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Unzureichender KlimaschutzEine Welle von Klimaklagen rollt auf die Verfassungsrichter zu

Blick in den Verhandlungssaal des Bundesverfassungsgerichts.
In den kommenden Tagen müssen sich die Verfassungsrichter in Karlsruhe verstärkt mit den Klagen der Klimaaktivisten beschäftigen, die Klimaschutzgesetz und entsprechende Maßnahmen der Bundesregierung für unzureichend halten. (Foto (Bildausschnitt): Mehr Demokratie/flickr.com, CC BY-SA 2.0)  

Werden die Grundrechte eines menschenwürdigen Lebens durch die Klimapolitik der Bundesregierung torpediert? Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis legt deswegen Verfassungsbeschwerden ein. Das sind KlägerInnen und Anklagepunkte.

16.01.2020 – „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ – so steht es im deutschen Grundgesetz im zweiten Artikel. Laut Umweltverbänden und Klimaaktivsten ist dieses Grundrecht in Gefahr. Denn die klimapolitischen Maßnahmen der Bundesregierung seien zu schwach, um das Leben jetziger und künftiger Generationen weltweit wirksam zu schützen. Daher legen mehrere zivilgesellschaftliche Bündnisse Verfassungsbeschwerde ein.

Folgende Klagen liegen beim Bundesverfassungsgericht:

1.  Bereits im November 2018 haben Ein Klagebündnis aus Solarenergie-Förderverein Deutschland, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und vielen Einzelklägern, wie Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme, und dem Ex-Bundestagsabgeordneten Josef Göppel (CSU), Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Grund sei die unzureichende deutsche Klimapolitik. Rechtsvertreter ist unter anderem Professor Felix Ekardt, der sich seit 20 Jahren mit der Thematik auseinandersetzt.

„Deutschlands weitgehende Untätigkeit verletzt die Grundrechte auf Leben, Gesundheit, Existenzminimum und Eigentum, weil der Klimawandel nicht entschlossen genug bekämpft wird. Das Verfassungsgericht muss eine Verpflichtung für Bundesregierung und Bundestag aussprechen, künftig deutlich mehr Klimaschutz zu betreiben. Wir begrüßen es nachdrücklich, dass sich auch weitere Akteure unserem Weg anschließen“, so Ekardt in einem gestrigen Statement.

 

2. Weitere Akteure sind Betroffene aus Bangladesch und Nepal, die von der Deutschen Umwelthilfe unterstützt werden. Angeführt von Yi Yi Prue, Rechtsanwältin aus Bangladesch, legten mehrere vom Klimawandel betroffene Menschen aus Nepal und Bangladesch am vergangenen Freitag Klimaklagen vor dem Bundesverfassungsgericht ein. Denn die Grundrechte nach dem deutschen Grundgesetz stünden allen Menschen zu, egal wo sie leben, lässt die DUH mitteilen. Die deutsche öffentliche Gewalt müsse demnach den für Deutschland erforderlichen Beitrag leisten, um diese Grundrechte nicht zu gefährden.

2017 gab es in Bangladesch starke Monsunfälle, die schwere Erdrutsche verursachten, erzählt Yi Yi Prue. „Dadurch starben zahlreiche Menschen und viele verloren ihr Hab und Gut, besonders ärmere indigene Personen. Als Rechtsanwältin wollte ich etwas tun, da so etwas auch meiner Familie und mir passieren könnte“, so Prue weiter. Sie habe mit vielen vom Klimawandel Betroffenen aus Bangladesch, Nepal und Indien gesprochen, die bereits heute ihr Zuhause aufgrund der Klimakrise verloren haben und entschieden diesen Menschen in den Ländern eine Stimme zu geben, die für die globale Erwärmung verantwortlich sind.

 

3. In Deutschland unterstützt die DUH in einer weiteren Verfassungsbeschwerde Aktivisten aus der Fridays for Future-Bewegung. Beschwerdeführer sind Miriam Siebeck und Jonathan Heckert aus Stuttgart. „Peter Altmaier träumt von wirtschaftsverträglichen Klimaschutz, wir träumen von klimaverträglichen Wirtschaften“, sagt Heckert auf einer Pressekonferenz zu dem Thema in Berlin. Die Politik der Bundesregierung widerspreche ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht. Bezogen auf die seit mehr als einem Jahr andauernden Proteste von Fridays for Future erklärt Siebeck: „Wenn das Demonstrieren nichts bringt, dann muss jetzt halt gerichtlich Druck ausgeübt werden.“

Beide durch die DUH unterstützten Klagen stützen sich, neben dem Anfangs erwähnten Artikel zwei, auch auf das Eigentumsrecht nach Artikel 14 des Grundgesetzes. Dort lautet der erste Satz: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.“ Der Klimawandel jedoch habe bereits heute zu erheblichen Schäden an Sachgütern und Grundeigentum geführt, argumentieren die Kläger. Der Gesetzgeber sei daher verpflichtet, geeignete Maßnahmen zum Schutz des Eigentums vor den Folgen des Klimawandels zu ergreifen.

 

4. Hinter einer vierten Verfassungsbeschwerde stehen derweil Klägerinnen und Kläger, die bereits Erfahrung in Klimaklagen sammeln konnten. So ist Lueke Recktenwald von der Nordseeinsel Langeoog Mitkläger der europäischen Klimaklage „People´s Climate Case“, die in Deutschland von der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Germanwatch unterstützt wird. Diese ist derzeit beim Europäischen Gerichtshof in der Berufungsinstanz und fordert eine Verschärfung der EU-Klimaziele. Für den 18-jährigen Recktenwald geht es dabei um die Existenzgrundlage seiner Familie, die seit vier Generationen ein Hotel und Restaurant auf Langeoog betreibt. Denn der Klimawandel bereits jetzt einen ansteigenden Meeresspiegel und Sturmfluten zu Folge, die zu Erosionen und Gefährdung des Trinkwassers auf der Insel führen.

Auch die Familie Backsen lebt auf einer Nordseeinsel. Die vier Kinder der Familie möchten gerne weiterhin auf der Insel Pellworm leben und den Familienbetrieb ihrer Eltern, einen Ökobauernhof, weiterführen. Der Klimawandel bedroht jedoch, wie in Langeoog, diese Zukunftsvision. „Wenn es lange bei uns regnet, dann läuft die Insel voll wie eine Badewanne“, sagt Sophie Backsen (21), die älteste der vier Geschwister. Dies mache das ökologische Wirtschaften immer schwieriger. Gemeinsam mit drei anderen Familien und Greenpeace zog die Familie Bracksen bereits 2019 gegen die Bundesregierung vor das Berliner Verwaltungsgericht, um auf stärkere Klimaschutzmaßnahmen zu pochen. Das Gericht wies die Klage zwar ab, stellte aber fest, dass Klagen wegen unterlassenem Klimaschutz grundsätzlich möglich seien.

Da es für die Betroffenen auch um ihre berufliche Zukunft geht, berufen sich die Klägerinnen und Kläger neben Artikel 2. und 14. auch auf Artikel 12. des Grundgesetzes. Der regelt das Recht auf freie Wahl von Beruf und Arbeitsplatz. Mit dem vorliegenden Klimaschutzgesetz jedoch, könne die Bundesregierung ihrem Schutzauftrag im Grundgesetz nicht nachkommen. Greenpeace und Germanwatch unterstützen die Verfassungsbeschwerde, bei der Luisa Neubauer von Fridays for Future als weitere Klägerin auftritt. „Dieser Zeitpunkt in der Geschichte ist entscheidend, in der gerade noch gehandelt werden kann“, so Neubauer. Doch das Fenster zum Handeln schließe sich jeden Tag weiter, an dem nichts getan wird.

Die Niederländer zeigen wie es geht

Hoffnung macht den Klägerinnen und Klägern das oberste Gericht der Niederlande. Dies hatte im Dezember, in einem wegweisenden Urteil, die Regierung zu mehr Klimaschutz verpflichtet. Ein Erfolg für die niederländische Klima-Initiative Urgenda, die das Verfahren seit 2015 angestrengt hatte. Das Gericht erhob dabei Klimaschutz zum Menschenrechtsstandard. Roda Verheyen, die neben Felix Ekardt und Remo Klinger rechtliche Vertreterin der deutschen Verfassungsbeschwerden ist, hofft, dass die deutschen Verfassungsrichter zu einem ähnlichen Ergebnis wie in den Niederlanden kommen.

Dort begründeten die Richter ihr Urteil mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, wie das ZDF berichtet. Dessen Unterzeichner seien verpflichtet, "passende Maßnahmen zu treffen, wenn ein reales und unmittelbares Risiko für das Leben und das Wohlbefinden von Menschen besteht und der Staat davon weiß". Und erst gestern stimmte das Europäische Parlament dafür, dass es ein individuelles Recht auf Klimaschutz geben soll. Bei den deutschen Verfassungsbeschwerden wird es jedoch erstmal um die Auslegung des deutschen Grundgesetzes gehen. Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es nun eine detaillierte inhaltliche Überprüfung von Klimaschutzgesetz und Maßnahmen der Bundesregierung vorzunehmen und ob diese mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Manuel Först


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