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KlimaprotesteKriminalisierung eines parlamentarischen Beobachters

Lorenz Gösta Beutin im Bundestag bei einer Rede
Lorenz Gösta Beutin ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und in der Linksfraktion Sprecher für Energie und Klima. (Bild: Olaf Kosinsky, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 DE)    

Der Bundestagsabgeordnete Lorenz Gösta Beutin wurde gestern im Zuge der Ausübung seiner Rolle als Parlamentarischer Beobachter bei einem Klimaprotest verurteilt. Dieser Kriminalisierung müsse entgegengewirkt werden, fordern Beutin und andere.

13.08.2021 – Der Bundestagsabgeordnete Lorenz Gösta Beutin von der Linkspartei wurde gestern vom Verwaltungsgericht Recklinghausen zu einer Geldstrafe verurteilt, nachdem er bei einer Protestaktion von Klimaaktivsten als Parlamentarischer Beobachter vor Ort war. Beutin sagte nach Verkündung des Urteils: „Die dem Justizministerium NRW unterstehende Staatsanwaltschaft missbraucht den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs, um gegen die wichtige Praxis der parlamentarischen Beobachtung vorzugehen und diese zu kriminalisieren.“

Hintergrund war eine Aktion von Klimaaktivisten im Februar 2020 gegen das Steinkohlekraftwerk Datteln IV, das erst vergangenes Jahr in Betrieb genommen wurde. Der Protest gegen die Inbetriebnahme ist seit Jahren groß. Auch die Kohlekommission hatte sich dagegen ausgesprochen. Mit einer Aktion zivilen Ungehorsams planten Ende Gelände und weitere Gruppen am zweiten Februar das Gelände des Steinkohlekraftwerks zu besetzen.

Für die Klimaaktivsten ging es dabei nicht nur darum gegen die Kohlepolitik der Bundesregierung und NRW-Landesregierung zu protestieren, sondern auch auf die unmenschlichen und umweltschädlichen Abbaubedingungen der Steinkohle in Sibirien und Kolumbien aufmerksam zu machen. Seit dem Ausstieg aus dem Steinkohleabbau importiert Deutschland seinen Steinkohlebedarf. Im letzten Jahr waren es über 35 Millionen Tonnen.

Gemeinsam mit dem Grünen Europaabgeordneten Michael Bloss begleitete Beutin den Protest als Parlamentarischer Beobachter, klar erkennbar mit einer gelben Warnweste, wie Beutin selbst schreibt. Parlamentarische Beobachter sind bei Protesten vor Ort, um vor allem zwischen Polizei und Demonstranten zu vermitteln und deeskalierend zu wirken sowie als Kontrolle der exekutiven Gewalt zu fungieren. Dabei müssen sich Parlamentarische Beobachter neutral verhalten und nicht aktiv an den Protesten teilnehmen.

Aussage steht gegen Aussage

Doch genau das wirft die Polizei und der Betreiber von Datteln IV, der Energiekonzern Uniper, Beutin vor. Er habe sich mit den anderen Demonstranten gewaltsam Zutritt zu dem Gelände des Steinkohlekraftwerks verschafft, indem sie ein Tor aufgebrochen hätten. Beutin jedoch erklärte im Nachgang das Tor sei offen gewesen. Uniper stellte Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch. Der Bundestag hob daraufhin die parlamentarische Immunität von Beutin auf, damit das Verfahren stattfinden konnte, das gestern schließlich zu seinem Urteil kam.

Zwar sind Parlamentarische Beobachter seit vielen Jahren bei Demonstrationen anwesend und werden sowohl von Demonstranten wie der Polizei für ihre vermittelnde und beobachtende Art geschätzt, doch allgemein befindet sich die parlamentarische Beobachtung auf solchen Veranstaltungen in einer rechtlichen Grauzone. Zwar genießen Parlamentarier zunächst einmal Immunität und dürfen nicht in Gewahrsam genommen werden, doch diese kann aufgehoben werden, wenn die Polizei sich durch den Abgeordneten in seiner Arbeit eingeschränkt fühlt oder meint er würde aktiv am Protest teilnehmen.

Beutin kündigte nach dem Urteil an in Berufung zu gehen. „Ich bleibe dabei: die parlamentarische Beobachtung ist gelebtes Grundgesetz, es braucht bei Protesten, auch auf dem Privatgelände eines Kohlekonzerns, die Anwesenheit unabhängiger Beobachter“, so Beutin, der zugleich neue rechtliche Regelungen fordert, in denen die parlamentarische Beobachtung klar in das Versammlungsrecht festgeschrieben wird.

Beutin warnte ebenfalls: „Wir erleben mit dem Urteil auch einen Rückschritt für die Freiheit der Presse: Auch Journalist*innen können unter dem Vorwand des Hausfriedensbruchs in ihrer die Proteste begleitenden Berichterstattung eingeschränkt und vor Gericht gestellt werden.“ Zugleich sieht Beutin mit dem Urteil friedlichen Protest für Klimaschutz in seiner Gänze diskreditiert. Für ihn mache sich NRWs Ministerpräsident Armin Laschet zum Erfüllungsgehilfen des Kohlekraftwerksbetreiber Uniper.

Weitere Unterstützung

Auch das Bündnis Ende Gelände hält es weiterhin für elementar, dass parlamentarische Beobachter bei Klimaprotesten anwesend sind und uneingeschränkt ihre Rolle ausüben können. Man werde regelmäßig zur Zielscheibe von Polizeiwillkür und Repression, so Ende Gelände Sprecherin Joli Schröter. „Umso wichtiger ist es, dass parlamentarische Beobachter*innen den Kohle-Polizeistaat vor Ort in seine Schranken verweisen. Dass mit Lorenz Gösta Beutin jetzt ein Bundestagsabgeordneter im Auftrag eines Energiekonzerns kriminalisiert wird, weil er sein parlamentarisches Kontrollrecht ausgeübt hat, ist ein No-Go für eine Demokratie“, sagte Schröter weiter.

Der Europaabgeordnete Bloss, der zeitweise mit Beutin als parlamentarischer Beobachter unterwegs war, zeigte sich ebenfalls bestürzt über das Urteil. Die Verurteilung sei fatal für die Arbeit der parlamentarischen Beobachter. „Die Arbeit ist Teil des legislativen Auftrags, die Exekutive zu kontrollieren und dazu beizutragen, dass Konflikte gewaltfrei gelöst werden. Mit dem jetzigen Urteil werden wir uns zweimal überlegen, ob wir das Risiko eingehen, Demonstrationen und den Schutz der Demonstrant*innen zu beobachten“, so Bloss auf Anfrage der energiezukunft. mf  


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