Tagebau GarzweilerIn allen Szenarien wird die Kohle unter Lützerath nicht benötigt

Backsteinhäuser mit einem großen gelben Kreuz davor.
Das ehemalige Gehöft des Landwirtes Eckhart Heukamp, dass inzwischen von Aktivist:innen bewohnt wird. (Bild: Manuel Grisard)

Laut Gutachten der NRW-Landesregierung muss die Kohle unter Lützerath abgebaggert werden, Dagegen kommen neue Berechnungen von Energieexpert:innen zu einem völlig anderen Ergebnis.

02.12.2022 – Vergangene Woche verschickten NRWs Innenminister Herbert Reul (CDU) und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Bündnis 90/die Grünen) einen Brief an den Kölner Regierungspräsidenten, mit der Bitte die Räumungsverfügung für das Dorf Lützerath auf den Weg zu bringen. Damit hat das Land den ersten Schritt vollzogen, den Räumungsprozess in Gang zu setzen. In einem zweiten Schritt muss der Regierungspräsident die Stadt Erkelenz und den Kreis Heinsberg aufrufen den Einsatz auf den Weg zu bringen. Erkelenz müsste dann in einem weiteren Schritt die Polizei um Vollzug bitten.

Doch die Stadt erklärte bereits sich raushalten zu wollen. „Wir wollen jeden Quadratmeter, den wir in Erkelenz erhalten können, erhalten. Dazu zählt auch Lützerath“, sagte Hans-Heiner Gotzen, erster Beigeordneter im Rathaus der Stadt Erkelenz, am Montag gegenüber der Aachener Zeitung. Nun könnte das Bergrecht zur Grundlage gemacht und damit die Bezirksregierung Arnsberg verantwortlich werden, gegenüber der Zeitung wollte sich die Bezirksregierung bislang nicht äußern. Auch ein direkter Auftrag der Landesregierung gegenüber der Polizei scheint möglich. Die Planungen zur Räumung bei der Aachener Polizei sind derweil bereits angelaufen.

Hintergrund der Räumung sei die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten, so die Argumentation der Landesregierung, die sich dabei auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten stützt, dass in der Kürze der Zeit vorwiegend mit Zahlen von RWE arbeitete. Darin wurde ein Kohleausstiegspfad bis 2030 skizziert, den Landesregierung und RWE vertraglich festlegten. Festgelegt wurde aber auch, die beiden Kraftwerksblöcke Neurath D und E zwei Jahre länger (bis Ende März 2024) am Netz zu lassen als ursprünglich vorgesehen. Zudem müsse das Dorf Lützerath im Sinne der Versorgungssicherheit für den Braunkohleabbau weichen. Denn trotz eines früheren Kohleausstiegs liege der Braunkohlebedarf aus dem Tagebau Garzweiler II bis 2030 noch zwischen 175 und 187 Millionen Tonnen. Demnach müsste ab einem Bedarf von 170 Millionen Tonnen die Kohle unter Lützerath in Anspruch genommen werden.

Bedarf deutlich unter 170 Millionen Tonnen

Doch eine neue Analyse von Energieexpert:innen der Aurora Energy Research widerspricht dem. Der Braunkohlebedarf liege in drei untersuchten Szenarien deutlich unter den 170 Millionen Tonnen. Bis 2030 würden aus den beiden Tagebauen des Rheinischen Reviers Hambach und Garzweiler insgesamt noch maximal 234 Millionen Tonnen Kohle benötigt (Das Gutachten der Landesregierung geht von 297 bis 348 Millionen Tonnen aus). Daraus ergebe sich für Garzweiler lediglich ein maximaler Bedarf von 124 Millionen Tonnen. Lützerath müsste also nicht in Anspruch genommen werden.

Dieser maximale Bedarf ergibt sich im sogenannten „Elektrifizierungsszenario“, wonach bis 2030 ein erhöhter Strombedarf nötig ist – mit 695 Terrawattstunden (TWh) statt den 670 TWh aus dem „Basisszenario“. Daneben analysierten die Autor:innen Kohle- und Strombedarf, sowie CO2-Ausstoß in einem mittleren „Szenario mit adjustiertem Kohleausstieg“, der sich an der Einigung von Landesregierung und RWE orientiert. Der von Aurora angegebene benötigte Strombedarf beruht dabei auf eigenen Berechnungen. Das Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichte zuletzt im November 2021 eine ausführliche Prognose zum Strombedarf 2030 – mit einer Bandbreite von 645 bis 665 Terrawattstunden. Im Gutachten der Landesregierung dagegen wird mit einem Stromverbrauch von 750 TWh 2030 gerechnet.

Gegenüber dem Spiegel erklärte Aurora Studienautor Nicolas Leicht: „Unser Szenario beschreibt den wahrscheinlichsten Pfad, reine Ziele übernehmen wir nicht 1:1 in unseren zentralen Ausblick“. Man gehe davon aus, dass es zwar mehr Erneuerbare gibt, aber die Regierungsziele durch den schleppenden Ausbau nicht erreicht werden können. Ohne einen starken Ausbau der Erneuerbaren werde dann etwa deutlich weniger Wasserstoff hergestellt und damit auch weniger Strom nachgefragt. Zudem gehen die Autor:innen der Aurora-Analyse von einer sinkenden Kohlenachfrage, aufgrund eines sich entspannenden Gasmarktes aus.

Zwar komme es etwa im Elektrifizierungsszenario zu verzögerten Abschaltungen von Kohlekraftwerken und somit zu zusätzlicher Kohleverstromung, aber nach 2027 werde die zusätzliche Nachfrage durch Gaskraftwerke gedeckt, da diese laut Aurora-Prognose dann günstigere Grenzkosten als Kohlekraftwerke haben werden. Unter dem Eindruck voller Gasspeicher hat sich der Gasmarkt aktuell bereits etwas entspannt. Der kurzfristige Aufbau weiterer Importstrukturen für Gas nach Deutschland könnte zusätzlich dafür sorgen, dass künftig wieder weniger Kohle benötigt wird. Auch mehr Erneuerbare Energien und Speicher könnten die Kohlewirtschaft wieder unrentabel machen.

Ohne Lützerath noch für Jahre genug Kohle vorhanden

„Wer Lützerath abbaggert, wettet gegen die Energiewende“, sagt Fabian Hübner von Europe Beyond Coal. Statt zusätzlicher CO2-Emissionen aus der Kohleverstromung brauche es eine Beschleunigung der Energiewende und die Umsetzung der von der Ampelkoalition verabschiedeten Gesetze zum Ausbau erneuerbarer Energien. Dirk Jansen vom Bund für Umwelt- und Naturschutz NRW konstatiert: „Zur Bewältigung der aktuellen Energiekrise ist im bisherigen Abbaufeld noch für Jahre genug Kohle vorhanden. Eine Notwendigkeit, das Dorf Lützerath zu zerstören, lässt sich damit nicht begründen.”

Warum RWE auf den Abriss Lützeraths drängt, hat laut Jansen andere Gründe. Momentan wird der Tagebau in einem sogenannten Parallelbetrieb gefahren. Um Lützerath nicht in Anspruch zu nehmen, müsste das Tagebaudesign geändert werden und in einzelne Felder hinein abgebaut werden. „Das wird komplex. Und deswegen will RWE weiter machen, wie bisher, weil es die einfachste Variante ist“, so Jansen zuletzt im Gespräch mit der energiezukunft. Zudem sei eine „entlarvende Äußerung von RWE“ in einer PowerPoint-Präsentation nachzulesen, die sich im Anhang des Gutachtens der Landesregierung finde. Dort stehe, dass mit einem Lützerath als Hotspot der Klimabewegung und ständigen Kern des Widerstands, ein ordnungsgemäßer Betrieb des Tagebaus Garzweiler nicht möglich sei. „Ich glaube das ist der wesentliche Grund, der der ganzen Planung RWEs zugrunde liegt“, so Jansen. mg

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