Europawahl: Für den Klimaschutz könnte es gefährlich werden
Es sind Konservative und Rechte, die bei der Europawahl Stimmen dazu gewannen. Und es sind dieselben, die im Laufe der letzten Legislatur im Europaparlament zunehmend Klimaschutz torpedierten.
11.06.2024 – Vor fünf Jahren verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Green Deal – um mit viel Geld Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu führen. Sehr zur Freude auch von Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken im Europaparlament, die gemeinsam mit der CDU-Politikerin von der Leyen und ihren Mitstreitern aus der Fraktion der EVP – der Europäischen Volkspartei – den Deal ausgehandelt hatten.
Die Zeichen standen damals – kurz nach der Europawahl 2019 – auf Klimaschutz. Die Bewegung Fridays for Future erlebte ihre Hochblüte. In Deutschland hatten die Wähler:innen die Europawahl zur Klimawahl gemacht. Die Grünen fuhren mit 20,5 Prozent ein historisches Ergebnis ein. Auch Linke und SPD warben für mehr Klimaschutz. Und mit Volt, ÖDP, Tierschutzpartei und Piraten zogen weitere Parteien ins Parlament ein, die sich für progressive Maßnahmen gegen die Klimakrise einsetzten.
Abgeordnete der Grünen machten jedoch schon Anfang 2021 erste Risse im Green Deal Fundament aus. Sie kritisierten Konservative, Liberale und Sozialdemokraten für ihr Festhalten an Gas als vermeintliche Brückentechnologie. Der russische Angriffskrieg 2022 offenbarte dann die offensichtlichen Fehler am jahrelangen Ausbau russischer Gas-Lieferungen. Ein umso schnellerer Ausstieg aus Gasimporten wurde angemahnt. Doch stattdessen wurden in Deutschland und Europa LNG-Projekte für den Import von Flüssigerdgas vorangetrieben, über die weiter russisches Erdgas nach Europa gelangt. Auch über Pipelines wird weiter munter importiert.
Coronakrise, Energiekrise und Gefährdung der Sicherheit infolge des russischen Angriffskrieges sowie der Nahostkonflikt sorgten zunehmend dafür, dass Klimaschutz in der Bevölkerung an Relevanz verlor. 2019 noch auf Platz eins der wichtigsten Themen, landete es 2024 nur noch auf Platz vier. Hinter Friedenssicherung, soziale Sicherheit und Zuwanderung. In Deutschland verloren die Grünen 8,6 Punkte und erreichten nur noch 11.9 Prozenten. Von den anderen Parteien, die für progressiven Klimaschutz stehen, konnte lediglich Volt um zwei Plätze zulegen und wird mit drei Sitzen im Parlament vertreten sein.
Sie sind es auch, die vor allem bei jungen Wähler:innen, für die Klimaschutz eine Rolle spielt, deutlich an Stimmen hinzugewannen – laut ersten Prognosen von Sonntagabend ein Plus von 9 Punkten bei den unter 30 Jährigen gegenüber der letzten Wahl. Die Grünen verloren hier 18 Prozent. Die AfD wiederum legte um 10 Punkte zu. Als Erklärung für das Erstarken der Rechten bei jungen Wähler:innen wird unter anderem die Social Media Arbeit der AfD inbesondere auf Tik Tok genannt, aber auch, dass die AfD deutlich gegen Corona-Maßnahmen war sowie Debatten um die Migrationspolitik.
Naturschutzgesetz wäre gescheitert
Auch in anderen europäischen Staaten gewannen rechte Parteien bei Jung und Alt hinzu, ebenso Konservative Kräfte. Die EVP-Fraktion mit CDU und CSU gewann 8 Sitze hinzu und bleibt stärkste Kraft. Die EKR – die Europäischen Konservativen und Reformer – kommen auf Plus vier Sitze. Die ganz rechten der Fraktion Identität und Demokratie (ID) erhalten 9 Sitze mehr und Sonstige, die keiner Fraktion angehören erreichen Plus 38 Sitze. Hier findet sich auch die AfD nach dem Ausschluss aus der Fraktion ID wieder. Selbst den Rechten wie der österreichichen FPÖ und dem französischen Rassemblement National war die AfD zu radikal geworden. Grüne und Liberale dagegen verloren 19 beziehungsweise 22 Sitze.
Was die neue Sitzverteilung für Umwelt- und Klimaschutz bedeuten kann, zeigt die Abstimmung über das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur vom Februar 2024. Konnte sich dort noch eine knappe Mehrheit von Grünen, Linken, Liberalen, Sozialdemokraten und Fraktionslosen durchsetzen und das Gesetz annehmen, stimmten Konservative und Rechte gemeinsam gegen das Gesetz. Nach heutigem Stand und Sitzverteilung wäre das Gesetz gescheitert.
Kritik von grüner Seite gab es in diesem Jahr unter anderem an der Einigung zum Net-Zero-Industry-Act. Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, sagte nach der Einigung: „Die Konservativen haben sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass Atomkraft und die fossile Industrie die gleichen Privilegien genießen wie die Produktion von Solarzellen, Wärmepumpen und Windkraftanlagen. Das bedeutet chaotische Orientierungslosigkeit statt strategischer Wettbewerbsfähigkeit.“ Gemeinsam mit anderen Grünen hat Bloss kürzlich weitergehende Forderungen formuliert, um im internationalen Wettbewerb mit China und den USA und der Transformation der Industrie zu bestehen.
Der Entwurf einer strategischen Agenda für die kommende Legislaturperiode in der Europäischen Union, stieß im Mai auf breite Kritik von Umweltverbänden. Es geben einen Mangel an Klarheit und Entschlossenheit, auf den Errungenschaften der EU, vor allem dem europäischen Grünen Deal, aufzubauen. Zwar erklärten sowohl Frankreichs Staatspräsident Macron als auch Bundeskanzler Olaf Scholz – selbst nicht als progressive Klimaschützer bekannt – in einem Beitrag in der Financial Times, dass Europa seine „globale Wettbewerbsfähigkeit stärken, unsere Widerstandsfähigkeit erhöhen und gleichzeitig den Green Deal und den digitalen Wandel zum Erfolg führen“ müssten, sowohl Macron als auch Scholz aber wurden für ihre Politik, vor allem auf Länderebene, abgestraft.
Die Union, Wahlsieger in Deutschland mit 30 Prozent dagegen, strebt eine Abkehr von den ambitionierten Zielen des Green Deal an. Man wolle den Green Deal „auf Praxistauglichkeit und auch im Hinblick auf den internationalen Wettbewerb“ überprüfen. Immerhin den Emissionshandel, auch die Einführung des ETS 2 für Verkehr und Gebäude, will man beibehalten. Den schließt das Bündnis Sahra Wagenknecht, das aus dem Stand heraus 6,2 Prozent der Stimmen erreichte, als Maßnahme aus. Die AfD (15,9 Prozent) leugnet den menschengemachten Klimawandel und damit die Sinnhaftigkeit von Klimaschutz-Politik gleich ganz.
Die Konservativen müssen sich entscheiden
Parteien, die sich für Klimaschutz einsetzen, Umweltverbände und die Energiebranche blicken mit Sorge in die anstehende Legislatur. Terry Reintke, Ko-Vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion und Spitzenkandidatin von Bündnis90/Die Grünen, sagte nach der Wahl: Jetzt kommt es auf Manfred Weber (Anm. d. Red.: CSU und Vorsitzender der EVP-Fraktion) und Ursula von der Leyen an. Sie müssen sich entscheiden, wo sie stehen, auf der Seite der Demokratinnen und Demokraten oder auf der Seite rechtsextremer Mehrheitsbeschaffer.“ man müsse sich nun stärker zusammenschließen zwischen sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Parteien, um langfristig eine breitere Basis aufzubauen, für soziale Gerechtigkeit und im Kampf gegen die Klimakrise, so Carola Rackete, Spitzenkandidatin für die Linke im Europawahlkampf via X.
Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), wies nach der Wahl darauf hin, dass auch Natur- und Klimaschutz essenziell für Sicherheit in Europa sind. „Die neuen EU-Abgeordneten sollten nicht der Versuchung erliegen, das Wahlergebnis als Auftrag zur Abschwächung der europäischen Klima- und Naturschutzpolitik zu lesen. Sie müssen den Green Deal fortschreiben, die nötigen Investitionen sicherstellen, um die EU zukunfts- und wettbewerbsfähig zu machen. Dazu gehört auch eine wirtschaftlich sinnvolle Agrarpolitik.“ Mit weniger Umweltschutzauflagen will die EU Landwirte infolge der Bauernproteste besänftigen.
Silvie Kreibiehl, Vorstandsvorsitzende von Germanwatch, fordert „konstruktives Streiten der demokratischen Parteien um die besten Lösungen statt einem Infragestellen der grundlegenden Ziele.“ Eine der ersten Aufgaben der neuen Legislatur müsse es sein, Klimaziele für 2035 und 2040 festzulegen, die mit dem Paris-Abkommen und den Beschlüssen der letzten Weltklimakonferenz in Dubai vereinbar sind. Germanwatch und weitere Umweltverbände fordern unter anderem Ein Emissionsziel von minus 95 Prozent und der Ausstieg aus allen fossilen Energien bis 2040. Forderungen, die auch Grüne und Linke unterstützen, Konservative dagegen stellen sogar das Verbrenner-Aus 2035 infrage. Manuel Grisard