Koalitionsverhandlungen: Warnung vor einem verzögerten Erneuerbaren Ausbau

Die Koalitionsverhandlungen sind gestartet. Die Augen der Energiewirtschaft richten sich auf die AG Klima und Energie. RWE und Co. fordern mehr Pragmatismus. Warum das fatal wäre, analysieren Ökoenergieversorger.
21.03.2025 – Mit den reservierten 100 Milliarden Euro für zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen, die nicht aus dem regulären Haushalt abgezogen werden, hat die Fraktion der Grünen im Bundestag, in das diese Woche beschlossene Sondervermögen Infrastruktur eine Richtung reinverhandelt, an der sich die Koalitionsverhandler:innen von CDU/CSU und SPD messen lassen müssen. Die Augen sind vor allem auf die Arbeitsgruppe (AG) Klima und Energie gerichtet.
Die Chefverhandler der Parteien sind: Andreas Jung von der CDU, Martin Huber von der CSU und Olaf Lies von der SPD. Jung gilt parteiübergreifend als versierter Energiepolitiker und Befürworter einer beschleunigten Energiewende. Einer Renaissance der Atomkraft steht er skeptisch gegenüber. In der letzten Legislatur kritisierte er unter anderem die Entkernung des Klimaschutzgesetzes.
Olaf Lies könnte den Fokus auf eine sozial gerechte Energiewende lenken. Martin Huber hingegen fiel in der Vergangenheit nicht durch etwaige Energiewende-Positionen auf. Jung und Lies indes, werden die AG Klima und Energie leiten. Der Start der Koalitionsverhandlungen wird begleitet von Forderungen aus Wirtschaft, Verbänden und Organisationen zur künftigen Ausrichtung der Energiepolitik.
Der Bund der Deutschen Industrie (BDI) etwa fordert mehr Markt statt staatlicher Regulierung. Der Ausbau Erneuerbarer Energien solle systemdienlich und volkswirtschaftlich so effizient wie möglich erfolgen, so der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), RWE und E.On legen einen Fokus auf staatliche Unterstützung beim Ausbau von Gaskraftwerken zur Netzreserve, sowie eine Anpassung der Stromverbrauchsprognose und mehr Pragmatismus in der Energiepolitik, angesichts eines vermeintlichen niedrigeren Strombedarfs.
Mehrere Ökoenergieversorger jedoch mahnen, Eine konkrete Forderung nach einer Verringerung der Erneuerbaren-Ausbauziele sei vordergründig zwar kaum irgendwo zu lesen. „Die unter dem „Neustart“-Framing zusammengefassten Rufe nach einer Anpassung der Stromverbrauchsprognose oder einem netzsynchronisierten Ausbau meinen jedoch genau das: einen verringerten oder mindestens verzögerten Erneuerbaren-Ausbau“, so Bürgerwerke, EWS Elektrizitätswerke Schönau, Green Planet Energy und naturstrom in einem gemeinsamen, heute veröffentlichten, offenen Brief, der sich ebenfalls an die Verhandler:innen der AG Klima und Energie richtet.
Denkfehler von RWE und Co.
So sei etwa die Anpassung des Strombedarfs mit Denkfehlern versehen. „Zwar ist der Strombedarf tatsächlich zuletzt nicht so gewachsen wie angenommen, allerdings lag das auch an einer schwächelnden Wirtschaft. Der anvisierte Aufschwung kann nur funktionieren, wenn die Energiewende als Wirtschaftsfaktor begriffen wird. Und dieser Aufschwung wird einen erhöhten Energiebedarf mit sich bringen“, teilen die Ökoenergieversorger mit.
Auch die vermeintliche Notwendigkeit eines netzorientierten Erneuerbaren-Ausbaus liefere nur vordergründig Argumente für ein Abschwächen des Ausbaus. Statt einem solchen Wegducken gegenüber den Erfordernissen eines modernen Energiesystems müsse das Netz energiewendetauglich ausgestaltet werden.
Neben Investitionen in die Infrastruktur, Entbürokratisierung und Prozessbeschleunigung könnten neue Nutzungsformen Netzentlastung bringen: Regionale Direktbelieferungsmodelle sowie Flexibilitätstechnologien von Speichern bis Power-to-Heat würden volkswirtschaftlich sinnvoll und kosteneffizient die Nutzung von Ökostrom ermöglichen, so die Ökoenergieversorger.
Auch sie fordern mehr Markt für ein effizientes und sicheres Energiesystem. Darin aber müssten monetäre Anreize geschaffen werden sich netz- und energiewendedienlich zu verhalten. Es gehe etwa um eine CO2-Bepreisung, die sich an den realen Umweltschadenkosten orientiert und eine verstärkte Nutzung der Direktvermarktung bis hin zu besseren Bedingungen für
Power Purchase Agreements (PPA).
Die nach dem Ampel-Bruch von einer breiten Mehrheit der demokratischen Parteien getragenen Novellierungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) hätten bereits sinnvolle Weichenstellungen gelegt. Am 31. Januar hatten sich SPD, Grüne und CDU/CSU gemeinsam auf neue Beschlüsse geeinigt. So endet die Einspeisevergütung in Zeiten negativer Preise. Zukünftig sollen schon kleinere Erzeugungsanlagen durch den Netzbetreiber steuerbar sein. Und die Überbauung von Netzanschlüssen wird möglich, um nur einige Beispiele zu nennen.
Zudem dürfe es keine Subventionstöpfe für zusätzliche fossile Kraftwerke, wie etwa die für Gas geben und die bürgernahe Ausgestaltung der Energiewende müsse noch stärker vorangetrieben werden, fordern die Ökoenergieversorger. Schon rein wirtschaftlich sei ein verringerter oder mindestens verzögerten Erneuerbaren-Ausbau fatal. Eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft im Auftrag von Green Planet Energy zeigt, dass schon ein um 25 Prozent verringerter Ausbaupfad für die nächsten fünf Jahre ca. 65 Milliarden Euro weniger Investitionen in heimische Infrastruktur und eine Verringerung des Jobwachstums im Sektor um bis zu 65.000 Arbeitsplätze bedeuten würde.
Das für Klimaschutz reservierte Sondervermögen von 100 Milliarden Euro könne nur der Anfang sein, mahnen weitere Verbände und Organisationen. Verschiedene Berechnungen gehen von rund 60 Milliarden Euro jährlich aus, die in Deutschland in Klimaschutzmaßnahmen fließen müssten, um angemessen auf die Klimakrise zu reagieren und noch schlimmere Schäden in Zukunft abzuwenden. Dazu kommt global der Bedarf von bis zu 1,3 Billionen US-Dollar jährlich für Klimaschutz und Klimaanpassung, den die internationale Staatengemeinschaft, laut Vereinten Nationen künftig leisten müsse. mg