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Erneuerbare Energien in Lateinamerika

Ein Großteil des Stroms in Lateinamerika stammt aus gewaltigen Wasserkraftwerken. Auch fossile Energieträger spielen nach wie vor eine Rolle und werden doppelt so stark subventioniert wie grüne. Dennoch ist viel in Bewegung. Zwischen 2006 und 2013 wuchs der Anteil Erneuerbarer Energien um mehr als 270 Prozent.

25.03.2015 – In Lateinamerika werden rund sieben Prozent des weltweiten Stroms hergestellt und konsumiert – 65 Prozent davon stammen bereits aus Wasserkraft. Hinzu kommt, dass der Kontinent ein interessantes Ziel für Investoren darstellt: Allein 2013 wurden hier rund 16 Milliarden US-Dollar in Ökokraftwerke investiert. Zum einen sind die Produktionskosten für Anlagen in den letzten Jahren stark gesunken, zum anderen haben etliche der dortigen Länder inzwischen gute Rahmenbedingungen für den Ausbau grüner Energien geschaffen – beides Faktoren, die den Bau von Windparks oder anderen umweltfreundlichen Erzeugungstechnologien für Strom in Lateinamerika begünstigen.  

Bislang stammt ein Großteil des Stroms mit über 725 Terrawattstunden aus großen Wasserkraftwerken, für die meist Talsperren gebaut und große Landflächen überflutet werden mussten. Das sorgt für sehr klimafreundlichen Strom, allerdings auch für soziale Spannungen, denn die Menschen der unter Wasser gesetzten Gebiete werden in den meisten Fällen gegen ihren Willen umgesiedelt. In vielen Fällen fiel Landbesitz der indigenen Bevölkerung den Überflutungen zum Opfer. Neuere Technologien zur Erzeugung von grünem Strom, also Windkraft-, geothermische und Solaranlagen, stellen bislang nur sechs Prozent des auf dem Kontinent verbrauchten Stroms.

Das ließe sich einfach ändern, denn von den Wüsten Nordmexikos bis zum südargentinischen Patagonien finden sich hervorragende Bedingungen für die Herstellung von Ökostrom. Der WWF schätzt in einer Studie, dass sich mit dezentralen Ökokraftwerken sogar das 20-fache der bis zum Jahr 2050 auf dem Kontinent benötigten Strommengen herstellen ließe. Allein das Potenzial der Windkraft wird auf 1.700 Terrawattstunden beziffert – mehr als sämtliche Länder Südamerikas aktuell verbrauchen.

Analysten sagen, dass der Stromverbrauch von Lateinamerika und der Karibik pro Jahr um etwa drei Prozent steigt. Das bedeutet, dass die Region ihre installierte Leistung bis 2030 auf etwa 600.000 Megawatt verdoppeln muss. Dieser anstehende, umfassende Umbau der Energiesysteme könnte den dezentralen Erneuerbaren dazu verhelfen, die Energiequelle auf Platz eins zu werden. Die letzten Jahre geben Anlass zum Optimismus: Zwischen 2006 und 2013 wuchs der Anteil Erneuerbarer Energien um mehr als 270 Prozent. Im selben Zeitraum wurden Ökokraftwerke mit einer Leistung von insgesamt etwa 3.000 Megawatt an das Netz angeschlossen.

In vielen Ländern politisch gewollt

Von den 26 Ländern des Kontinents bieten fünf Staaten aufgrund von Investorensicherheit, politischen Rahmenbedingungen und geographischen Gegebenheiten besonders gute Bedingungen: Costa Rica, Chile, Uruguay, Brasilien und Mexiko. Nicht verwunderlich also, dass etwa der deutsche Projektplaner Sowitec im Januar 2015 in vier dieser Länder Projekte mit über 800 Megawatt installierter Windleistung verbuchte. Kurz zuvor hatte das Unternehmen einen Teil der Projekte in Brasilien in einer Größenordnung von 800 Megawatt an den französischen Energieversorger EDF Energies Nouvelles verkauft. Dahinter steht ein geschätztes Investitionsvolumen von insgesamt 1,6 Milliarden Euro.

Dass Erneuerbare Energien inzwischen auch für Politiker eine zunehmend wichtigere Rolle spielen, zeigt auch die Teilnahme von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff an der Eröffnung des Windparks „Geribatu“ Anfang dieses Jahres. Die Anlage befindet sich an der Grenze zu Uruguay. Sie ist Teil des noch im Bau befindlichen Chuí/Hermenegildo-Komplexes. Einmal fertiggestellt, werden die drei Anlagen zusammen voraussichtlich den größten Windpark in Lateinamerika stellen. Rousseff erklärte, die rund 730 Millionen US-Dollar teure Gesamtanlage solle dazu dienen, die Erzeugung von Elektrizität in Brasilien zu diversifizieren. Der Park sei ein weiterer Schritt gegen die Auswirkungen des Klimawandels. „Bisher gewinnen wir Energie hauptsächlich aus Wasserkraft. Dies wird sich aufgrund der Tatsache, dass das Land vor zunehmender Wasserknappheit steht, ändern”, so die Präsidentin weiter. Der Windpark-Komplex Geribatu hat eine installierte Leistung von 258 Megawatt und soll etwa 1,5 Millionen Menschen mit Strom versorgen. Alle drei geplanten Anlagen zusammen verfügen über eine installierte Gesamtleistung von 583 Megawatt. Brasilien verdoppelte seine Windkraftkapazität im vergangenen Jahr, die Erzeugungskapazität lag am 1. Januar 2015 bei 4.888 Megawatt. Bis Jahresende sollen weitere Windparks mit insgesamt 3.267 MW installiert werden.

Energieerzeugung als länderübergreifende Aufgabe

Nicht nur Brasilien denkt um. Ähnlich wie in der Europäischen Union gibt es in Lateinamerika klare Bestrebungen, Strommärkte zusammenwachsen zu lassen und sich länderübergreifend bei Projekten zu unterstützen. Für die Nutzung regenerativer Energien ist dieser Ansatz optimal, denn die unterschiedlichen geographischen Gegebenheiten der verschiedenen Regionen und Staaten machen je nach Standort den Einsatz verschiedener Technologieformen sinnvoll. Durch eine Zusammenarbeit sind optimale Ergänzungen möglich, was jüngst Bolivien und Costa Rica erkannt haben.

Die staatliche bolivianische Elektrizitätsgesellschaft „Empresa Nacional de Electricidad“ (ENDE) und der costaricanische Elektrizitätsversorger (ICE) haben jüngst einen Kooperationsvertrag für eine gemeinsame Stromerzeugung aus Geothermie unterzeichnet. Das Ziel: In der Laguna Colorada soll mithilfe von Erdwärme Strom hergestellt werden. Der von Algen und Mineralien auffällig rot gefärbte, höchstens 1,5 Meter tiefe und 60 Quadratmeter große See im vulkanischen Südwesten Boliviens ist hierfür ideal. Costa Rica betreibt bereits Geothermie-Anlagen in der Nähe von Vulkanen in der Provinz Guanacaste, hat also Erfahrung. Das Land kann entsprechend ausgebildete Mitarbeiter stellen und Bolivien helfen, Potenziale zu identifizieren. Die Annäherung zwischen den beiden Ländern war das Ergebnis eines Treffens der Präsidenten von Bolivien, Evo Morales, und Costa Rica, Luis Guillermo Solis, während eines Gipfels der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (CELAC) im Januar. Kolumbien und Ecuador haben lange vorher schon eine Vereinbarung unterzeichnet, um im gemeinsamen Grenzgebiet ein Geothermie-Kraftwerk zu errichten, das beide Länder mit Energie beliefert.

Dennoch: Dezentrale Kraftwerke sind „neues Terrain“ auf dem Kontinent. Experten glauben, dass ein „Lateinamerika zu 100 Prozent erneuerbar“ möglich ist. In Ebenen und an Küsten starker Wind, Sonne, Gebiete mit aktivem Vulkanismus und hoher Erdwärme – die geographisch-klimatischen Gegebenheiten sind hervorragend. Doch im Jahr 2013 flossen 40 Millionen US-Dollar in die Subventionierung von fossilen Kraftwerken – in Ökokraftwerke wurde im selben Zeitraum nur die Hälfte dieses Betrags investiert. Was die Zukunft bringt, bleibt gespannt abzuwarten. Rebecca Raspe


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