtumsetzung keine ausdrücklichen Sanktionen geben soll. Und kleine und mittelständische Unternehmen genießen als indirekte Geschäftspartner mehr Schutz sowie Unterstützung als im deutschen Gesetz.
Der Knackpunkt
Unabhängig davon ab wann die EU-Staaten die Richtlinie in nationales Recht umsetzen, gelten nun für Unternehmen Fristen zur Umsetzung des Lieferkettengesetzes. Innerhalb von drei Jahren, also bis 2027, müssen Unternehmen mit einer Größe von mehr als 5.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 1,5 Milliarden Euro die Richtlinie anwenden. Eine 4-Jahres Frist gilt für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten und 900 Millionen Euro Umsatz, eine 5-Jahres-Frist für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 450 Millionen Euro.
So müssen deutsche Unternehmen auf Sicht zwar stärkere Regeln befolgen haben aber nach reiner Lesart der EU-Richtlinie deutlich länger Zeit, als es das deutsche Lieferkettengesetz vorschreibt. Das ist es, was die FDP durchgesetzt haben will. So müssten erst 2029 einige Unternehmen Sorgfalt in ihre Lieferketten bringen, die nach geltendem deutschen Recht schon heute dazu verpflichtet sind. „Zwei Drittel der Unternehmen, die bislang unter das Lieferkettengesetz fallen, werden nicht mehr darunterfallen“. sagte Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner bei der Verkündigung der Haushaltseinigung am vergangenen Freitag.
Nicht mit EU-Recht vereinbar?
Doch ein Rechtsgutachten, dass bereits nach der Verabschiedung der europäischen Richtlinie Ende Mai von den NGOs Germanwatch und Oxfam in Auftrag gegeben wurde, kommt nun zu dem Ergebnis, dass dieses Vorgehen der Bundesregierung nicht mit EU-Recht vereinbar ist. Anne-Christin Mittwoch, Professorin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Autorin des Gutachtens, erläutert: „Die kürzlich beschlossene EU-Lieferkettenrichtlinie bestimmt, dass im Zuge ihrer Umsetzung in nationales Recht, das im jeweiligen Land bereits bestehende Schutzniveau nicht abgesenkt werden darf.“
Konkret steht in Artikel 1, Absatz 2 der neuen EU-Richtlinie: „Diese Richtlinie darf nicht als Rechtfertigung für eine Senkung des in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten oder in zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Tarifverträgen vorgesehenen Niveaus des Schutzes der Menschenrechte, Beschäftigungs- und sozialen Rechte oder des Umwelt- oder Klimaschutzes dienen.“
Cornelia Heydenreich, Leiterin des Bereichs Unternehmensverantwortung bei Germanwatch, kritisiert die Ankündigung der Bundesregierung: „In der Praxis könnte das bedeuten, dass Betroffene, die derzeit vor deutschen Behörden um ihre Rechte kämpfen, mitten im Verfahren hängen gelassen werden, weil das involvierte Unternehmen plötzlich von seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen entbunden wird.“ Zudem müssten Unternehmen nach einer kurzen Pause wieder die Arbeiten an Sorgfaltspflichten aufnehmen. Das konterkariere Planungssicherheiten.
Franziska Humbert, Leitung Wirtschaft und Menschenrechte bei Oxfam Deutschland, ergänzt: Würde das Lieferkettengesetz in dieser Form abgeändert, riskiert die Bundesregierung ein EU-Vertragsverletzungsverfahren oder sogar Staatshaftungsansprüche Betroffener, denen wegen der Abschwächungen ihr rechtmäßiger Zugang zu deutschen Gerichten verwehrt wird.“ mg