Bundestagswahl: Der Energiewende-Eiertanz der Union
Umfragen zufolge führt an der Union in der nächsten Bundesregierung kein Weg vorbei. Wie sie zur Energiewende stehen, dazu gibt es in CDU und CSU unterschiedliche Ansichten. Energieexperten haben eindeutige Ansichten.
29.11.2024 – Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Jens Spahn, holte sie diese Woche wieder raus: Die Mär von Deutschlands Strommangel aufgrund der abgeschalteten Atomkraftwerke. Vermeintlich habe Habeck um Atomkraft aus Frankreich gebettelt, zitiert Spahn einen Bild-Artikel. Doch das Bundeswirtschaftsministerium stellte richtig: Das Gegenteil war der Fall. Es ging um die Frage des Exports, um die französische Stromversorgung zu sichern. Und tatsächlich lieferte Deutschland zum Zeitpunkt der Korrespondenz zwischen Deutschland und Frankreich 2022 mehr Strom nach Frankreich.
Auch Altkanzlerin Angela Merkel schreibt in ihren Memoiren, sie empfehle Deutschland nicht, in die Nutzung von Kernenergie wieder einzusteigen, die Klimaziele könnten auch so erreicht werden. Dem aber widersprach der CDU-Generalsekretär Carsten Lindemann. Ihm zufolge könne durchaus geprüft werden, ob stillgelegte Atomkraftwerke wieder hochgefahren werden können. Auch CDU-Chef Friedrich Merz würde einen Wiedereinstieg prüfen, sieht die Möglichkeit eines Einstiegs in die Stromversorgung mit AKWs inzwischen aber skeptisch, weil die Kraftwerke bereits abgebaut würden, so der Kanzlerkandidat der Union bei der ZDF-Sendung Maybrit Illner.
Jochen Linßen, Professor für Integrierte Infrastruktur am Forschungszentrum Jülich, erklärte diese Woche bei einem Pressegespräch des Science Media Centers, schon rein technisch gesehen sei ein Wiedereinstieg der außer Betrieb genommen AKWs nicht ohne weiteres möglich. Auch ehemalige AKW-Betreiber wie RWE sprechen sich dagegen aus. Zum Neubau von AKWs sagte Linßen darüber hinaus: „Ich sehe nicht, wie das kostenseitig funktionieren soll. Es sei denn, es ist politisch gewollt und man gäbe massiv Förderungen und Garantien“. Neu zu bauende AKWs müssten mit Erneuerbaren Stromgestehungskosten von 5 bis 6 Cent pro Kilowattstunde konkurrieren. Berechnungen der Umweltorganisation BUND zufolge liegen die Kosten für neue AKWs inklusive der Ewigkeitskosten der Endlagerung bei 42 Cent pro Kilowattstunde.
Bei Illner befand Merz auch Windräder für „hässlich“, die man möglicherweise eines Tages wieder abbauen könnte, wenn etwa die Kernfusion Marktreife erreiche. Zwar macht die Erforschung dieser Technologie Fortschritte, aber sehr langsam. Zum Erreichen des Ziels von Treibhausgasneutralität 2045 in Deutschland, wird die Technologie nach einhelliger Meinung von Energieexpert:innen keinen Beitrag leisten.
Professor Linßen weist zudem auf ein weiteres Problem der Technologie hin: Das Stromsystem müsse jetzt dringend auf die flexiblen Erneuerbaren Energien ausgerichtet werden. Wenn dann theoretisch in 30 Jahren aber Fusionsreaktoren ans Netz gehen, seien die mit Leistungsgrößen und Grundlast von 2 Gigawatt oder mehr schwierig ins Netz zu integrieren. Die zunehmende und fluktuierende Leistung Erneuerbarer Energien im Netz bedeutet eigentlich einen Abschied von der alten Energiewelt, in der fossile Kraftwerke geregelte und immer gleiche Energie ins Netz einspeisen, aber Klima und Umwelt schädigen. Die klimafreundlichen Technologien Wind- und Sonnenkraft hingegen schwanken je nach Wetterverhältnissen bei ihrer Einspeisung.
Eine Kraftwerksstrategie soll helfen, sogenannte Dunkelflauten zu überbrücken. Bei einem gut ausgebauten Netz mit kleinen und großen Batteriespeichern, die stundenweise Flauten überbrücken, gehen verschiedene Berechnungen von höchstens zwei Wochen im Winter aus, in denen Back-Up Kraftwerke gebraucht werden. Neben dem künftigen Betrieb von Gaskraftwerken mit Wasserstoff wird vielfach auch ein stärkerer Fokus auf Biogas und Biomasse für eine klimafreundliche Versorgung gefordert. Doch die Biogas-Branche wird in den bisherigen Strategien des Bundes weitgehend ignoriert.
Das rief sogar Kritik bei der Union hervor. Fehlende Änderungen bei der Bioenergie würden weiterhin zu einem Sterben der Branche auf Raten führen, so Andreas Lenz von der Unionsfraktion im Mai bei einer Bundestagsdebatte. Dem pflichtete auch der Fraktionsvize der CDU, Andreas Jung, wiederholt bei. Bei einer Debatte diese Woche auf dem Forum Solar Plus 2024 zeigte sich Jung zudem offen für viele weitere Energiewende-Projekte, die auch den Grünen nahestehen. Einer Renaissance der Atomkraft zeigte sich Jung skeptisch gegenüber.
Große Unsicherheit besteht indes, wie die Union mit dem sogenannten Heizungsgesetz umgehen wird. Wiederholt erklärte Merz im zurückliegenden Jahr, man werde das Heizungsgesetz wieder zurücknehmen. Auch Spahn sagte kürzlich in einem FAZ-Podcast: „Wir beenden Habecks Subventionsprogramme.“ Die Wärmepumpen-Branche zeigte sich entsetzt, auch wenn noch nicht bekannt ist, inwieweit die Union das Gebäudeenergiegesetz (GEG) kippen will. Persönlich bekannte sich Merz schon als Wärmepumpenfan. Auch ist die zum GEG gehörende kommunale Wärmeplanung vielerorts schon in der Umsetzung.
Zudem ist bereits bekannt, dass die Union weiter auf die steigende CO2-Bepreisung setzen will. Die aber wird das Heizen mit Öl und Gas weiter verteuern. Der noch amtierende Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte bei der ARD-Sendung Carmen Miosga: „Wenn Klimaschutz klug gemacht ist, lässt sich damit Geld sparen. Doch die Union plant, die Förderungen für erneuerbares Heizen zu kürzen oder ganz zu streichen – und lässt die Menschen auf den teurer werdenden fossilen Energien sitzen. Das ist keine soziale Politik.“
Christian Rehtanz, Professor für Energiesysteme an der Technischen Universität Dortmund, weist auf den Wegfall der Förderungen bei E-Autos hin. Die führten zu einem Zusammenbruch des Marktes. Zudem mahnt Rehtanz einen steigenden CO2-Preis an. „Die Verbraucherzentrale NRW hat 2023 errechnet, dass die Mehrkosten durch den CO2-Preis für ein unsaniertes mit Heizöl betriebenes Haus bei 400 Euro im Jahr liegen, für ein gut gedämmtes Haus mit Gasheizung bei 150 Euro. Damit schaffe ich keinen Anreiz für eine Umstellung.“
Immerhin erklärt die CDU in ihrem Grundsatzprogramm, dass sie mit den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung die Stromsteuer senken und die Netzentgelte halbieren und für weitere Entlastungen und Förderprogramme einsetzen möchte. Es bleibt abzuwarten, wer sich in der Union durchsetzen wird. Die Pragmatiker, die die Energiewende und Förderungen im Sinne von Klimaschutz und sozialer Politik weiter vorantreiben, oder Ideologen, die mit der Rückbesinnung auf Atomkraft ein Milliardengrab schaffen. mg
Kommentare
Mara vor 5 Tagen
Tippfehler: „Treibhausgasneutralität 2024“
energiezukunft vor 5 Tagen
Hallo Mara, vielen Dank für den Hinweis. Natürlich muss es "Treibhausgasneutralität 2045" heißen. Wir haben die Zahl geändert. Beste Grüße von der Redaktion
Johannes Max vor 5 Tagen
Wie das Wort bereits nahelegt, geht es bei der Kernfusion um das Verschmelzen von Atomkernen (H zu He) und nicht um deren Spaltung. Entweder ist hier den Autoren des Artikels, oder - was wesentlich wahrscheinlicher erscheiint - dem zitierten Unionspolitiker ein Fehler unterlaufen. Dann wäre dies im Artikel entsprechend kenntlich zu machen!
Ganz unabhängig davon ist ein Wiedereinstieg in nukleare Technologien zur Stromerzeugung in Deutschland - Stand heute - witschaftlich absolut widersinnig. So unverständlich und unsinnig das aus wissenschaftlicher Sicht auch ist - das Ganze ist schlicht eine Scheindebatte von der die Union zu glauben scheint, damit im Wahlkampf punkten zu können - bei wem auch immer.
Wenn es nicht so traurig wäre, dass solche Märchenerzählungen tatsächlich bei einigen Wählern zu verfangen scheinen, wäre es einfach nur zum totlachen was so manche (v. a. CDU/CSU-, FDP-Poliker sowie BSW- und AfD-Leute [als "Politiker" können die letztgenannten wohl eher nicht ernsthaft bezeichnet werden]) zu diesem und ähnlichen Themen so von sich geben.
energiezukunft vor 2 Tagen
Hallo Johannes Max, der Fehler der richtigen Beschreibung der Kernfusion ist uns unterlaufen. Vielen Dank für den Hinweis.