Menü öffnen

Neuer Kompromiss beim EU-EmissionshandelFür das 1,5 Grad Klimaziel reicht das nicht

Rauschwaden aus Schornsteinen von Industriebetrieben im Sonnenuntergang
Fossile Energie- und Industriebetriebe sind für 40 Prozent der Emissionen in der EU verantwortlich. (Foto: pxhere, CC0 Öffentliche Domäne)

Die drei größten Fraktionen im EU-Parlament haben sich auf einen neuen Deal für den künftigen Emissionshandel in der EU geeinigt. Er wartet mit kleineren Verbesserungen gegenüber der letzten Abstimmung auf.

23.06.2022 – Die Konservativen der EPP, die Liberalen von Renew Europe und die Sozialdemokraten der Fraktion S&D im Europaparlament haben sich nach einem monatelangen Verhandlungsmarathon, mit einem zwischenzeitlichen Abstimmungskrimi im Parlament, auf einen Kompromiss für eine Reform des Europäischen Emissionshandel geeinigt. Da auch die Fraktion der Grünen dem Kompromiss zähneknirschend zustimmte, geht dieser Vorschlag nun in die weiteren Verhandlungen mit dem Rat der Europäischen Union und der EU-Kommission.

Vorschlag der EU-Kommission

Ausgangspunkt war ein Vorschlag der EU-Kommission von Juli 2021, wonach die Emissionen in den ETS-Sektoren Energie und Industrie um 61 Prozent bis 2030 gegenüber 2005 fallen sollen. Bislang ist ein Reduktionsziel von 43 Prozent vorgegeben. Im Detail soll die Anzahl der CO2-Zertifikate, die jährlich auf den Markt kommen weiter reduziert werden. Entsprechend soll der jährliche Reduktionsfaktor von 2,2 auf 4,2 Prozent steigen. Im Jahr 2050 würden dann keine Zertifikate mehr ausgeteilt. Freie Zuteilungen von Zertifikaten an die Industrie sollen laut Kommission bis 2036 auslaufen. Ein Grenzausgleichsmechanismus soll dafür sorgen, dass sich Industrieprozesse und ihre Emissionen nicht ins außereuropäische Ausland verlagern, indem bestimmte energieintensive Produkte beim Import in die EU mit demselben CO2-Preis belegt werden. Auch strebt die Kommission den Einbezug der Sektoren Transport und Gebäude in den Emissionshandel ab 2026 an.

Ambitionssteigerung im Umweltausschuss

Der Gesetzgebungsprozess der Europäischen Union sieht vor, dass die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU Gesetzesvorschläge vorlegt, die dann innerhalb der beiden Institutionen beraten werden. Im zuständigen Umweltausschuss des Europaparlaments wurden die Ambitionen in den Verhandlungen noch einmal hochgeschraubt. Der Kompromiss hätte das Reduktionsziel auf 67 Prozent bis 2030 gesteigert. Freie Zertifikatszuteilungen wären bis 2030 ausgelaufen, Ab dann hätte vollständig der CO2-Grenzausgleichsmechanismus gegriffen. Den Vorschlag zum jährlichen Reduktionsfaktor übernahm der Umweltausschuss von der Kommission, erklärte aber zusätzlich, dass 205 Millionen überschüssige CO2-Zertifikate gelöscht werden sollen. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen rund 110 Millionen CO2-Zertifikate zu löschen. Die Erweiterung des ETS auf Bereiche im Transport- und Gebäude-Sektor sollte schrittweise erfolgen.

Abstimmungskrimi im EU-Parlament

Doch während sich im Umweltausschuss unter den Fraktionen eine Mehrheit für höhere Ambitionen gebildet hatte, wurden diese bei der finalen Abstimmung im EU-Parlament am 08.06.2022 abgeschmettert. Die konservative Fraktion der EPP und die Liberalen Renew Europe warteten mit Änderungsanträgen auf. Beide Fraktionen reichten gemeinsame Anträge ein, wonach deutlich weniger CO2-Zertifikate aus dem Markt genommen werden sollen als im Umweltausschuss beschlossen und selbst von der EU-Kommission vorgeschlagen. Zudem sollten freie Zertifikatszuteilungen an die Industrie deutlich länger (teilweise bis 2034) möglich sein. Da auch Abgeordnete der rechten Fraktionen ID und EKR für die Anträge stimmten, wurden diese angenommen. Zudem stimmten Liberale, Konservative und Rechte gegen die Einigung im Umweltausschuss und ersetzten diese mit den Änderungsanträgen. Doch in der finalen Abstimmung stimmten Abgeordnete der rechten Fraktionen wiederum gegen die neue Einigung. Die Fraktion der Grünen – Greens/EFA – sowie viele Abgeordnete der sozialdemokratischen Fraktion S&D und einige der linken GUE/NGL stimmten ebenfalls gegen den neuen Beschluss, sodass dieser zurück in den Umweltausschuss ging.

Finaler Kompromiss

Die neue Einigung, für die 439 Abgeordnete im Parlament stimmten, sieht nun ein Reduktionsziel von 63 Prozent bis 2030 vor. Die kostenlose Austeilung an Zertifikaten soll 2032 auslaufen. Begonnen werden soll damit im Jahr 2027. Bis dahin sollen insgesamt 120 Millionen Zertifikate gelöscht werden. Die Austeilung der Zertifikate soll zwischen 2024 und 2026 um 4.4 Prozent jährlich gesenkt werden, zwischen 2026 und 2029 um 4.5 Prozent und ab 2029 um 4.6 Prozent.  Der CO2-Grenzausgleichsmechanismus soll ab 2030 in allen Sektoren greifen und damit nicht nur im Energie- und Industriesektor, sondern auch ab 2026 schrittweise bei der Müllverbrennung, in der Luftfahrt, der Schifffahrt und zunächst in gewerblichen Gebäuden. Dafür wird ein zweiter Emissionshandel, der ETS II, geschaffen. Der private Autoverkehr und Gebäude sollen nicht vor 2029 in diesen zweiten ETS einbezogen werden.

Michael Bloss. Schattenberichterstatter der Grünen/EFA-Fraktion für den Europäischen Emissionshandel, erklärte nach der Abstimmung im EU-Parlament: „Mit der heutigen Einigung hält das Europäische Parlament an dem für 2032 gesetzten Ziel für die schrittweise Abschaffung von Zertifikaten fest und geht damit über den schwachen Vorschlag der Europäischen Kommission hinaus. Doch vielmehr gibt es nicht zu feiern. Der Vorschlag ist ein Bruch mit dem 1,5-Grad-Klimaziel, die Erderhitzung wird damit dramatischer. Die Stimme der Grünen/EFA für den Kompromiss ist eine Stimme gegen zukünftige Schlupflöcher beim Klimaschutz und für eine Klimapolitik, die das Pariser Klimaabkommen einhält.“

Positiv hervor hebt Bloss die Einführung eines Bonus-Malus-Systems ab 2025. Demnach werden Unternehmen, die keinen realistischen Dekarbonisierungs-Plan und keine tatsächlichen Bemühungen hin zur Dekarbonisierung aufweisen können, die freien Zuteilungen gekürzt. Auch ein bereits von der EU-Kommission angedachter Klima-Sozialfonds findet im EU-Parlament Zustimmung und wird von Grünen Abgeordneten positiv hervorgehoben. Dazu sagte Katrin Langensiepen, Grünen/EFA-Schattenberichterstatterin für den Klima-Sozialfonds: „Erstmals schafft die EU ein Instrument, um horrend steigende Energiekosten für bedürftige Haushalte abzufedern. Wer am meisten von Armut betroffen ist, soll nicht auch noch unter explodierenden Energiepreisen leiden. Wir begrüßen, dass die Ausweitung des Emissionshandelssystems auf Transport und private Haushalte daran gekoppelt ist, dass die Energiepreise nicht ins Unermessliche steigen.“ Neben dem Klima-Sozialfonds sollen sämtliche Einnahmen für Klimaschutzmaßnahmen in der EU und den Mitgliedsstaaten verwendet werden.

Enttäuschung überwiegt

Bei Umwelt- und Energieverbänden überwiegt die Enttäuschung. Aus Sicht der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch wird das Europaparlament mit dem heutigen Kompromiss seiner wichtigen Klimavorreiterrolle nur eingeschränkt gerecht. „An mehreren Stellen geht das Parlament leicht über den Kommissionsvorschlag hinaus, an anderen bleibt es dahinter zurück. Insgesamt ist das ein zu kleiner Schritt für den jetzt notwendigen Klimaschutz, gerade vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Dringlichkeit, Europa unabhängig vom Import fossiler Energie zu machen“, so Anne Gläser, Expertin für CO2-Preise bei Germanwatch.

Positiv bewertet Germanwatch die Einführung des Grenzausgleichsmechanismus, negativ hingegen, dass Unternehmen noch zehn Jahre lang kostenlose Emissionszertifikate bekommen sollen. Auch bei der Einführung des ETS II seien die Abgeordneten zu zögerlich gewesen. Flankiert durch einen sozialen Ausgleich hätte ein CO2-Preis für private Gebäude und den Straßenverkehr früher kommen müssen, findet Germanwatch. Mit Blick auf die anstehenden Verhandlungen warnt Simone Peter, Präsidentin des Bundesverband Erneuerbare Energien: „Der Kompromiss geht schon jetzt nicht weit genug und darf in Zukunft nicht noch weiter aufgeweicht werden. Um den Transformationspfad hin zur Klimaneutralität auf dem europäischen Kontinent so schnell wie möglich zu beschreiten, müssen wir jetzt faire Wettbewerbsbedingungen für die Erneuerbaren schaffen, statt alte Industrien zu schützen.“ mf


Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben


Name: *
E-Mail: *
(wird nicht veröffentlicht)
Nicht ausfüllen!


Kommentar: *

(wird nicht veröffentlicht)
max 2.000 Zeichen


energiezukunft