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Fossiler EnergieträgerErdgas aus den Energieszenarien streichen

Gaskraftwerk, bei dem Gas abgefackelt wird
Erdgas ist keine Brückentechnologie, sondern hat eine enorme Klimawirkung. (Foto: Tim Reckmann auf ccnull / CC-BY 2.0)

Ein wichtiger Energieträger in Deutschland ist Erdgas. Aber auch Erdgas ist schlecht fürs Klima. Im Gegensatz zum beschlossenen Kohleausstieg fehlt für Erdgas ein Ausstiegsszenario. Stattdessen werden riesige Infrastrukturprojekte geplant.

05.05.2021 – Rund ein Viertel des Primärenergiebedarfs in Deutschland wird aus Erdgas gedeckt. Vor allem für die Heizung von Gebäuden und für industrielle Prozesse mit Wärmebedarf ist Erdgas nach wie vor die Nummer Eins. Mit dem Streit um die Gaspipeline Nordstream 2 wurden die enormen wirtschaftlichen Interessen und geopolitischen Dimensionen der Erdgasnutzung auch für die Öffentlichkeit sichtbar.

Vorläufiger Höhepunkt der zweifelhaften Weichenstellungen auf Regierungsebene war das Angebot von Finanzminister Olaf Scholz an die USA, den Bau von Flüssiggasterminals in Deutschland aus Steuermitteln zu unterstützen, um damit drohende Sanktionen der USA abzuwenden – denn das Land will selbst in großem Maßstab Gas nach Deutschland und Europa exportieren. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der Naturschutzbund (NABU) versuchen das Projekt auf dem Klageweg zu stoppen.

Unterdessen ist es der Gasbranche gelungen, Erdgas als vermeintlich saubere und notwendige Brückentechnologie in den Köpfen der Menschen zu verankern. Ein Großteil des derzeit genutzten Wasserstoffs wird mit Erdgas hergestellt - nach dem Willen der Gaslobby soll das auch zukünftig so bleiben. Die Idee der Brückentechnologie wurde von der Erdgaslobby wiederholt in den politischen Prozess und den öffentlichen Diskurs hineingetragen. Mit dem Argument der energiepolitischen Notwendigkeit wird damit ein milliardenschweres Geschäftsfeld abgesichert.

Doch angesichts der knappen Zeit für den längst überfälligen Transformationsprozess sind keine Investitionen mehr vertretbar, bei denen unklar ist, ob sie Teil einer dekarbonisierten Zukunft sein können. Das Verfassungsurteil aus Karlsruhe zum Klimagesetz hat diese Perspektive bestätigt.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat Klimawirkung, Erdgasbedarf und Infrastrukturprojekte betrachtet und kommt zu einigen sehr klaren Kernaussagen. Das Hintergrundpapier macht deutlich, dass klimapolitische Zielvorgaben, finanzielle Anreizstrukturen und bestehende Infrastrukturplanungen bislang nicht ausreichend aufeinander abgestimmt sind. Dies birgt das Risiko einer klimapolitischen Sackgasse inklusive teurer Fehlinvestitionen. Diese Widersprüche aufzulösen wird eine zentrale politische Aufgabe der kommenden Jahre sein.

Erdgas hat eine enorme Klimawirkung

Weil bei der Verbrennung von Erdgas weniger CO2 freigesetzt wird als bei Kohle oder Erdöl, wurde Erdgas lange Zeit als klimafreundlicher Energieträger angesehen – ein fataler Irrtum. Erdgas besteht fast vollständig aus Methan und ist deshalb in seiner Klimawirksamkeit 87-mal (im Hinblick auf 20 Jahre) bzw. 36-mal (gerechnet auf 100 Jahre) stärker als CO2.

Trotz dieser Forschungserkenntnisse des IPCC aus dem Jahr 2013 wird in Deutschland in offiziellen Berechnungen weiterhin der veraltete Faktor 25 genutzt, um die CO2-Äquivalente von Methanemissionen zu bestimmen. Die hohe kurzfristige Klimawirkung von Methan wird häufig nicht betrachtet. Die Verwendung von Erdgas als vorübergehender Ersatz für Kohle führt folglich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem zusätzlichen kurzfristigen Temperaturanstieg.

Neben der Klimawirkung wird auch die Gesamtmenge der Emissionen unterschätzt. Methanemissionen, die durch Leckagen, aber auch bewusstes Ablassen oder Abfackeln insbesondere bei der Erdgasförderung entstehen, werden nicht in die Berechnung der Klimawirkung von Erdgas einbezogen. In Deutschland werden die Methanemissionen bislang lediglich als Schätzwerte von der Industrie geliefert, eine Pflicht zur Messung gibt es nicht.

Sinkender Erdgasverbrauch realistisch

Momentan deckt Erdgas rund ein Viertel des deutschen Primärenergieverbrauchs, dieser Anteil ist seit 1990 nahezu konstant. Das Gas wird zu über 90 Prozent importiert – aus Russland, Norwegen und den Niederlanden. Es wird sogar mehr importiert als verbraucht: Deutschland exportiert rund 30 Prozent des importierten Gases. Das deutsche Gasnetz dient also nicht ausschließlich der inländischen Versorgung, sondern auch der Durchleitung von Erdgas beispielsweise nach Italien, Niederlande und Frankreich.

Sollen die Emissionen wirksam gesenkt werden, muss Erdgas vor allem bei der Heizung von Gebäuden durch erneuerbare Alternativen ersetzt werden. Studien, die sich an der Einhaltung der deutschen Klimaziele orientieren, gehen von einer signifikanten Reduktion des Gasbedarfs aus. Das Umweltbundesamt hat in einer Metastudie ein Szenario aufgezeigt, bei dem der Gasverbrauch bis 2050 um 49 bis 63 Prozent zurückgeht, um 80 Prozent Emissionsminderungen zu erreichen. Die Spannbreite erklärt sich aus der Menge biogener oder synthetischer Gase, die in manchen Prozessen Erdgas ersetzen können. Weil zukünftig viel Wasserstoff benötigt wird, der allein mit Erneuerbaren Energien in Europa nicht hergestellt werden kann, kommt es zu einem Wettlauf zwischen der Wasserstoffsynthese mittels Erdgas und dem Import von Wasserstoff aus anderen Regionen der Welt. Die jeweiligen Interessengruppen vertreten lautstark ihre Argumente.

Riesige Investitionen in Erdgasleitungen

Die Gasnetzbetreiber planen mit Investitionen von knapp 8 Milliarden Euro in Erdgasleitungen, die Bundesnetzagentur rechnet mit einem deutlichen Zubau an Gaskraftwerken. Beides steht im Widerspruch zu Paris-kompatiblen Gasnutzungsszenarien.

Das Erdgasnetz in Deutschland ist gut ausgebaut. Ähnlich wie bei den Stromtrassen gibt es ein Fernleitungsnetz – das Hochdruck-Erdgasnetz – und ein Verteilnetz, an dessen Niederdruckleitungen die Haushalte angeschlossen sind.

Ebenso analog dem Netzausbauplan Strom gibt es einen Netzausbauplan für das Gasnetz, der auf der Grundlage zukünftiger Verbräuche aufgestellt wird. Der aktuelle Netzentwicklungsplan Gas stützt sich auf zwei Szenarien, wobei eines von einem steigenden und eines von einem sinkenden Gasbedarf ausgeht – wiederum, weil die Annahmen zum zukünftigen Einsatz synthetischer Gase stark voneinander abweichen. Und so lässt sich trefflich streiten, denn aus den dort getroffenen Annahmen leiten die Fernleitungsnetzbetreiber den Bedarf an einem Aus- und Umbau des bestehenden Gasnetzes ab. 1.600 Kilometer sollen bis 2030 zusätzlich gebaut werden, das geplante Investitionsvolumen liegt bei den oben genannten 8 Milliarden Euro.

Der Vergleich mit anderen Szenarien macht deutlich, dass der Netzentwicklungsplan Gas den zukünftigen Gasbedarf voraussichtlich massiv überschätzt. Zum einen, weil er die fortschreitende Erwärmung in unseren Breiten nicht berücksichtigt, zum anderen, weil die Fernleitungsnetzbetreiber ein massives Eigeninteresse haben, denn sie verdienen an den Netzentgelten – und sie bestimmen den Szenariorahmen für den Netzentwicklungsplan.

Und: ein wesentlicher Unterschied zum Stromsektor besteht darin, dass für den Netzentwicklungsplan Gas keine gesetzlichen Ziele für den Klimaschutz berücksichtigt werden müssen. Die UBA-Studie prognostiziert keinen Bedarf am Ausbau des Gasnetzes. Die Fernleitungen würden zwar in vollem Umfang benötigt, würden aber weniger ausgelastet.

Kein Bedarf an Flüssiggas-Importen

Ähnlich ist die Situation bei geplanten Investitionen in Flüssigerdgas-Infrastruktur (Liquefied Natural Gas – LNG). LNG ist auf minus 162 Grad Celsius heruntergekühltes und dadurch verflüssigtes Erdgas. In riesigen Tankern soll es aus anderen Ländern Europa erreichen und in sogenannten LNG-Terminals in gasförmiges Gas umgewandelt und in die bestehenden Leitungssysteme eingespeist werden. Die bestehende Infrastruktur ist EU-weit bislang nur zu rund 30 Prozent ausgelastet, bei einem prognostizierten Rückgang des Gasbedarfs sind auch hier weitere Investitionen weder notwendig noch wirtschaftlich.  

Aktuell sind drei Importterminals für Flüssigerdgas in Deutschland in Planung. Diese Projekte sind geopolitisch motiviert, es gibt keine energiewirtschaftliche Notwendigkeit für den Ausbau dieser Infrastruktur und dessen massiver öffentlicher Subventionierung. Auch der Bau der Pipeline Nord Stream 2 ist geopolitisch und nicht durch den tatsächlichen Gasbedarf begründet. Die fast fertiggestellte Pipeline ist ein zentrales Element russischer Außenpolitik. Deutschland hat sich mit der fortgesetzten Unterstützung für das Projekt EU-weit und international isoliert.

Auf der Verteilnetzebene sind sogar Leitungsstilllegungen zu erwarten, da Wohn- und Gewerbegebiete auf andere erneuerbare Energieträger umsteigen werden.

Gaskraftwerke werden gebaut, weil sie gefördert werden

Während im Stromsektor die Energiewende große Fortschritte macht, kommt die Wärmewende kaum in Gang. Im Gegenteil: fast überall dort, wo Steinkohlekraftwerke zur Wärmeversorgung dienen, sollen sie im Rahmen des Kohleausstiegs durch Erdgaskraftwerke ersetzt werden.

Ein zentraler Treiber für den Bau von Gaskraftwerken ist das Förderregime der Bundesregierung, das Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (und damit vor allem fossile Anlagen) im Verhältnis zu erneuerbarer Wärme deutlich begünstigt.

Der Kohleausstieg böte eine gute Gelegenheit, Investitionen nicht in fossile Gas-KWK, sondern gleich in Erneuerbare Energieträger und die dazu passenden Netze zu tätigen. Die Anreize dazu fehlen aber. Stattdessen wurden im Kohle-Verstromungs-Beendigungs-Gesetz die Förderung für KWK deutlich erhöht und damit ein Anreiz gesetzt, bestehende Steinkohle-KWK durch Gas-KWK zu ersetzen. Die Förderung ist im Vergleich zur Solarthermie deutlich höher.

Stranded assets – fehlgeleitete Investitionen

Das Förderregime und der geplante Ausbau der Infrastruktur führen zu klimapolitischen Fehlanreizen mit dem Risiko, dass Gas tatsächlich noch lange gebraucht wird und damit Steuergelder in Kanäle geleitet werden, die dem Klima schaden. Insgesamt handelt es sich um 18,3 Milliarden Euro, die für Kraftwerke, Gasnetze und LNG-Terminals fließen sollen. Das Risiko besteht, dass diese Kraftwerke und Netze nicht ihre volle Lebensdauer in Betrieb sind und damit zum Milliardengrab von Steuergeldern werden.

Zeit, den Erdgasausstieg zu besiegeln

Angesichts der klimapolitischen Notwendigkeit ist es das Gebot der Stunde, einen Ausstiegspfad für das Erdgas festzulegen. So werden teure Entschädigungszahlungen vermieden und Planungssicherheit für erneuerbare Alternativen geschaffen. (Petra Franke)

Link zum Hintergrundpapier des DIW


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