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Nachhaltige EU-TaxonomieGreenwashing von Atom und Erdgasinvestitionen

Proteste vor den Vertretungen der EU-Kommission in Deutschland
Anti-Atom- und Umweltaktivisten protestieren vor den Vertretungen der EU-Kommission in Deutschland gegen das Greenwashing von Atom und Erdgasinvestitionen. (Bild: Lisabeth Hoff / ausgestrahlt)

Die EU-Kommission hat entschieden, Atom und Erdgas in die europäische Taxonomie für Klimaschutz aufzunehmen. Eine Allianz aus NGOs, Wissenschaftlern, Aktivisten und weiteren Akteuren stellt sich gegen die finanz- und symbolträchtige Einstufung.

03.02.2022 – Trotz massiver Kritik von NGOs, Wissenschaftlern und vielen weiteren Akteuren beschloss die EU-Kommission gestern die Aufnahme von Atom- und Erdgas in die EU-Taxonomie. Investitionen in neue Atom- und Erdgaskraftwerke werden damit unter bestimmten Auflagen zukünftig als klimafreundlich eingestuft. Die grüne EU-Taxonomie ist als Leitfaden für Investoren gedacht und soll die Finanzierung von sauberen Technologien für den Übergang in eine nachhaltige und klimaneutrale Wirtschaft fördern. Auch die symbolische Wirkung der Einstufung sollte nicht unterschätzt werden.

Die Aufnahme von Atom- und Erdgasprojekten war von Anfang an umstritten. Für Atomkraftwerke machte sich im Besonderen Frankreich stark, das noch immer mehr als zwei Drittel seiner Energie aus Atomstrom bezieht. Deutschland kritisierte die Aufnahme von Atomenergie, wollte jedoch Erdgasprojekte sogar noch stärker gefördert sehen. Der Beschluss der EU-Kommission löste scharfe Kritik von allen Seiten aus. Wissenschaftler, NGOs, Anti-Atom- und Klimaschutzaktivisten sowie verschiedene Akteure der Energie- und Finanzwirtschaft stellten sich gegen die vermeintlich grüne Taxonomie. So hatte ein ein Anfang Januar gestarteter Eilappell der Bündnispartner DUH, BUND, Campact, Bürgerbewegung Finanzwende, Greenpeace, IPPNW, NABU, Umweltinstitut München und Uranium Network über 330.000 Unterschriften gegen den Entwurf gesammelt. Nach Bekanntwerden des Beschlusses protestierten Anti-Atom- und Umweltaktivisten vor den Vertretungen der EU-Kommission in Deutschland gegen das Greenwashing von Atom und Erdgasinvestitionen.

EU verspielt Glaubwürdigkeit der Taxonomie

Die EU-Kommission argumentiert, dass Atomenergie und Erdgas als Übergangstechnologie zum Null-Emissions-Ziel beitrage und damit für die Klimaneutralität notwendig sei. Damit stellt sie sich gegen die Einschätzung von sowohl dem eigenen Expertengremium, der Plattform für nachhaltige Finanzen, als auch externen Wissenschaftlern. NGOs, Aktivisten und Experten sind sich einig: Eine grüne Taxonomie, die Atomenergie- und Erdgasinvestitionen als nachhaltig einstuft, macht sich selbst unglaubwürdig.

Die EU-Taxonomie bleibe hinter bereits bestehenden Branchenstandards zurück und drohe seine internationale Lenkungswirkung zu verfehlen, warnen Naturschutzbund Deutschland (NABU) und Deutsche Umwelthilfe (DUH). Im Gegensatz zur neuen Taxonomie schlössen bereits geltende Standards für grüne Finanzprodukte die umweltschädlichen Technologien Atom und Erdgas klar aus.

Finanzströme werden in die falsche Richtung gelenkt

Die Taxonomie soll aufzeigen, ob wirtschaftliche Aktivitäten ökologisch nachhaltig sind. Diese Einschätzung hängt jedoch nicht von national unterschiedlichen, kurzfristigen Energie-Lösungen ab.

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck kritisierte den Beschluss noch gestern Abend: „Atomenergie ist risikobehaftet und teuer; auch neue Reaktorkonzepte wie Mini-Reaktoren bringen ähnliche Probleme mit sich und können nicht als nachhaltig eingestuft werden“, ließ das Ministerium in einer gemeinsamen Presseerklärung mit Bundesumwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke verlauten. „Atomkraft ist nicht nachhaltig, mit immensen Risiken verbunden, sie ist zu teuer und die Planungs- und Bauprozesse dauern viel zu lange, als dass sie noch einen Beitrag zum Ziel der Klimaneutralität leisten könnte“, so auch Lemke.

Doch während die Aufnahme von Atomkraft kritisiert wird, setzte sich die Bundesregierung gleichzeitig auf EU-Ebene für die Aufnahme von Erdgasinvestitionen in die Taxonomie ein. Die Einbeziehung von sowohl Erdgas als auch Atomenergie sei jedoch ein falsches Signal, kritisiert NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Die EU-Taxonomie ist nicht das richtige Instrument zur Finanzierung der von der Regierung geplanten Gaskraftwerke.“

DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner sieht dies ähnlich: „Die Ampel-Koalition hat sich in besonders unrühmlicher Weise dafür eingesetzt, das Greenwashing von Gas-Kraftwerken sogar noch zu erleichtern. Doch selbst wenn ein begrenzter Zubau von neuen Gas-Kraftwerken im Zuge des Kohleausstiegs notwendig ist, macht dies einen fossilen Energieträger noch lange nicht zu einer grünen Technologie.“ Auch Christoph Hoffmann, Referent für klimakompatible Finanzflüsse bei Germanwatch, warnt: „Erdgas ist maximal eine kurze Brücke, kein grüner Energieträger.“

„Es wäre leichtgläubig, die Taxonomie von vornherein als bloßen Leitfaden für private Investoren abzutun“, kommentiert Thomas E. Banning, Vorstandsvorsitzender des Öko-Energieversorgers NATURSTROM. „Auch staatliche Investitionsentscheidungen und Subventionsflüsse werden künftig von der Taxonomie beeinflusst werden – wenn nicht in Deutschland, so doch in unseren Nachbarstaaten.“

Das Gegenteil von Klimaschutz und Energiesystemwandel

Die DUH veröffentlichte kürzlich ein Gutachten, nach dem der erste Entwurf des Rechtsakts gegen die Grundlagen der Taxonomie-Verordnung verstößt. Denn diese verlange, dass durch die Investitionen das Klima geschützt würde. Bei Atomenergie und Erdgas sei dies nicht gegeben, sie könnten daher nicht als nachhaltig eingestuft werden.

Neben dem grundsätzlichen ökologischen Widerspruch ergeben sich auch technische Probleme. Denn ein Energiesystem mit Erneuerbaren funktioniert anders als eines mit fossilen Energien. „Aus systemischer Sicht kann die Atomkraft keine Brücke in eine klimafreundliche Zukunft sein. Ein Energiesystem, in dem Erneuerbare Energien den Ton angeben, benötigt ein hohes Maß an Flexibilität auf der Erzeugungs- wie der Verbrauchsseite“, erklärt Thomas E. Banning. „Investitionen in neue Atomkraftwerke in Europa stehen dieser benötigten Flexibilisierung diametral entgegen. Sie halten das überkommene System zentraler Großkraftwerke, die sich nur geringfügig an die Nachfrage und die Angebote der Erneuerbaren anpassen können, künstlich am Leben, und bremsen die nötige Transformation aus.“

Wie es weitergeht

Eine Mehrheit im EU-Parlament oder im Europäischen Rat könnte die Taxonomie in dieser Form noch verhindern. Sie haben noch vier Monate Zeit, um mit der jeweils erforderlichen Mehrheit ein Veto einzulegen. Im Rat ist für eine Ablehnung eine Mehrheit von mindestens 20 Mitgliedsstaaten nötig, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Das Europäische Parlament kann die Taxonomie mit einer Mehrheit von mindestens 353 der aktuell 705 Abgeordneten ablehnen.

Michael Bloss, Mitglied des Europaparlaments in der Fraktion der Grünen/EFA, startete noch am selben Tag eine Eil-Petition zur Rettung der europäischen Energiewende.

Österreich und Luxemburg haben zudem angekündigt, vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen den Rechtsakt in seiner aktuellen Form einzureichen. Er verstoße gegen das Pariser Klimaabkommen. Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch, nimmt an, dass sie gute Chancen hätte: „Die Kommission hätte ein Gesetz, nicht einen einfachen delegierten Rechtsakt vorlegen müssen. Sie widerspricht hier den eigenen wissenschaftsbasierten Kriterien. Und sie verstößt vermutlich auch gegen das völkerrechtlich bindende Pariser Klimaabkommen.“

In ihrer gemeinsamen Presseerklärung lehnten Habeck und Lemke den Taxonomie-Rechtsakt der EU- Kommission ab. Unklar bleibt jedoch, wie die Bundesregierung sich auf EU-Ebene verhalten wird. jb


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