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Energiekrise und KlimaschutzEntscheidende Weichenstellungen in Europa

Eine Frau mit blonden Haaren in gelb-blauen Outfit an einem Rednerpult.
In Solidarität zur Ukraine erschien Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu ihrer Rede vor dem EU-Parlament im gelb-blauen Outfit. Nach ihrer Rede reiste sie nach Kiew. (Bild: © Europäische Union, 2022 – EP)

Ob die Rede von Ursula von der Leyen zur Lage der EU oder Beschlüsse des EU-Parlaments, diese Woche ist wegweisend für den kurz- und mittelfristigen Umgang der Europäischen Union mit Energiekrise, Umwelt- und Klimaschutz.

15.09.2022 – Bereits zuvor war ein Verordnungsentwurf der EU-Kommission öffentlich geworden. Am gestrigen Mittwoch bekräftigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der EU vor dem Europaparlament: „Die EU-Mitgliedstaaten haben bereits Milliarden von Euro mobilisiert, um bedürftigen Haushalten unter die Arme zu greifen. Aber wir wissen, dass das nicht reichen wird. Deshalb schlagen wir eine Obergrenze für die Einnahmen von Unternehmen vor, die Strom zu niedrigen Kosten erzeugen.“

Der Vorschlag werde den Mitgliedsstaaten mehr als 140 Milliarden Euro bringen, um die Not unmittelbar abzufedern, so von der Leyen. Der Entwurf sieht eine Obergrenze für den Preis pro Megawattstunde Strom vor, den die Produzenten erzielen dürfen. Im Gespräch ist ein Höchstpreis von 180 Euro. Ist der Preis an den Strombörsen höher, müssen Produzenten, die zu niedrigeren Kosten Energie erzeugen, die Differenz an die Mitgliedsstaaten abgeben. Dies soll zunächst für Produzenten von Strom aus Wind- und Solarenergie sowie Braunkohle und Kernkraft gelten. Gas- und andere Kohlekraftwerke sollen zunächst ausgenommen sein. Im aktuell bestehenden Merit-Order-Prinzip des Strommarkts setzen aktuell Gaskraftwerke als letzte zur Deckung der Nachfrage herangezogene Stromquelle den Preis für alle Marktteilnehmer und treiben damit insgesamt den Stromreis nach oben, auch wenn andere Stromquellen deutlich günstiger produzieren.

Eine gemeinsame europäische Lösung

Dies deckt sich mit Vorschlägen der deutschen Bundesregierung sogenannte „Zufallsgewinne“ abzuschöpfen. Die Ampel-Koalition hatte bereits angekündigt, eine gemeinsame europäische Lösung anzustreben. Über den Vorschlag der Bundesregierung hinaus geht der Vorstoß der EU-Kommission zusätzlich eine verpflichtende »Solidaritätsabgabe« von Öl-, Gas- und Kohlekonzernen zu erheben. „Weil wir uns in einer Krise fossiler Brennstoffe befinden, kommt der fossilen Brennstoffindustrie ebenfalls eine besondere Pflicht zu. Auch große Öl-, Gas- und Kohleunternehmen erzielen enorme Gewinne. Sie müssen also ihren gerechten Beitrag leisten – sie müssen eine Krisenabgabe leisten“, so von der Leyen. Auf bislang erzielte Profite 2022, die 20 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre liegen, sollen die Konzerne laut Kommissionsentwurf 33 Prozent Solidaritätsabgabe zahlen. Zudem sieht der Entwurf der EU-Kommission ein verbindliches Ziel der Mitgliedsländer zur Senkung des Stromverbrauchs zu Spitzenzeiten von mindestens fünf Prozent vor.

Grundsätzlich wolle man darauf hinarbeiten, den Strommarkt einer grundlegenden Reform zu unterziehen, um den Strom- vom dominanten Gaspreis zu entkoppeln, sagte von der Leyen. Konkrete Vorschläge zur Reform wolle man bis Anfang kommenden Jahres ausarbeiten, hatte die EU-Kommission zuvor angekündigt. Zudem verwies von der Leyen in ihrer Rede vor dem EU-Parlament auf den fortschreitenden Ausbau Erneuerbarer Energien und Aufbau eines Wasserstoffmarktes für günstige Energiepreise und Energieunabhängigkeit. Sie kündigte die Gründung einer europäischen Wasserstoffbank an, um darüber drei Milliarden Euro in den Aufbau eines Wasserstoffmarktes zu investieren. Bis 2030 wolle man zehn Millionen Tonnen erneuerbaren Wasserstoffs in der EU erzeugen. „Wasserstoff kann Europa grundlegend verändern“, so von der Leyen.

Grün mit Grünstromzertifikaten

Wasserstoff war auch Thema bei Abstimmungen im EU-Parlament am gestrigen Mittwoch. Im Rahmen einer Überarbeitung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie, stimmten die EU-Abgeordneten über Änderungen ab. Auf Treiben des deutschen EU-Abgeordneten Markus Pieper von der CDU stimmten die Parlamentarier unter anderem darüber ab, ab wann grüner Wasserstoff als solcher klassifiziert und eingesetzt werden darf. Der Vorschlag: Jeglicher Strom soll über den Kauf von Grünstromzertifikaten zur Produktion grünen Wasserstoffs herangezogen werden können. Der Vorschlag wurde mit großer Mehrheit angenommen. Der grüne EU-Abgeordnete Michael Bloss kritisiert dies: „Grüner Wasserstoff darf nicht aus Gas- und Kohlestrom hergestellt werden. Die Konservativen haben das heute durchgedrückt und bremsen damit die Energiewende weiter aus. Dieses Greenwashing hilft weder dem Klima noch dem Green Deal. Die Quittung flattert über höhere Stromrechnungen in die Häuser.“

Die EU-Kommission hatte beim Thema Wasserstoff eigentlich härtere Vorgaben zur Definition grünen Wasserstoffs gemacht. Einig hingegen sind sich Kommission und die Mehrheit des EU-Parlaments zur Nutzung von Biomasse weiter im großen Maße Wälder in der EU abzuholzen. Diese Energieerzeugung soll nach dem Willen der Mehrheit der EU-Parlamentarier weiter als erneuerbar und damit subventioniert werden. Michael Bloss hatte dagegen votiert: „Europas Wälder in Holzkraftwerken zu verfeuern ist ökologischer Selbstmord. Doch die Kommission und Konservative haben sich hier durchgesetzt. Das ist eine bittere Pille, die wir schlucken müssen, um Europas Energiewende vorerst auf neue Beine zu stellen.“

Keine Einigung bei Biokraftstoffen

Unglücklich verliefen aus Sicht von Umweltorganisationen auch Abstimmungen zum künftigen Umgang mit Biokraftstoffen. Weder der Antrag der Linken zu einem kompletten Ende der Förderung aller pflanzlichen Biokraftstoffe, noch der Antrag der Grünen und Sozialdemokraten zumindest bestimmte Restriktionen in Zeiten der Ernährungskrise im Zuge des Ukrainekrieges zu verhängen, bekamen eine Mehrheit. Damit bleiben die aktuellen Regelungen zur Beimischung von pflanzlichen Kraftstoffen zu Diesel bestehen.

Marc-Olivier Herman, Rechtsexperte bei Oxfam kritisiert: „Der heutige Ausgang der Abstimmungen ist tödlich für hunderte Millionen von Menschen, die in den Rachen des Hungers starren.“ Er verweist dabei unter anderem auf die aktuelle Hungerkrise in Somalia. Maik Marahrens von der Umweltorganisation Transport & Environment sagt: „Das Europäische Parlament hat eine historische Chance verpasst, sich für die Schwächsten einzusetzen. Wenn Europa allein das Getreide, das es für Biokraftstoffe verbrennt, auf den Weltmarkt bringen würde, könnten wir Millionen von Menschen ernähren.“

Entwaldungsfreie Lieferketten kommen

Positiv dagegen bewerten die Umweltorganisationen eine bereits am Dienstag erfolgte Abstimmung im EU-Parlament zu entwaldungsfreien Lieferketten. Auf Vorschlag der EU-Kommission sollen bestimmte Produkte künftig strengeren Importregularien unterliegen und nicht mehr in der EU vertrieben werden, wenn deren Herstellung Entwaldung verursacht hat. Das Parlament sprach sich am Dienstag mit großer Mehrheit für Verordnungen ab, die über den Vorschlag der Kommission und denen des EU-Umweltrates hinausgingen. So sollen mehr entwaldungskritische Produkte in die Verordnung aufgenommen, sowie eine feldgenaue Herkunft der Produkte für den Import in die Europäische Union deklariert werden. Auch sollen Finanzinstitute in die Verantwortlichkeit einbezogen werden. Im Trilog-Verfahren, zwischen Kommission, Rat und Parlament wird es dazu weitere Verhandlungen geben.

Auch bezüglich der Abstimmungen am gestrigen Mittwoch zur Erneuerbaren-Energien-Richtlinie gab es für Klima- und Umweltbewegte positives zu vermelden. Auf Vorschlag der EU-Kommission stimmte das Parlament dafür, den Anteil Erneuerbarer Energien am gesamten Energiebedarf in der EU von 40 auf 45 Prozent bis 2030 anzuheben. Auch sollen  die Mitgliedstaaten bis 2030 gemeinsam eine Reduzierung des Energieverbrauchs um mindestens 40 % beim Endenergieverbrauch und 42,5 % beim Primärenergieverbrauch im Vergleich zu den Zahlen von 2007 anstreben. So sieht es eine  Überarbeitung der Energieeffizienz-Richtlinie vor. Nun werden Parlament und Rat weitere Verhandlungen über die Richtlinien führen. Diese gilt es zudem mit Maßnahmen zum weiteren Ausbau Erneuerbarer Energien und Energieeffizientmaßnahmen in die Tat umzusetzen. Auch die Vorschläge von der Leyens im Rahmen der Rede zur Lage der EU müssen nun mit den Mitgliedsstaaten und dem EU-Parlament verhandelt werden. Eile scheint angesichts von Energie- und Klimakrise geboten. mf


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