Fusionsforschung: Der Traum von der sauberen Atomenergie

In Deutschland soll das erste Kraftwerk entstehen, das aus Kernfusion Energie erzeugt. Trotz großer Fortschritte sind sich Forscher uneinig über die Machbarkeit eines solchen Projekts. Die Fusionsforschung steht noch vor so einigen Herausforderungen.
15.04.2025 – Die Kernfusion ist der Traum der Atomkraft. Sie verspricht nahezu unendliche Energie – und das relativ sauber, mit verhältnismäßig geringem Flächenverbrauch, und ohne langfristig verstrahlten Atommüll. Die neue Bundesregierung plant, in Deutschland das weltweit erste Fusionskraftwerk zu bauen. Forscher sind sich uneinig, wie greifbar das Überwinden der Hürden der Kernfusion sind, an der bereits seit über einem Jahrhundert geforscht wird.
Was ist Kernfusion?
Bei der Kernfusion verschmelzen zwei leichte Atomkerne zu einem schwereren Kern und geben dabei Energie ab. Nach diesem Prinzip funktioniert auch die Sonne, in der Wasserstoffatomkerne bei extrem hohem Druck und hoher Temperatur zu Helium fusionieren. Der Zustand der Materie unter diesen Bedingungen wird als Plasma bezeichnet.
Auf der Erde ist es nicht möglich, den Druck der Sonne – rund 200 Milliarden Bar – zu reproduzieren. Um einen Fusionsprozess zu erzeugen, muss der fehlende Druck mit mehr Hitze kompensiert werden. Kernfusionsreaktoren müssen so dauerhaft Temperaturen von mehr als 15 Millionen Grad Celsius standhalten.
Damit eine Kernfusion ausreichend Energie produziert, reicht gewöhnlicher Wasserstoff nicht aus, da er zu langsam reagiert. Stattdessen wird sogenannter schwerer und überschwerer Wasserstoff genutzt, auch als Deuterium und Tritium bekannt. Deuterium ist nicht radioaktiv und kommt in großen Mengen in den Ozeanen vor. Tritium ist hingegen sowohl radioaktiv als auch selten, und muss erst in Reaktoren hergestellt werden. Beim Fusionsprozess wird der Behälter radioaktiv aktiviert, hat jedoch mit einigen Jahrzehnten eine geringe Halbwertszeit. Das bei der Fusion entstehende Helium ist nicht radioaktiv. Auch andere Ausgangsstoffe für eine Kernfusion sind grundsätzlich denkbar, jedoch wenig erforscht.
Kernfusion verbraucht mehr Energie als sie produziert
Erforscht werden derzeit zwei Arten der Kernfusion. Bei der ersten Methode, der laserbasierten Trägheitsfusion, werden die Voraussetzungen für die Kernfusion nur für wenige Nanosekunden mit Hilfe von Lasern hergestellt. Ende 2022 gelang der US-amerikanischen staatlichen Forschungseinrichtung National Ignition Facility (NIF) ein Erfolg: Bei einem Experiment konnte 50 Prozent mehr Energie erzeugt werden als der Laser benötigte. Bisher konnte der Erfolg allerdings nicht reproduziert, geschweige denn skaliert werden.
Bei der zweiten Methode, auf der der europäische Forschungsschwerpunkt liegt, wird das Plasma durch ein Magnetfeld erzeugt. Der in Frankreich entstehende Magnetfusionsreaktor Iter, ein Gemeinschaftsprojekt von EU, USA, China, Indien, Südkorea, Japan und Russland, ist der größte und teuerste seiner Art. Die Fertigstellung des Fusionsreaktors verzögert sich allerdings in nuklearer Tradition um mehrere Jahrzehnte und wird derzeit auf 2034 datiert. Technologisch habe ITER bereits jetzt eine Menge Fortschritt gebracht – letztlich auch durch das Überwinden der unvermeidlichen Probleme beim Bau, meint Professor Hartmut Zohm, Leiter des Bereichs Tokamak-Szenario-Entwicklung, Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), Garching. „Wir wissen nun zum Beispiel, wie man große supraleitende Magnetspulen oder Vakuumgefäße für Fusionsreaktoren baut. Wenn ITER dann im kommenden Jahrzehnt in Betrieb gehen wird, werden Fortschritte in der Physik dazukommen.“
Bevor Fusionsenergie kommerziell genutzt werden kann, um Strom zu erzeugen, ist jedoch noch einiges an Forschung nötig. „Wir müssen als erstes zeigen, dass unser Konzept für den Brennstoffkreislauf funktioniert. Ein Fusionskraftwerk soll ja die benötigte Menge Tritium kontinuierlich während des Betriebs aus Lithium erzeugen“, sagt Zohm. „Als zweites müssen wir zeigen, dass sich das Fusionsplasma nach der Zündung aus sich selbst heraus heizt, also dauerhaft ‚brennt‘ und als drittes, dass sich die Kombination aus den beiden erstgenannten Punkten technisch zuverlässig realisieren lässt.“ Zwar wird erwartet, dass Iter zukünftig mehr Energie erzeugen kann, als für Start der Reaktion und Erhaltung des Plasmas notwendig sind. Die Anlage wird insgesamt jedoch noch immer mehr Energie verbrauchen als produzieren.

Blick vom Zentrum des Tokamak-Komplexes auf dem ITER-Gelände während der Bauarbeiten im Jahr 2018 (Bild: Oak Ridge National Laboratory / CC BY 2.0 via Wikimedia Commons).
Das erste Fusionskraftwerk
Über Jahrzehnte wurde in der Wissenschaft über die Fusionskonstante gewitzelt, wonach ein Durchbruch in der Fusionsforschung stets etwa 30 Jahre in der Zukunft liegt. Die neue Bundesregierung setzt hingegen darauf, dass Kernfusion in der näheren Zukunft möglich wird. Der Fokus auf Fusionsforschung hat es sogar in den Koalitionsvertrag geschafft: In Deutschland solle zukünftig der erste Fusionsreaktor der Welt Strom liefern, heißt es dort.
„Die genannten Meilensteine finden sich auf der europäischen Roadmap für Fusionsforschung, für deren Erreichung öffentliche Gelder auch aus Deutschland eingesetzt werden. Bund und Länder finanzieren kontinuierlich die Fusionsforschung an unserem Institut, am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und am Forschungszentrum Jülich. Darüber hinaus hat die scheidende Bundesregierung weitere Forschungsprogramme gestartet, die vor allem Technologieentwicklung in zeitlich begrenzten Projekten zusammen mit der Industrie fördern. Es ist also klar ein Trend hin zur Förderung von praxisrelevanter Forschung zu erkennen“, erklärt Zohm.
Tatsächlich sei in den vergangenen Jahren neuer Schwung in die Fusionsforschung gekommen, bestätigt eine Analyse der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Grundlegende Herausforderungen seien jedoch nach wie vor ungelöst. „Aus energiewirtschaftlicher Perspektive ist die Kernfusion heute von einer kommerziellen Nutzung genauso weit entfernt wie in den 1950er Jahren, als die Entwicklung für zivile Zwecke anlief“, so Studienautor Christian von Hirschhausen. „Für die Energiewende ist sie damit irrelevant.“
„Kernfusion bleibt ein langfristiges Forschungsprojekt ohne Perspektiven für die kommerzielle Energienutzung“, resümiert Studienautorin Claudia Kemfert. „Anstatt weiter unrealistische Hoffnungen auf eine baldige Marktreife der Kernfusion zu setzen und Milliarden in hypothetische Fusionskraftwerke zu investieren, sollte der Fokus auf anwendungsorientierte Forschung gelenkt werden.“ Zohm und andere Fusionsforscher sehen da optimistischer in die Zukunft. Zyniker könnten allerdings anmerken, dass so auch die Fusionskonstante entstanden ist. jb
Kommentare
Hannes Allabauer vor 1 Woche
Und was wirkt am Ende im Energiefluss der Fusion? Ein Dampfkraftwerk, das 60% der "gewonnenen" Energie als Abwärme in die Luft entlässt - eine Himmelheizung.