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Chile – Solar sticht Kohle und Gas aus

Viele mittel- und südamerikanische Länder wachen langsam aus dem Dornröschenschlaf auf und forcieren den Ökoenergieausbau. Argentinien will in zehn Jahren zehn Gigawatt Ökostromleistung installieren. Nachbar Chile bleibt Vorreiter: Hier boomt die Solarenergie – auch ohne garantierte Einspeisevergütung.

11.11.2016 – Die Forderungen der Solarbranche nach höheren oder überhaupt Zuschüssen für kleine Photovoltaikanlagen kontert der chilenische Energieminister Máximo Pacheco traditionell neoliberal: Die vielen Sonnenstunden seien Subvention genug. Immerhin war Chile das Versuchslabor der Chicago Boys, einer Gruppe von neoliberalen Ökonomen, die unter Augusto Pinochet einen starken Einfluss auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik des Landes hatten.

Eine besonders radikale Privatisierung in allen Bereichen war die Folge. Auch die Solarenergie muss sich folglich im Markt gegen fossile Kraftwerke behaupten. „Der Solarboom in Chile ist politisch gewollt und wird durch attraktive Rahmenbedingungen flankiert – kommt aber ohne Einspeisevergütung oder staatliche Zuschüsse aus“, berichtet Matthias Grandel. Er leitet das Projekt „Solarenergie für Strom- und Wärmeerzeugung in Chile“ bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Während in Deutschland die jährliche solare Einstrahlung bei rund 950 Kilowattstunden pro Quadratmeter liegt, sind es in der Hauptstadt Santiago schon 1.600 Kilowattstunden und im Norden Chiles sogar 2.000 Kilowattstunden.

Energiekonzerne am runden Tisch

Die Kombination aus idealer Sonneneinstrahlung und relativ hohen Strompreisen machten die Photovoltaik zur günstigsten Form der Stromerzeugung in Chile. „Beispielsweise haben in einer technologieoffenen Ausschreibung 2015 ausschließlich Solarkraftwerke gewonnen – und sich gegen Kohle, Gas & Co. durchgesetzt“, erklärt Grandel. Um die Widerstände der Energiekonzerne aufzuweichen, brachte die chilenische Regierung verschiedene Akteure des alten und neuen Energiesystems zusammen an die sogenannten „Mesas ERNC“, übersetzt „runde Tische für Erneuerbare“.

Die meisten traditionellen Energiekonzerne engagieren sich mittlerweile im Ausbau der Erneuerbaren. Das Marktforschungsunternehmen IHS sagt für Lateinamerika einen Photovoltaikzubau von 2,7 Gigawatt im Jahr 2016 voraus, der überwiegend über Ausschreibungsrunden erreicht wird. Chile führt den Zubau wie in den vergangenen Jahren an und wird voraussichtlich für 44 Prozent des gesamten Zubaus in Lateinamerika verantwortlich sein. Auf Platz zwei werde Mexiko in diesem Jahr vermutlich Honduras ablösen.

60 Prozent Ökostromanteil

Ein Treiber für den Ökostromausbau in Chile ist das Quotensystem für Energieversorger. Demnach müssen alle Versorger ab 2025 mindestens 20 Prozent ihrer Erzeugung aus Erneuerbaren Energien bestreiten. Zudem gibt es politische Ökostromziele: Unter dem Titel „Energie 2050" definierte Chiles Energieministerium 2015, dass innerhalb der nächsten 35 Jahre Erneuerbare Energien – einschließlich Wasserkraft – 60 Prozent am Strommix stellen sollen. Rund ein Fünftel soll aus Solarenergie erzeugt werden.

Zudem will Chile dank der Erneuerbaren bis 2050 eines der drei OECD-Länder mit den niedrigsten Energiekosten sein. Der wichtigste Markttreiber ist heute schon die Wirtschaftlichkeit der Anlagen. „Große Freiflächenanlagen kommen auf Gestehungskosten um sechs US-Dollarcent pro Kilowattstunde, Anlagen auf Gewerbedächern auf etwa 10 bis 12 Cent“, weiß GIZ-Mann Grandel.

Vor allem große Solarparks treiben den Zubau voran. Um den Eigenverbrauch von Strom aus erneuerbaren Energiequellen in Haushalten und in Industrie und Gewerbe zu fördern, hat die chilenische Regierung im Oktober 2014 ein Net-Metering eingeführt. „Danach kann das öffentliche Stromnetz vom Anlagenbetreiber wie ein Speicher verwendet werden“, erklärt er. Mittags eingespeister Strom wird auf den Verbrauch am Abend angerechnet. Haushaltskunden bekommen den Großhandelspreis des eingespeisten Stroms gutgeschrieben, gewerbliche Kunden bekommen ihren Stromtarif angerechnet. Diese Form der Förderung ist in auch in vielen Staaten der USA verbreitet.

Auch der Staat investiert selbst

Ein bisschen darf der Staat in Chile dann doch selbst investieren. Mit dem staatlichen Programm „Techos Solares Público“ sind für 2016 internationale Ausschreibung über 60 bis 70 Solarstromanlagen auf öffentlichen Gebäuden geplant. Bis 2018 will die Regierung insgesamt mehr als 13 Millionen US-Dollar bereitstellen. Für die Unterstützung der solaren Wärme gibt es eine Steuervergünstigung bis 2020 für etwa 47.000 Wohnungen und 19.000 bezuschusste Sozialwohnungen. Über die GIZ wird unter anderem die Einführung von Solartrocknern für landwirtschaftliche Produkte über eine öffentlich-private Kooperation mit der deutschen Firma Grammer Solar unterstützt. Diese Investition amortisiert sich in Chile im Schnitt nach etwa fünf Jahren. Das Programm läuft von 2016 bis 2018.

Ein besonderes Prestigeprojekt wird in der Kommune María Elena errichtet. Direkt in der Atacamawüste entsteht derzeit eine solarthermische Anlage mit einer Leistung von 110 MW neben einer Photovoltaikanlage mit 100 MW. Beide werden mit einem großen Salzwärmespeicher verbunden. Künftig speist das Kombikraftwerk ununterbrochen Strom ein und erfüllt damit die Anforderungen des Netzbetreibers als grundlastfähiges Kraftwerk. Denn der Wärmespeicher liefert bis zu 17,5 Stunden Strom – auch nachts, wenn die Sonne nicht scheint.

Argentinien startet Ausschreibungen

Im Nachbarland Argentinien spielte Ökostrom bis dato keine Rolle. Das ändert sich nun: Im Mai hat die Regierung das Programm Renovar vorgestellt, was soviel wie erneuern heißt. Es sieht vor, dass bis 2025 zehn Gigawatt Leistung Ökostrom am Netz sein sollen, der Anteil der Erneuerbaren am Strommix soll dann ein Fünftel betragen.

Zudem plant Argentinien nach Brasilien, Uruguay, Mexiko und Peru nun eine erste Ausschreibung über ein Gigawatt, darunter 600 MW für Windenergie, 300 MW Solarenergie sowie 65 MW Leistung aus Biomasse und 15 MW aus Biogaskraftwerken. Auch die arme Landbevölkerung soll von Ökostrom profitieren. Deshalb fördert die argentinische Regierung von Präsident Mauricio Macri Erneuerbare in ländlichen Regionen mit dem Programm Permer. Rund 6.500 kleine Photovoltaikanlagen sollen netzfern installiert werden, um so die entlegenen Bewohner mit Strom zu versorgen. Insgesamt werden dafür rund 58,2 Millionen US-Dollar investiert.

Netzzugang wichtiger als Förderregime

Nach und nach erwacht der süd- und lateinamerikanische Kontinent aus seinem Dornröschenschlaf: „Chile ist der Vorreiter in der Region – aber auch in Mexiko, Brasilien und neuerdings in Argentinien setzen die Regierungen zunehmend auf Erneuerbare Energien“, berichtet Südamerikaexperte Stephan Franz. Sein Büro F mit Sitz in Berlin erstellt Marktanalysten mit Spezialisierung auf Erneuerbare Energien und Strommärkte.

Im Unterschied zum deutschen EEG bekämen die Erneuerbaren in Südamerika jedoch von Anfang an vor allem durch Ausschreibungen einen Marktzugang. Die gesunkenen Kosten für Komponenten und die guten Einstrahlungsbedingungen und Windpotenziale machen Photovoltaik und Windkraft wettbewerbsfähig – da seien keine aufwändigen Förderprogramme nötig, meint Franz. Vielmehr seien der Netzzugang sowie klare Genehmigungsverfahren entscheidend. „Das sind die eigentlichen Erfolgskriterien.“ Denn die Uhren ticken in Südamerika etwas anders, eine Ausschreibung verzögert sich auch mal. Zuletzt verschob Brasilien eine für Juli 2016 geplante Ausschreibung – und die lässt weiter auf sich warten. Niels Hendrik Petersen

Den Artikel mit tabellarischer Übersicht zu Erneuerbaren Energien in Südamerika finden sie auch in der aktuellen energiezukunft-Ausgabe Heft 21/Herbst 2016.


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