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EU-KommissionGilt Atomkraft bald als nachhaltiges Investment?

Atomkraftwerk in Belgien
Zukünftig könnte die Atomkraft als nachhaltige Investition gelten. (Foto: Mick Truyts on Unsplash)

Eine Expertengruppe der EU-Kommission hat die Nutzung der Atomenergie als nachhaltig eingestuft. Folgt die Kommission dieser Empfehlung, würde das Anleger und Investoren stark beeinflussen. Umweltorganisationen schlagen Alarm.

01.04.2021 – Durch den Green Deal der Europäischen Kommission soll die EU auf den Pfad zu einem sauberen und nachhaltigen Energiesystem der Zukunft gebracht werden. Dafür haben Expertengruppen Analysen zu den Auswirkungen unterschiedlicher Technologien zur Energieerzeugung entwickelt, um eine „Green Finance Taxonomy“ zu ermöglichen. Dadurch soll für ganz Europa eine Taxonomie geschaffen werden, nach der bestimmte Aktivitäten als nachhaltig für Anleger und Investoren eingestuft werden. Finanzflüsse sollen nicht weiter in fossile Brennstoffe fließen, sondern zukünftig nur noch in saubere Energien.

Der letzte Expertenbericht schloss im Jahr 2019 die Atomkraft als nachhaltiges Investment klar aus – vor allem aufgrund der vielen ungelösten Fragen bei der Entsorgung des strahlenden Atommülls. Mitgliedsstaaten wie Frankreich, das Vereinigte Königreich (damals noch EU-Mitglied) und mehrere osteuropäische Länder wollten diese Einschätzung jedoch nicht hinnehmen. Im Ergebnis wurde die Gemeinsame Forschungsstelle (Joint Research Center, JRC) der EU mit einem weiteren Gutachten beauftragt, das der energiezukunft trotz Geheimhaltung vorliegt.

Atomenergie gefährde weder Mensch noch Umwelt

„The analyses did not reveal any science-based evidence that nuclear energy does more harm to human health or to the environment than other electricity production technologies already included in the Taxonomy as activities supporting climate change mitigation“ Joint Research Centre Report 2021

Das Ergebnis: Die Analysen hätten keine wissenschaftlich fundierten Beweise dafür erbracht, dass die Kernenergie der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt mehr schade als andere Stromerzeugungstechnologien, die bereits in der Taxonomie aufgeführt sind. Mit anderen Worten könne die Atomenergie was Gesundheits- und Umweltschutz angeht mit den Erneuerbaren Energien gleichgesetzt werden. Außerdem heißt es in dem neuen Gutachten, dass die Endlagerung des Atommülls in einem tiefengeologischen Endlager angebracht und sicher sei. Die Kohleenergie wird in der Taxonomie hingegen ausgeschlossen.

„Presently, there is broad scientific and technical consensus that disposal of high-level, long-lived radioactive waste in deep geologic formations is, at the state of today’s knowledge, considered as an appropriate and safe means of isolating it from the biosphere for very long time scales.“ Joint Research Centre Report 2021

Experten sind von den Ergebnissen zwar einerseits wenig überrascht, da das JRC aufgrund der anhaltenden Fixierung auf Atomthemen schon länger als Atomforschungsinstitut bezeichnet wird. Andererseits seien die nun veröffentlichen Ergebnisse aber wesentlich gravierender als angenommen, sagt Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.

„Von einer Organisation, die direkt von der EU-Atomgemeinde EURATOM gefördert wird, konnte niemand einen unabhängigen Bericht zu den Gefahren der Atomkraft erwarten. Doch es ist schlimmer als befürchtet. Die Schlussfolgerungen des Joint Research Center sind eine Märchenstunde über die Harmlosigkeit der Atomkraft, deren Schadenspotential auch nicht größer sei als das der Erneuerbaren Energien.“ Sylvia Kotting-Uhl

Ihren Ursprung hat die Großforschungseinrichtung JRC in der Nuklearforschung, inzwischen ist sie nach eigenen Angaben jedoch überwiegend in anderen Bereichen aktiv. Ihr Schwerpunkt liege demnach im Umwelt- und Gesundheitsschutz. In Karlsruhe ist das Institut für Transurane (ITU) verortet, einem von mehreren Fachbereichen in der EU. Hier beschäftigt man sich mit der Reaktorsicherheit und medizinischen Anwendung radioaktiver Substanzen. Finanziert wird diese Forschung durch die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM).

Das Joint Research Center enttäuscht und entsetzt mich hier zutiefstNach den Ereignissen in Tschernobyl und Fukushima seien die Schlussfolgerungen mit der Leugnung der menschengemachten Klimakrise und „ähnlichen Höchstleistungen verdrehter Wahrnehmungen“ zu vergleichen. „Das Joint Research Center mit seinem Sitz in meinem Wahlkreis Karlsruhe enttäuscht und entsetzt mich hier zutiefst“, so Kotting-Uhl. Jetzt sei es für die Bundesregierung an der Zeit, sofort Protest einzulegen und sich fachlich mit einem Bericht ihrer eigenen Sachverständigenorganisationen zur Wehr zu setzen.

Karpert die Atomlobby den Green Deal der EU?

Die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 warnt davor, dass der EU Green Deal von der Atomlobby gekapert werden könnte. „Gekonnt verschleiert und hinter bewährten Phrasen werden die wichtigsten Fragen der Atomenergie durch eine rosa Brille verzerrt dargestellt“, sagt Patricia Lorenz, Atom-Sprecherin von GLOBAL 2000. „Wie allgemein bekannt, ist die Entsorgung von abgebrannten Brennstäben noch immer vollkommen ungelöst, trotz anderslautender Behauptungen einiger Lobbyisten. Auch das sogenannte Restrisiko – die schweren Unfälle wie etwa in Fukushima vor 10 Jahren – können nie ausgeschlossen werden.“

Frankreich setzt weiter auf Atomkraft

Dass europäische Länder wie Frankreich das JRC-Gutachten im Vorfeld so stark unterstützt haben, ist kein Zufall. Mit der Abschaltung des AKW Fessenheim wurde im Juli 2020 zwar ein jahrelanger Streit zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz beigelegt. Doch zwischen Deutschland und Frankreich geht er weiter, denn während hierzulande der Atomausstieg längst beschlossen ist, kämpft Frankreich weiter mit seinem atomaren Erbe. Und so versorgen immer noch über 50 zum Teil sehr alte Reaktoren das Land mit Energie, während der Ausbau Erneuerbarer Energien viel zu langsam vorangeht. Stattdessen investiert Frankreich in neue „nachhaltige“ Meiler. Um diese strahlende Zukunft weiter zu finanzieren, ist es für das Land wichtig, dass diese aus EU-Sicht als „nachhaltige Investitionen für den Klimaschutz“ gelten.

Folgt die EU-Kommission nun dem JRC-Gutachten und damit der Meinung ihres wissenschaftlichen Dienstes, wird die Atomkraft tatsächlich als nachhaltige Aktivität bzw. Geldanlage im Rahmen der Taxonomie-Verordnung eingestuft. Ab dem Jahr 2022, wenn die Verordnung greift, könnte die Atomenergie dann in der EU als grüne Geldanlage gelten. Damit würden Finanzströme zwar weiterhin weg von fossilen Energien fließen – jedoch nicht nur in Erneuerbare, sondern auch in die Atomkraft. Es wäre ein schlechtes Zeichen für den weltweiten Kampf gegen die Klimakrise, den Umweltschutz und den Schutz der Gesundheit der Menschen. jk


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Kommentare

Diskutieren Sie über diesen Artikel

PV 01.04.2021, 15:33:48

+116 Gut Antworten

Das kann doch nicht Ihr Ernst sein :-)

Andres 26.04.2021, 20:08:50

Leider doch. Hauptargument der Verfechter für ein Atomkraft-Revival - allen voran der ehemalige Unternehmer Bill Gates - ist, dass allein mit den Erneurbaren, das 2050er Nullemissionsziel nicht erreicht werden kann. Dafür wäre ein Wunder bei der Entwicklung der Speichertechnik nötig. Aktuelle Speichertechniken seien nicht ausreichend in der Lage Lastspitzen und Lasttäler ausreichend auszugleichen.

Andres 26.05.2021, 20:18:05

Könnt man nicht die bisherigen Kosten für Fukushima, Tschernobyl und zwei weitere ähnlich große Katastrophen analog zum CO2 Preis nicht als Risikopreis auf alle weltweit installierten Nuklearanlagen umlegen. Das würde den Wierauferstehungsphantasien der Nuklearindustrie vielleicht wirksam den Zahn ziehen. Angesichts der großen internationalen Schwierigkeiten sich auf ein CO2 Ziel zu einigen, vielleicht blosses Wunschdenken meinerseits, aber schön wärs doch ...

Michael Kriese 14.07.2021, 22:39:33

Vor einigen Wochen ist das erste AKW in den Arabischen Emiraten ans Netz gegangen. Trotz viel Sonne und viel Wüste bauen die Scheichs Kernkraftwerke und keine Solarkraftwerke! Warum wohl?


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