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EuropaKlimaschutz im Kreuzfeuer

Ein Mann in einem vollen Sitzungssaal hebt den Daumen nach unten, als Zeichen der Ablehnung. Die Szene zeigt eine Sitzung des Europäischen Parlaments mit vielen anwesenden Personen, die an Tischen mit Mikrofonen und Dokumenten sitzen. Die Atmosphäre wirkt konzentriert und politisch angespannt.
Abstimmung im Europaparlament: gegen progressiven Klimaschutz (Bild: CC-BY-4.0 © European Union 2024– Source EP)

Rechte Narrative befeuern Anti-Klimaschutz-Stimmung in Europa und Konservative springen auf den Zug auf. Dabei gibt es Antworten, den Klima-Backlash zu verhindern.

von Manuel Grisard

24.04.2025 – Der „ideologische Ansatz“ des Green Deals müsse überarbeitet werden, findet Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban fordert eine Klimapolitik mit „gesundem Menschenverstand“, mit Öl, Gas und Atomkraft für den Übergang und Teil der Lösung. Der neue Bundeskanzler Deutschlands Friedrich Merz bezeichnet Windräder als „hässlich“ und „Übergangslösung“, bis einmal der Traum von der Kernfusion in Erfüllung geht. Keiner der genannten stellt den menschengemachten Klimawandel in Frage und trotzdem fordern sie eine Abkehr von progressiver europäischer Klimapolitik.

Die Stimmen werden lauter, insbesondere seit der Europawahl im Juni 2024, bei der konservative und rechte Kräfte deutlich an Sitzen im EU-Parlament hinzugewannen. Die EVP-Fraktion (EPP) mit CDU und CSU gewann acht Sitze hinzu. Die EKR (ECR) – die Europäischen Konservativen und Reformer – kamen auf Plus vier Sitze. Die neu konstituierten und ganz rechten Fraktionen Patrioten für Europa und Europa der souveränen Nationen (ESN), der auch die AfD angehört, kamen nach der Wahl auf 36 Sitze mehr, im Gegensatz zur vorherigen rechten Fraktion Identität und Demokratie. Grüne (Greens/EFA) und Liberale (Renew Europe) dagegen verloren 19 bzw. 22 Sitze. 2019 noch hatten Europas Bürger, allen voran die Deutschen, die Europawahl zur Klimawahl gemacht.

Anna Cavazzini ist seit 2019 Europaabgeordnete der Grünen für die Wahlkreise Sachsen und Sachsen-Anhalt und Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz. Seit der letzten Wahl beobachtet sie, wie die extremen Rechten im Parlament, neben dem Schutz von Minderheiten, Klimaschutz und den Green Deal als Hauptangriffsfläche auserkoren. „Sie schüren eine antieuropäische Stimmung, indem sie behaupten, die EU und deren Klimadiktatur sei schuld, dass die Industrie den Bach runtergeht. Dabei sind es vielmehr externe Schocks, wie der Einbruch des chinesischen Exportmarktes oder Trumps Zölle, die zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen.“

Gefährlich sei, so Cavazzini, dass diese Angriffe teilweise von den Konservativen übernommen werden. Was im Bundestag Ende Januar für einen Aufschrei sorgte, ist im Europaparlament Normalität: das gemeinsame Abstimmungsverhalten von Konservativen und Rechten. „Trotzdem darf man EVP und extreme Rechte natürlich nicht gleichsetzen“, sagt Cavazzini. Ein Dialog sei mit der EVP noch möglich.

Das Narrativ von der EU als ideologiegetriebenes Bürokratiemonster aber verfängt, beobachtet Cavazzini bei einigen Unternehmen in ihrem Wahlkreis. „Auch wenn das Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene noch gar nicht in Kraft ist, schimpfen viele Unternehmen auf die EU-Regeln. Klimaschutz wird als Kulturkampf wahrgenommen.“ Zentraler Akteur: die AfD, aber auch CDU und FDP springen auf den Zug auf.

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Im Wahlkreis von Cavazzini, im sächsischen Zwickau, lebt der Aktivist und Autor Jakob Springfeld. Er setzt sich in der Stadt und darüber hinaus für Klimaschutz und gegen Rechtsradikalismus ein. In seinem neuen Buch „Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten passiert – warum das Erstarken der Rechten eine Bedrohung für uns alle ist“ fühlt er der Demokratie-Krise auf den Zahn.

Wichtigste Arbeitgeber in Zwickau sind der Volkswagen-Konzern und seine Zulieferer-Betriebe. „Hier geht der Spruch um: Wenn es VW in Zwickau nicht mehr gibt, ist die Stadt tot“, sagt der 22-Jährige Springfeld, dessen Vater im VW-Werk arbeitet. Zwickau ist Teil und abhängig vom globalen Wirtschaftsgefüge. Springfeld beobachtet eine grundsätzliche Abstiegsangst angesichts der Transformation der Industrie, die in den Biographien der Menschen und ihren Erfahrungen in den Nachwendejahren und dem Zusammenbruch der DDR begründet ist.

Seit 2020 werden in Zwickau nur noch Elektroautos produziert. Angesichts der Dominanz günstiger chinesischer Modelle aber, stockt der E-Automarkt von Volkswagen. Auch wenn Industrie und Experten darauf verweisen, dass an der E-Mobilität kein Weg vorbeiführt, „das Gefühl, alles könne wieder wie früher zu Zeiten der Verbrenner-Produktion werden, wird von der AfD, aber auch CDU und FDP ausgenutzt“, so Springfeld.

Diese Abstiegsangst übertrage sich auf die jungen Menschen, denen auch noch soziale Angebote fehlen. „Das war zur Zeit der Coronakrise so. Die von Rechtsextremen angemeldeten Montagsdemonstrationen waren oft das einzige Ventil für junge Menschen, sich die Langeweile zu vertreiben. Dort wurden Jugendliche radikalisiert. Das ist aber auch heute so, weil angesichts sparpolitischer Maßnahmen soziale Anlaufstellen gestrichen werden“, sagt Springfeld.

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Politikwissenschaftler beobachten in Europa in den letzten zehn Jahren eine Änderung des Wahlverhaltens. Während Parteien früher gewählt wurden, wenn sie als besonders geeignet galten bestimmte Probleme zu lösen, ist heute die Positionierung der Parteien entscheidend. „Bezogen auf Klimapolitik wählt man nicht mehr die Partei, die als besonders kompetent gilt, sondern die, die man als besonders nah zu der eigenen Positionierung wahrnimmt“, sagt der Politologe Markus Kollberg von der Humboldt Universität in Berlin, der in mehreren Studien Parteipräferenzen hinsichtlich der Einstellung zum Klimaschutz erforscht hat.

Im November 2023 befragten Kollberg und ein internationales Forscherteam 15.000 Menschen aus Deutschland, Frankreich und Polen. Ein klares Ergebnis: Grundsätzlich sind 60 bis 80 Prozent der Menschen für Klimaschutzmaßnahmen. Für noch weitergehenden Klimaschutz sind insbesondere Anhänger von Parteien links der Mitte. Eine laute Minderheit stellt sich jedoch gegen jeglichen Klimaschutz. „Durch die populistischen Narrative der radikalen Rechte begannen auch die anderen Parteien das Thema Klimaschutz anders zu bearbeiten“, so Kollberg. Aus Angst, Gegenwind zu erfahren, nahmen sich selbst die Grünen im vergangenen Bundestagswahlkampf erst spät wieder dem Thema an.

Noch stärker von den Narrativen der Rechten vereinnahmen ließen sich konservative Parteien. Die Skepsis von CDU/CSU-Wählern gegenüber Klimaschutzmaßnahmen wächst. Ein Jahr später, im November und Dezember 2024, befragte Kollberg im Rahmen einer weiteren Studie 5.500 Menschen in Deutschland. Es zeigte sich: Innerhalb eines Jahres nahm die Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen unter Unions-Wählern um 10 Prozent ab – von 47 auf 37 Prozent. Während bei Wählern von Linkspartei, SPD und Grünen die Unterstützung für mehr Klimaschutz deutlich überwiegt, nimmt diese bei Anhängern von CDU/CSU, FDP und AfD in der genannten Reihenfolge ab. Kurzfristiger wirtschaftlicher Nutzen wird bei den konservativen und rechten Wählern über mittel- und langfristig positive Effekte von Klimaschutz gestellt.

Dass Klimaschutzmaßnahmen mittel- und langfristig auch der Wirtschaft nutzen, zeigt eine Vielzahl von Studien. „In Zeiten multipler Krisen aber, in denen wir uns aktuell bewegen, wird der Klimaschutz mit als erstes über Bord geworfen. Auch wenn das natürlich zu kurz gedacht ist“, so Kollberg. Die letzte Studie Kollbergs wurde in Kooperation mit dem Verein Heimatwurzeln durchgeführt, der sich im bürgerlich-konservativen Spektrum verortet und das Ziel verfolgt, Bürgerliche wieder für Klimaschutz zu begeistern.

Für Florian Wagner, Geschäftsführer von Heimatwurzeln und selbst CDU-Mitglied, ist Klimaschutz ein zutiefst konservatives und bürgerliches Thema. „Conservare heißt ja bewahren, und da geht es für mich vor allem um den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Bürgerliche streben zudem nach Stabilität und Sicherheit. Mit dem Ausbau heimischer Erneuerbarer Energien lässt sich genau das erreichen.“

Wagner verweist auf den Rhein-Hunsrück-Kreis. Bis 2011 gab der Kreis südlich von Koblenz jährlich 290 Millionen Euro für den Import vorwiegend fossiler Energie aus, die Region galt als strukturschwach. Dann krempelte der Kreis das Energiesystem um und setzte fortan auf den Ausbau dezentraler Erneuerbarer Energien, mit Beteiligung der Bürger vor Ort. Mit Pacht, Bau, Betrieb und Wartung der regenerativen Anlagen, die im Besitz verschiedenster regionaler bis überregionaler Energieerzeuger sind, generiert der Kreis inzwischen rund 50 Millionen Euro jährlich.

Zudem produziert der Kreis deutlich mehr Strom als er verbraucht. „Es war ein CDU-Landrat, der die Prozesse damals angestoßen hat. Und das Narrativ war nicht, wir retten die Eisbären am Nordpol, sondern wir lassen unsere lokalen Kassen sprudeln“, sagt Wagner. Dass Konservative grundsätzlich für Klimaschutz sind und sich über das Angebot des persönlichen wirtschaftlichen Nutzens wieder für das Thema begeistern können, zeigen auch die Studienergebnisse Kollbergs.

Die Europaabgeordnete Cavazzini sieht Dänemark als Vorbild. „Unter den demokratischen Parteien ist Klimaschutz dort Konsens. Ohne ideologische Grabenkämpfe wird in Dänemark vor allem die Wärmewende vorangetrieben. Eine Debatte wie bei uns über das Heizungsgesetz ist dort schlicht undenkbar.“ Zudem sollten heimische grüne Technologien, wie E-Autos „Made in Europe“ stärker gefördert werden, findet Cavazzini. Das würde auch dem Standort Zwickau helfen.

Als vor anderthalb Jahren die Info die Runde machte, dass GKN, ein Zuliefererbetrieb für das Zwickauer Volkswagenwerk, schließen soll, war für viele klar, Fridays for Future und die Grünen sind schuld, berichtet Jakob Springfeld, der für die Ortsgruppe des Klimaschutzbündnisses aktiv ist.

„Dabei war nicht eine vermeintliche grüne Verbotspolitik der Grund, sondern schlichtweg der Umstand, dass der Konzern Arbeitsplätze ins billigere Ausland verlagern wollte. Wir sind daraufhin zum Werk gegangen, um mit den Arbeitenden ins Gespräch zu kommen und einen gemeinsamen Protest zu organisieren. Wir wollten zeigen, wir sind für Klimaschutz, aber stehen trotzdem an eurer Seite und gegen den Verlust von Arbeitsplätzen.“ Geschlossen wurde das Werk dennoch.

Einen Schritt weiter sind Klimaaktivsten im italienischen Florenz. Auch dort machte ein GKN-Automobilzulieferer dicht. Die örtliche Fridays for Future Gruppe ging daraufhin ins Werk, besetzte gemeinsam mit der Belegschaft den Betrieb und erstellte mit Experten einen Plan, die dortigen Prozesse auf die Produktion von Photovoltaik-Anlagen umzustellen. Die Gründung einer Genossenschaft steht an und die Rettung vieler Arbeitsplätze.

Für Springfeld ein Beispiel dafür, wie es die Zivilgesellschaft schaffen kann, nicht mehr nur auf politische und gesellschaftliche Verwerfungen zu reagieren, sondern wieder zu agieren. „Wir schaffen es nicht, die Demokratie zu verteidigen, indem wir den Status Quo erhalten. Wir dürfen nicht mehr nur auf die AfD reagieren, sondern wir müssen aktiv und mit konkreten Maßnahmen positives für Gesellschaft und Klimaschutz bewirken.“

Der Artikel ist Teil der neuen Magazin-Ausgabe der energiezukunft "Quo Vadis Europa - Energiewende zwischen Vision und Wirklichkeit". Das Magazin erscheint Mitte Mai.

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