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Der Emissionshandel der EU funktioniert nicht so wie er soll. In Brüssel wird jetzt über eine Reform verhandelt. (Foto: © Rock Cohen, flickr.com/photos/robdeman/2390666040, CC BY 2.0)
Der Emissionshandel der EU funktioniert nicht so wie er soll. In Brüssel wird jetzt über eine Reform verhandelt. (Foto: © Rock Cohen, flickr.com/photos/robdeman/2390666040, CC BY 2.0)

Der Emissionshandel der EU funktioniert nicht so wie er soll. Waren 2005 noch 30 Euro pro Zertifikat anvisiert, dümpelt der Preis je Tonne CO2 seit Jahren bei unter 10 Euro herum. Es sind schlichtweg zu viele Zertifikate auf dem Markt. In Brüssel wird jetzt über eine Reform verhandelt.

18.07.2016 – In Europa herrschen unruhige Zeiten, Ian Duncan bekommt das gerade ganz direkt zu spüren. Duncan ist Berichterstatter des EU-Parlaments für die Reform des europäischen Emissionshandels. Er begleitet also das Gesetz, tauscht sich mit anderen Fraktionen aus und stellt dem Vorschlag der EU-Kommission schließlich eine eigene Version entgegen, als Verhandlungsgrundlage. Als er diesen Bericht am 21. Juni im Umweltausschuss vorstellte, schloss er mit den Worten, er freue sich auf die weitere Zusammenarbeit, „wenn mich meine Wähler am Donnerstag nicht arbeitslos machen“. Ian Duncan ist Mitglied der rechtskonservativen ECR-Fraktion – und Schotte. Mit dem Beschluss zum „Brexit“ wurde dann tatsächlich das verfrühte Ende seiner Amtszeit eingeläutet.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob sich Duncan mit einem Eintrag in die Geschichtsbücher verabschiedet, indem er hilft, den Emissionshandel zum Erfolg zu führen. Skepsis ist jedoch angebracht. Das Handelssystem steckt in einer Dauerkrise: Berichte über fragwürdige Emissionsanrechnungen aus Projekten in Russland und der Ukraine oder – wie jüngst – groß angelegte Steuerhinterziehung beim Verschieben der Zertifikate über Landesgrenzen sind das eine. Der Handel scheitert bislang jedoch auch ganz grundsätzlich an seiner Aufgabe, einen echten Anreiz zum Senken von Emissionen zu schaffen. Seit Jahren dümpelt der Preis je Tonne CO2 bei unter zehn Euro, Ende Juni (Stand: 27.6.2016) waren es nicht einmal fünf. Zum Start im Jahr 2005 hatte die EU noch 30 Euro pro Zertifikat anvisiert.

Der notorisch niedrige Preis kommt daher, dass zu viele Zertifikate auf dem Markt sind, unter anderem weil ein großer Teil kostenlos an die Unternehmen geht und die Gesamtmenge in der Wirtschaftskrise nicht verringert wurde. Vertreter von EU, Mitgliedsländern und Wirtschaftsverbänden werden jedoch nicht müde zu betonen, dass der „marktbasierte“ Emissionshandel der richtige Ansatz zum Klimaschutz sei. Als das EU-Parlament Mitte Juni schärfere Energieeffizienz-Ziele forderte, wehrte sich beispielsweise in Deutschland der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) prompt gegen mögliche „Zwangsvorgaben“. Klimaschutz solle lieber dem CO2-Handel überlassen werden.

Das mit dem Markt ist allerdings so eine Sache. Laut einer im April veröffentlichten Studie reagiert der Preis vor allem auf politische Beschlüsse – und zwar meist negativ. Selbst vermeintliche Korrekturen wie das „Backloading“, bei dem 2014 nach langem Hin und Her überschüssige Zertifikate zeitweise vom Markt genommen wurden, hätten zu Kursstürzen geführt. Die Forscher erklären das mit fehlendem Glauben an eine ernsthafte EU-Klimapolitik. Der Handel sei zu einem „Wettbüro für politische Entscheidungen“ geworden, kommentierte Mitautor Ottmar Edenhofer vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change und forderte einen Mindestpreis.

Das ist bei der Reform bislang nicht vorgesehen, die für den Zeitraum von 2021 bis 2030 greift und damit die Klimaziele der EU nach Paris umsetzen soll. Nach derzeitigem Stand heißt das: minus 40 Prozent Emissionen bis zum Ende jenes Jahrzehnts im Vergleich zu 1990. Ende 2014 waren laut Europäischer Umweltagentur 24,4 Prozent geschafft. Die Kommission plant stattdessen unter anderem strengere Kriterien für die Verteilung kostenloser Zertifikate, die annähernd die Hälfte der Gesamtmenge ausmachen, und will die jährliche Rate für deren Verringerung von 1,74 auf 2,2 Prozent erhöhen. Der sehr moderate Entwurf ruft bei der Stahlindustrie bereits starken Widerstand hervor. Ihr Argument: Die europäische Industrie sei damit nicht mehr wettbewerbsfähig, mit den Unternehmen würden auch die Emissionen einfach ins Ausland abwandern. „Carbon Leakage“ heißt dieses Drohszenario. In der Vergangenheit hat allerdings gerade die Stahlindustrie massiv von den freien Zuteilungen der Zertifikate profitiert, laut der Nichtregierungsorganisation Carbon Market Watch verzeichnete sie damit sogar Milliardengewinne.

Dagegen fordert beispielsweise der Deutsche Naturschutzring, „Carbon-Leakage-Subventionen nach dem Gießkannenprinzip“ zu beenden und auch den nordeuropäischen Energiekonzernen Vattenfall, Fortum und Statkraft gehen die Pläne nicht weit genug. In einem gemeinsamen Brief sprechen sie sich für eine Minderungsrate von mindestens 2,6 Prozent aus. Bereits im Februar hatten diverse deutsche Umweltverbände in einem Schreiben an Bundesumweltministerin Barbara Hendricks einen höheren Reduktionsfaktor angemahnt. Zudem müssten überzählige Zertifikate dauerhaft gelöscht werden. Aktuell sieht der Plan vor, dass sie ab 2019 teilweise in der sogenannten Marktstabilitätsreserve geparkt werden, einen Teil will die Kommission aber auch an neue Unternehmen und über einen Innovationsfonds verteilen.

Die Vertreter der EU-Staaten halten sich bislang noch bedeckt. Nach dem Treffen der Umweltminister am 20. Juni erklärte Sharon Dijksma, die als niederländische Ministerin derzeit den Vorsitz innehat, lediglich, ohne einen funktionieren Emissionshandel seien die in Paris vereinbarten Ziele unerreichbar. Sie erwarte intensivere Diskussionen, sobald die Kommission ihre Pläne für die Sektoren außerhalb des Handelssystems, etwa den Straßenverkehr, vorlegt. Das soll noch im Juli geschehen.

Und Ian Duncan? Der weicht in seinem Bericht nicht radikal vom Kommissionsentwurf ab. Er will kleinteiliger unterscheiden, inwieweit ein Sektor von „Carbon Leakage“ bedroht ist und den Fonds für Innovationen besser ausstatten, der etwa Projekte zur Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) mitfinanzieren soll. Den Reduktionsfaktor hält er nicht für entscheidend, vor allem sollen EU-Länder ungenutzte Zertifikate stilllegen können und die EU-Kommission bei Bedarf auch vor 2030 Nachbesserungen vorschlagen dürfen. Der Bedeutung der Reform ist sich Duncan jedenfalls bewusst. Das System sei defekt, sagte er bei seiner Ernennung zum Berichterstatter. „Dies könnte unsere einzige Chance sein, Europa und dem Rest der Welt zu beweisen, dass Emissionshandelssysteme funktionieren können.” Tim Altegör (neue energie, Ausgabe Nr. 07/2016, S.16-17)


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