Havelberg in Sachsen-Anhalt: Energiewende gegen Widerstände

An Havelberg in Sachsen-Anhalt zeigt sich exemplarisch, wie schwierig es für Kommunen ist, angesichts klammer Kassen und Gegenwind aus der Bevölkerung, die Energiewende umzusetzen. Havelberg aber lässt sich nicht unterkriegen.
18.04.2025 – Der Kleinstadt Havelberg, gelegen im Biosphärenreservat in der Flusslandschaft von Havel und Elbe, geht es wie vielen Kommunen in Deutschland: Zu wenig Personal, zu wenig Geld und trotzdem eine Hülle an Pflichtaufgaben, die es zu erledigen gilt. Pflichtaufgaben, die vor allem die kommunale Daseinsvorsorge betreffen, wie funktionierende Straßen, Trinkversorgung und Abwasserentsorgung.
Da könnte der Klimaschutz hinten über fallen, wenn es nicht engagierte Vertreter der 6.500 Einwohner zählenden Kommune in Sachsen-Anhalt geben würde, die die Energiewende seit Jahren vorantreiben. Schon 2019 war der Strom der Havelberger Stadtwerke zu 60,3 Prozent erneuerbar – unter anderem dank dreier Biogasanlagen, die Strom und Wärme für das Nahwärmenetz liefert. 80 Hausanschlüsse sind angeschlossen. Zudem sind aktuell 53 Photovoltaik-Anlagen mit einer Leistung von 2.485 Kilowatt Peak (kWp) im Gebiet der Kommune zu finden.
Die Entwicklung in Havelberg ist für die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) Anlass, die Kleinstadt als Energiekommune des Monats April auszuzeichnen. „Havelberg zeigt, dass es nicht viel braucht, um den Wandel zu wagen – vor allem aber Haltung, Ausdauer und die Bereitschaft, einander zuzuhören“, so AEE-Geschäftsführer Robert Brandt.
Tief in die Materie einarbeiten, um in der Kommune Überzeugungsarbeit zu leisten
Mathias Bölt, Bürgermeister von Havelberg
Einer der Treiber der Energiewende in Havelberg ist der parteilose Bürgermeister Mathias Bölt. „Als Bürgermeister hat man ein ganzes Portfolio an Aufgaben, von denen Erneuerbare Energien nur ein kleiner Teil sind. Und trotzdem muss ich mich tief in die Materie einarbeiten, um in der Kommune Überzeugungsarbeit leisten zu können“, so Bölt im Gespräch mit der energiezukunft.
Neuestes Projekt der Kommune: der „Energiepark Havelberg“ – ein Wind- und PV-Park nördlich der Stadt, mit dem Ziel einer kompletten Eigenversorgung der Kommune durch Erneuerbare Energien. Gebaut werden soll in und um einen Wirtschaftswald. Möglich ist dies erst seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Ende 2022. Dieses stufte das generelle Verbot zur Errichtung von Windenergieanlagen im Wald im damaligen Thüringer Waldgesetz als nicht verfassungskonform ein. Demnach seien Bundesländer in der Verantwortung Gebiete unter ökologischen Schutz zu stellen oder nicht.
Sachsen-Anhalt setzte dies um, und gab den Wald für die Bebauung mit Erneuerbaren Energien frei. Ein Großteil des Wind- und PV-Parks soll indes auf Ackerfläche entstehen. Auch eine Änderung im Bundesnaturschutzgesetz 2023 zum Bau von Windenergieanlagen im Landschaftsschutzgebiet ebnete diesen Weg. Bölt kann der Arbeit der ehemaligen Ampel-Regierung viel positives in Sachen Energiewende abgewinnen. Die habe das Gestaltungsrecht der Kommunen in vielerlei Hinsicht deutlich gestärkt.
Noch bevor es an Planungen und Prüfverfahren ging wollten Bölt und seine Mitstreiter die Bevölkerung einbinden. Im Mai vergangenen Jahres fand eine erste Informationsveranstaltung zu dem Thema statt. Unklarheiten zu Aspekten wie Infraschall, Vogelschlag, Insektensterben, Flächenverbrauch im Wald und Lärm wurden adressiert, der Mindestabstand von 1.000 Metern zu Häusern eingehalten, Der Stadtrat sprach sich für das Projekt aus, 90 Prozent der betroffenen Grundbesitzer auch.
Doch auch Gegner des Projekts traten auf den Plan. Eine Bürger-Initiative gegen Windenergie versuchte mit 1.000 Unterschriften einen Bürgerentscheid herbeizuführen und scheiterte, da dieser aufgrund formaler Fehler abgewiesen wurde. „Widerstand gegen Vorgänge, die man für sich nicht akzeptieren kann oder möchte, finde ich völlig gerechtfertigt. Ich versuche, den Menschen weiterhin offen zu entgegnen und beantworte alle aufkommenden Fragen so gut es mir möglich ist“, so Bölt. Wichtig sei es, dass man am Ende dieser Reise weiterhin als Bürgerinnen und Bürger in der Gemeinde zusammenleben könne.
Unabhängige Planungsbüros sind aktuell dabei zu eruieren, welche Flächen im Suchgebiet sich aus natur- und artenschutzrechtlicher Sicht überhaupt für die Errichtung von Windkraft- und PV-Anlagen eignen. Anlagen, die einmal den Menschen vor Ort zugutekommen sollen. Eine Möglichkeit zur festverzinslichen finanziellen Beteiligung ist vorgesehen, ein Ökostromtarif über die Stadtwerke Havelberg geplant.
Während Bölt positiv auf die Arbeit der vergangenen Bundesregierung blickt, sieht er auch bei der sich anbahnenden schwarz-roten Koalition eine Fortführung des eingeschlagenen Weges geboten. „Diese wird schon die richtigen Schlüsse ziehen und sehen, dass man bei der Energiewende weiter voranschreiten sollte und muss.“ Die Zusammenarbeit mit der Landesregierung in Sachsen-Anhalt sei derweil vorhanden, aber ausbaufähig. Hier würde sich Bölt mehr Unterstützung von den Verantwortlichen von CDU, SPD und FDP wünschen.
Mit Bangen blickt Bölt zugleich auf die kommenden Landtagwahlen 2026. Der letzten Wahlumfrage in Sachsen-Anhalt zufolge sind CDU und AfD fast gleichauf. FDP, Linke und Grüne könnten den Einzug in den Landtag verpassen. „Die Bürger wollen Veränderungen, dass spüre auch ich hier in Havelberg, aber die AfD bietet keine Lösungsvorschläge“, so Bölt. Zwar könne man auf kommunaler Ebene durchaus gemeinsam über Anträge entscheiden, aber sobald es in die legislative Ebene auf Ebene der Bundesländer und darüber hinaus im Bund gehe, bestehe die Gefahr, dass die AfD die Gesetzgebung auf Jahre hinaus zerstöre. mg