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Die Energiewende ist nicht mehr wahlkampftauglich

Derzeit sieht es nicht danach aus, dass das Thema Energiewende im Bundestagswahlkampf 2017 eine große Rolle einnehmen wird. (Foto: pixabay.com, CC0 Public Domain)
Derzeit sieht es nicht danach aus, dass das Thema Energiewende im Bundestagswahlkampf 2017 eine große Rolle einnehmen wird. (Foto: pixabay.com, CC0 Public Domain)

Vor fünf Jahren dominierte Fukushima die Landtagswahlen in drei Bundesländern, nun war die Energiewende dort nur noch ein Randthema. In den Parlamenten sitzen künftig auch Abgeordnete, die mehr Atomkraft wollen, das EEG abschaffen würden und den menschengemachten Klimawandel leugnen.

07.04.2016 – Innerhalb von fünf Jahren kann sich ein Land verändern. Das passiert manchmal auf einen Schlag, eher aber schleichend – und tritt dann plötzlich umso deutlicher hervor. Wahlen können solch ein Moment sein, und es darf wohl als historischer Zufall gelten, dass die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt nun schon zum zweiten Mal hintereinander einen solchen gesellschaftlichen Umbruch politisch spürbar machen.

Beim letzten Mal stimmten die Bürger in den drei Ländern zuallererst über die Energiepolitik der schwarz-gelben Bundesregierung ab. Unmittelbar nach der Reaktor-Havarie im japanischen Fukushima hatte deren Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke, hinter der von vorneherein keine Mehrheit in der Bevölkerung stand, jegliche Unterstützung verloren. Zusammen mit dem Konflikt um Stuttgart 21 spülte das die CDU in Baden-Württemberg nach mehr als 50 Jahren aus der Regierung und den Grünen Winfried Kretschmann ins Amt. Um 12,5 Prozent legten die Grünen damals zu, in Rheinland-Pfalz waren es immerhin 10,8 Prozent, in Sachsen-Anhalt zogen sie zum ersten Mal seit 1998 wieder in den Landtag ein. In der Folge vollzog Angela Merkel die Kehrtwende und rief auch für die Konservativen endgültig die Energiewende aus.

Und heute, fünf Jahre danach? Wird Kretschmann künftig wohl mit eben jener CDU zusammen regieren, die er damals ablöste, während seine rheinland-pfälzischen Parteikollegen wieder auf den Vor-Fukushima-Wert eingebrochen sind. Vor allem aber zieht mit der AfD eine Partei mit zweistelligen Werten – in Sachsen-Anhalt sind es 24 Prozent – in die drei Landtage ein, die aggressiv Stimmung gegen die Aufnahme von Flüchtlingen macht und damit den Fokus im Wahlkampf vorgegeben hat. Umwelt- und Energiepolitik ist dagegen wieder in den Hintergrund gerückt: 2011 stand sie laut dem Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap in Baden-Württemberg mit 45 Prozent auf Platz eins der wahlentscheidenden Themen, in Rheinland-Pfalz rangierte die Atompolitik mit 49 Prozent nur knapp hinter der Bildung, in Sachsen-Anhalt lag der Wert immerhin bei 41 Prozent.

2016 findet sich Energie nirgendwo mehr unter den Themen, die besonders viele Stimmen brachten – mit traditioneller Ausnahme der Grünen-Wähler. Stattdessen stehen soziale Gerechtigkeit, Wirtschaft und eben die Flüchtlinge ganz vorne. War die Wahl direkt nach Fukushima schlicht ein Sonderfall und hat die alles beherrschende Flüchtlingsdiskussion diese Rolle nun übernommen? Nicht nur, sagt der Energie- und Wirtschaftsberater Robert Werner im Interview mit neue energie. „Nach Jahren der großen Aufregung über das ,Ob‘ erleben wir jetzt zunehmend einen Energiewende-Alltag. Es geht um das ,Wie‘.

Weil es ins Detail geht, bleibt der Wahlkampf oft phrasenhaft“, so Werner. „Dabei erwarten die Menschen mehr denn je konkrete Lösungen, denn die Energiewende betrifft sie zunehmend direkt.“ Zugleich sei es schwierig, etwa die Rolle von Speichern im künftigen Energiesystem öffentlichkeitswirksam zu thematisieren: „Die Wahlkampftauglichkeit leidet bei solchen Fragen schon erheblich.“

Aber auch die größeren Linien sind momentan offenbar nicht mehr wahlkampftauglich. Die EEG-Novelle der Bundesregierung, die im Sommer beschlossen werden soll, sieht in erster Linie vor, den Zubau Erneuerbarer Energien und vor allem der Windkraft zu begrenzen – umstritten ist koalitionsintern allenfalls noch, auf welches Maß. Mit dem Wechsel zu Ausschreibungen und einer komplizierten Berechnungsformel soll unbedingt verhindert werden, dass ein Ausbau über die Ziele der Bundesregierung hinaus stattfindet, Klimaschutz hin oder her. Das dürfte allerdings mit den Plänen so manches Bundeslands kollidieren, das sich eigene Ziele gesetzt hat. In Baden-Württemberg etwa ging es mit der Windenergie 2015 erst richtig los, 144 Megawatt Leistung kamen hinzu, nach weniger als 20 MW im Vorjahr. Gut möglich, dass es damit bald schon wieder vorbei ist. Den Kompromiss mit den Ländern von 2014 auf 2.500 Megawatt Netto-Zubau will die Bundesregierung aufkündigen und als Untergrenze einen Bruttowert einziehen, der momentan noch nicht feststeht. Das heißt: Wenn beispielsweise im Norden viele alte Anlagen an guten Standorten durch neuere ersetzt werden, könnte der Süden schnell leer ausgehen. Die Veröffentlichung des Referentenentwurfs zum EEG wurde lange verzögert – um das Thema aus den Landeswahlkämpfen herauszuhalten, hieß es in energiepolitischen Kreisen. Letztlich kursierte er dann doch schon im Vorfeld, ohne dass es sie sonderlich beeinflusst hätte.

Dennoch könnten die Wahlergebnisse in der energiepolitischen Diskussion etwas verändern. Unter den etablierten Parteien mag es, anders als noch vor fünf Jahren, nur noch um das Tempo und das „Wie“ der Energiewende gehen. Die FDP, die in Rheinland-Pfalz im Rahmen einer Ampelkoalition in die Regierung rücken könnte, ist noch am weitesten davon entfernt. Sie fordert dort etwa eine 10-H-Regel wie in Bayern, die den Abstand von Windkraftanlagen zur Wohnbebauung deutlich erhöhen würde, sowie ein Ende des EEG in seiner jetzigen Form. Sehr viel weiter geht jedoch die AfD: Auf dem Rücken der Flüchtlinge bringt sie die Frontalopposition gegen die zwei wesentlichen Prämissen der Energiewende zurück in die Parlamente: dass a) Atomkraftwerke niemals vollständig beherrschbar sind und deshalb abgeschaltet werden müssen und b) der von Menschen erzeugte Klimawandel einen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen erfordert.

Das äußern nicht nur einzelne AfD-Vertreter, es steht auch in ihren Parteiprogrammen – etwa im Entwurf für das neue Grundsatzprogramm, den das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv veröffentlicht hat. „Kohlendioxid (CO2) ist kein Schadstoff, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil allen Lebens“, heißt es dort beispielsweise. Die Modelle des Weltklimarats IPCC seien untauglich und unterschlügen zudem „die positive Wirkung des CO2 auf das Pflanzenwachstum und damit auf die Welternährung. Je mehr es davon in der Atmosphäre gibt, umso kräftiger fällt das Pflanzenwachstum aus“. Das EEG will die AfD ohnehin „ersatzlos abschaffen“, im Gegensatz zu Atomkraftwerken: „Die Ausstiegsbeschlüsse aus der Kernkraft von 2002 und 2011 waren sachlich nicht begründet und wirtschaftlich schädlich“, heißt es in dem Papier, das deshalb für eine erneute Laufzeitverlängerung eintritt. Die Zeit einfach zurückzudrehen wird der AfD indes nicht gelingen, allein schon deshalb, weil sie bislang an keiner Regierung beteiligt ist. Was allerdings in fünf Jahren sein wird, darüber lässt sich nur spekulieren.
Tim Altegör (neue energie, Ausgabe Nr. 04/2016, S.16-19)


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