EU Green Deal: Grüne Wende auf der Kippe

Der Green Deal soll Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Die nachhaltige Transformation einer der größten Volkswirtschaften der Welt ist ein Kraftakt. Ein zunehmender politischer Rechtsdruck bringt die grüne Wende in Gefahr.
22.04.2025 - In einer Rede vor dem europäischen Parlament Ende 2019 sprach Ursula von der Leyen vom Green Deal als Europas Man-on-the-moon-moment. Über 38 Gesetze in allen Sektoren – vom Verkehr, Energie, Gebäude, Industrie bis Agrar – wurden seither erarbeitet und erlassen, um die EU-Wirtschaft emissionsfrei umzubauen.
Der Kern des Green Deal sind zahlreiche Rahmenstrategien, die ineinandergreifen, um Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen und den Folgen der Klimakrise entgegenzutreten. Als Zwischenziel sollen Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Die wichtigsten Initiativen sind die Farm-to-Fork-Strategie für eine nachhaltige Landwirtschaft, die Biodiversitätsstrategie zur Wiederherstellung der Natur, der Kreislaufwirtschafts-Aktionsplan für weniger Rohstoffverbrauch und Müll, die Industriestrategie für Wettbewerbsfähigkeit, die Klimaanpassungsstrategie, Strategie für nachhaltige Mobilität und das erweiterte Emissionshandelssystem. Für die Ausgestaltung des Policy-Mixes hat die EU 2021 einen eigenen wissenschaftlichen Klimarat eingesetzt, der bei den Maßnahmen berät.
Die Initiativrahmen wurden bisher unterschiedlich erfolgreich mit Leben und Vorgaben gefüllt, doch die Richtung schien klar. Das Ziel ist eine grüne Wirtschaftstransformation und Klimawende für Europa mit Erneuerbaren Energien, einer gesünderen Umwelt und nachhaltigerer Nutzung von Ressourcen. Bis zum Jahr 2022 konnten EU-Emissionen bereits um mehr als 30 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden. Für dieses Jahr ist geplant, im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen das weitere Zwischenziel zu beschließen, EU-Emissionen bis 2040 um 90 Prozent zu reduzieren. Mit dem Clean Industrial Deal soll zudem die Industrie auf Klimakurs gebracht werden.
Klimaschädlicher Rechtsdruck
Die EU-Wahl im Sommer 2024 hat die Kräfteverhältnisse im EU-Parlament allerdings entscheidend zugunsten konservativer Kräfte verändert. Auch viele Regierungen von EU-Staaten sind nach rechts gerückt. In der neuen Legislaturperiode herrscht ein anderer Ton. Anstelle einer grünen Wende geht es nun um sauberes Wirtschaften, statt um Nachhaltigkeit um Wettbewerbsfähigkeit. „Für den Green Deal ist absolut entscheidend, wie die Mehrheiten sind. Im Europaparlament sind die Mehrheiten anders als früher, und leider stimmen dort die Christdemokraten und die Liberalen regelmäßig mit Rechtsextremen, auch gegen ökologische Inhalte. Im Rat der Mitgliedsländer sind auch viele Regierungen eher nach rechts gewandert“, sagt Sven Giegold, stellvertretender Bundesvorsitzender der Grünen, der gemeinsam mit seinen Parteikollegen Michael Bloss, klima- und industriepolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, Anna Cavazzini, Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Europaparlament, und Jutta Paulus, Abgeordnete im Europaparlament, eine Kampagne gegen die Rückabwicklung des Green Deal gestartet hat.
Mit dem Niederländer Wopke Hoekstra wurde nach ungewöhnlich langem Ringen im Parlament ein konservativer Klimaschutzkommissar bestimmt. Sein Bestreben, die Kernenergie in Europa auszubauen, spiegelt sich bereits in einer neuen Initiative der EU wider, die vorsieht, die Einführung von umstrittenen Small Nuclear Reactors in der EU vor 2030 zu erleichtern. Die EU-Kommission vertrat zuvor eine eher kritische Haltung zur Atomkraft.
Der Backlash kommt
Das Blatt begann sich bereits im letzten Jahr der Legislaturperiode des EU-Parlaments zu wenden. Hoekstra war bereits im vergangenen Jahr nach einem Rücktritt als Klimakommissar nachgerückt, und von Anfang an aufgrund seiner langen Tätigkeit im fossilen Energiesektor umstritten. Das bereits vom Parlament angenommene Renaturierungsgesetz kam am Ende nur durch den EU-Ministerrat, weil Österreichs Umweltministerin gegen den Willen ihrer Regierung für das Gesetz stimmte. Ein geplantes Pestizidgesetz wurde hingegen auf den letzten Metern gekippt, und die Entwaldungsverordnung verschoben.
Nach den Bauernprotesten in mehreren EU-Staaten Anfang 2024 rollte die EU Umwelt- und Biodiversitätsauflagen im Agrarsektor zurück. Als Grund wurden überbordende Bürokratie- und Berichtspflichten genannt – ein Problem, das die Landwirte bei ihren Protesten angeprangert hatten. „Im Kern der Reform steht nicht der Bürokratieabbau, also der Abbau von Nachweis- oder Dokumentationspflichten“, meint Norbert Röder vom Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei in Braunschweig. Vergleichbar niedrig waren Ackerbauvorgaben zuletzt vor 15 bis 30 Jahren. Ein deutlicher Rückgang der Biodiversität sei zu erwarten. Hinter der Losung Bürokratieabbau scheint vor allem das Absenken der Standards zu stehen.
Bürokratie oder Nachhaltigkeit abbauen?
Seit der Kräfteverschiebung im Parlament gehen die Angriffe auf große Teile des Green Deal weiter. Kurz nach Antritt verkündete die Kommission, Berichtspflichten der EU-Nachhaltigkeitsgesetze für Unternehmen um rund ein Viertel reduzieren zu wollen. Ihre Omnibus-Initiative für Bürokratieabbau betrifft die Kerngesetze des Green Deal. Grüne und sozialdemokratische Politiker sowie Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass unter dem Mantel des Bürokratieabbaus in großem Stil Umwelt- und Klimastandards reduziert werden. „Wir sind alle dafür, Bürokratie abzubauen“, sagt Anna Cavazzini, „Aber Bürokratie ist eben nicht gleich Regulierung.“ Das, was aus der Kommission zu hören sei, gehe weit darüber hinaus, Bürokratie abzubauen. Nach einer nur sehr kurzen Zeit sollten ohne Folgenabschätzung, ohne Stakeholder zu konsultieren, ohne die einzelnen verantwortlichen Minister in der Kommission zu fragen, Gesetze geändert werden. Ein solches Vorgehen verunsichere Unternehmen und Investoren und widerspreche zudem dem Rahmen für bessere Rechtsetzung, den die Europäischen Kommission sich selbst gesetzt habe.
Die Maßnahmen zielen zum Großteil darauf ab, den Anwendungsbereich der Nachhaltigkeitsgesetze zu verkleinern und deren Implementierungsstart wie schon bei der Entwaldungsverordnung zu verschieben. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und der EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD). Letztere soll nun erst 2028 umgesetzt werden, die umfassende Sorgfaltspflicht soll sich nur noch auf direkte Geschäftspartner beziehen, und die zivilrechtliche Haftung abgeschafft werden. Die Berichtspflicht für die CSRD würde für rund 80 Prozent der ursprünglich verpflichteten Unternehmen entfallen, für die übrigen würde der Start um mindestens ein Jahr verschoben. Die Kürzungen beim CSRD-Standard könnten es Unternehmen erschweren, sich in Zukunft strategisch nachhaltig auszurichten. Auch der Finanzindustrie entgehen so Daten zu Nachhaltigkeit und Klimaauswirkungen, die benötigt werden, um mögliche Investitionen zu beurteilen.
Nur eine Woche nach der Omnibus-Verordnung folgte ein weiterer Vorschlag der Kommission, die Grenzwertverordnung für Pkw zu verschieben. Auch das Verbrenner-Aus für Neuwagen ab 2035 könnte bald aufgeweicht werden. Im Parlament stünden auch der CO2-Preis für Wärme und Verkehr und für die Industrie unter Beschuss, und die geplante Verschärfung des Klimazwischenziels würden in Frage gestellt, berichtet Michael Bloss. Für die Rückschritte bei Umwelt- und Klimaschutz zahlen am Ende alle. Ob sie der Wettbewerbsfähigkeit dienen, ist zumindest fraglich. „Es ist nicht nur ein Deal für den Klimaschutz, es war immer auch eine Wirtschaftsstrategie“, sagt Bloss. „Die Strategie, dass wir unsere Wirtschaft modernisieren müssen, dass wir Technologiesprünge brauchen, dass wir durch erneuerbaren Strom günstige Energiepreise schaffen.“
Saubere Industrie
Parallel zu Abbau und Aufschub der Nachhaltigkeitsstandards stellte die EU jedoch – ganz im Sinne des Green Deal – auch ihren Plan für eine CO2-neutrale Industrie vor. Um bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu wirtschaften, muss die Industrie sich in vielen grundlegenden Bereichen neu aufstellen, Prozesse elektrifizieren und CO2-intensive Prozesse transformieren. Der Wirtschaftsplan für die Industrie setzt im Kern darauf, die Clean Tech Industrie zu unterstützen und die heimischen Industrie auf nachhaltige Produktion umzustellen.
Die Kommission plant, mit gesetzlichen Kriterien für Nachhaltigkeit, Widerstandsfähigkeit und ‚Made in Europe‘ bei öffentlichen und privaten Beschaffungen die Nachfrage nach sauberen EU-Produkten anzukurbeln. Ein freiwilliges Label für die Kohlenstoffintensität für Industrieprodukte soll Transparenz für Verbraucher schaffen und es Herstellern ermöglichen, eine Prämie für ihre Dekarbonisierungs-Bemühungen zu erhalten. Zu den Zielen gehört, dass bis 2030 rund 40 Prozent der Bauteile für die Clean-Tech-Industrie der EU innerhalb von Europa hergestellt werden.
Erneuerbare ausbauen
Flankiert wird der CID vom Aktionsplan für bezahlbare Energie. Im Rahmen des Green Deal wurden Erneuerbare Energien in der EU in den vergangenen Jahren so schnell ausgebaut wie nie zuvor. 2024 stellten Erneuerbare Energien 47 Prozent der europäischen Stromerzeugung. Der steigende Anteil Erneuerbarer Energien im EU-Stromnetz über die vergangenen fünf Jahre reduzierte die Abhängigkeit von fossilen Importen und stabilisierte besonders nach der Corona-Pandemie die Strom- und Energiepreise. Trotzdem ist Energie in Europa noch immer deutlich teurer als in den USA oder China. Um wettbewerbsfähiger zu werden, müssen Energiepreise sinken, und das geht nur durch einen schnellen Ausbau Erneuerbarer Energien und den Netzen des EU-Binnenmarkts.
Die Kommission will der EU eine Elektrifizierungsrate von 32 Prozent bis 2030 zum Ziel setzen. Dafür müssen jährlich 100 Gigawatt an Erneuerbaren Energien in der EU installiert werden. Weiterhin soll noch in diesem Jahr ein Leitfaden zur Förderung von Flexibilität in Stromabnahmeverträgen erarbeitet werden.
Rohstoffe sichern und im Kreis führen
Der Bedarf an kritischen Rohstoffen soll, entlang des bereits verabschiedeten Criticial Raw Minerals Act, zu 10 Prozent durch innereuropäischen Abbau und 25 Prozent durch Recycling gedeckt werden. Auch die Verarbeitung soll zu 40 Prozent in die EU verlagert und Importabhängigkeit von einzelnen Staaten reduziert werden. Derzeit ist Europa in entscheidenden Bereichen der Clean Tech Industrie nahezu vollständig abhängig, im Besonderen von China.
Bergbau nachhaltig zu gestalten, ist eine große Herausforderung. Bürger wie zivilgesellschaftliche Akteure wie PowerShift befürchten, dass der Rohstoffabbau wie schon in der Vergangenheit zu Lasten von Menschen und Umwelt vor Ort geht. Die Recycling-Ziele sind ambitioniert und gehen in die richtige Richtung, was bisher durchgehend fehlt, ist das Ziel, Konsum zu reduzieren und alternative Materialien zu fördern. Für das nächste Jahr ist ein umfassender Circular Economy Action Plan angekündigt.
Clean statt Green
Die Signale aus Kommission und Parlament sind also gemischt. Der Abbau von in langen Diskussionen und Beratungen erarbeiteten Nachhaltigkeitsstandards auf der einen Seite steht der Clean Industrial Deal auf der anderen Seite gegenüber, der auf die die Klimaneutralität Europas zielt. Neben der Klimakrise adressierte der Green Deal jedoch immer auch die Umwelt- und Biodiversitätskrise sowie gerechtere und soziale Wirtschaftsbedingungen, die nun in den Hintergrund zu rücken scheinen. „Der Green Deal war und ist kein Hindernis, sondern der Schlüssel für Europas Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Jörg-Andreas Krüger, NABU-Präsident. Weitere Umweltstandards abzubauen, werde die EU nicht wettbewerbsfähiger machen. Im Gegenteil: „Unsere Wirtschaft muss sich mehr, nicht weniger am Natur- und Klimaschutz orientieren.” Julia Broich
Kommentare
Maria Gubisch vor 3 Wochen
Die Damen und Herren Politiker scheinen der Welt so weit entrückt, dass sie notwendende Veränderungen verweigern. Als ließe sich das Rad der Zeit zurückdrehen, und unsere Um-Welt wäre wieder in Takt. Schade, dass auch hier die Medien die Steigbügel für ein Zurück in die Vergangenheit halten. Sie lasssen den Blick in eine lebenswerte Welt in kommenden Jahren vermissen. Welches Tun oder Unterlassen heute hat welche Folgen, heute, morgen, übermorgen? Allein der Blick aufs Geld führt ins Verderben. Die Welt wird so nicht mehr lange gut zu Diensten sein können.
Theo Sprenger vor 2 Tagen
Zukünftige Perspektiven werden in der Menge der Informationen leicht übersehen, deswegen nochmal: "Die Recycling-Ziele sind ambitioniert und gehen in die richtige Richtung, was bisher durchgehend fehlt, ist das Ziel, Konsum zu reduzieren ..."
Das dürfte jede Menge Widerstand auslösen, denn in der Folge müsste dann ja auch die Produktion verringert werden. Das wiederum will sich niemand vorstellen, oder? Die besten Hirne sollten Modelle entwickeln, die für eine andere Lebensweise als Grundlage dienen können - ohne Angst auszulösen, in der Steinzeit zu landen.