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Bild: CC BY Kathrin Henneberger

Nachgefragt 19.02.2025

"Mit Stimmung gegen Klimaschutz laufen Union und FDP den Rechten hinterher"

Warum im Bundestagswahlkampf die Klimakrise nur eine untergeordnete Rolle spielt und was der Kitt der Gesellschaft ist, darüber spricht Kathrin Henneberger, die für progressive Mehrheiten im Bundestag kämpft.

Kathrin Henneberger, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Obfrau im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung


Nachgefragt 19.02.2025

"Mit Stimmung gegen Klimaschutz laufen Union und FDP den Rechten hinterher"

Warum im Bundestagswahlkampf die Klimakrise nur eine untergeordnete Rolle spielt und was der Kitt der Gesellschaft ist, darüber spricht Kathrin Henneberger, die für progressive Mehrheiten im Bundestag kämpft.

Bild: CC BY Kathrin Henneberger

Kathrin Henneberger, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Obfrau im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung



Frau Henneberger, deutsche Klimapolitik und die globale Klimakrise spielen im Bundestagswahlkampf nur eine untergeordnete Rolle. Wie konnte es so weit kommen?

Ein Erklärungsansatz ist der psychologische. Menschen erkennen Krisen und die Dringlichkeit zu handeln nur im Hier und Jetzt. Während die Klimakrise für viele zeitlich und räumlich noch in großer Ferne liegt, sind die Sorgen vor Krieg und wirtschaftlichem Absturz akut. Diese Krisen überlagern gerade die Sorgen vor der Klimakrise und Dringlichkeit zu handeln. Eine weitere Ursache ist, dass Klimaleugnung im politischen Diskurs wieder stärker Verbreitung findet. Dazu gibt es auch ein wissenschaftliches Gutachten der Freien Universität Berlin. Es gab in den letzten drei Jahren wiederholt dezidierte Kampagnen von Rechtsaußen, die versucht haben mit Klimaschutz unsere Gesellschaft zu spalten und Maßnahmen gegen die Klimakrise als etwas unsoziales darzustellen oder den menschengemachten Klimawandel gleich ganz zu leugnen und als Klimadiktatur zu verunglimpfen. Dabei kann Klimaschutz sehr sozial ausgestaltet sein – siehe das Deutschlandticket oder hohe Förderungen für den Einbau einer Wärmepumpe, die eine Abkehr von teuren fossilen Energien bedeutet.

Bis auf wenige Ausnahmen leugnen FDP und Union nicht den menschengemachten Klimawandel. Warum aber machen sie trotzdem so vehement Stimmung gegen Klimaschutzmaßnahmen, wie das Heizungsgesetz?

Ich erlebe unterschiedliche Formen der Klimaleugnung. Auf gemeinsamen Podiumsdiskussionen erklären etwa CDU-Politiker:innen, dass Klimaschutz zwar wichtig sei, wir aber nicht zu viel davon machen dürften, weil es sonst der Wirtschaft schlecht gehe. Damit bedienen sie automatisch das Narrativ, dass die Klimakrise gar nicht so dringlich sei. Zugleich erweisen sie der Wirtschaft einen Bärendienst. Denn Klimaschutzmaßnahmen sind auf mittlere und lange Frist das Wirtschaftsfreundlichste, was wir tun können.

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Nun dringt aber bei vielen Menschen genau das Narrativ durch, man dürfe nicht zu viel Klimaschutz machen, um die Wirtschaft zu schützen.

Es ist ähnlich wie bei der Migrationsdebatte. Leider haben FDP und Union das Gefühl, sie könnten mit Stimmung gegen Klimaschutz Stimmen erhalten. Damit laufen sie den Rechten hinterher. Dabei gibt es auch Umfragen, die zeigen, dass Klimaschutzmaßnahmen nach wie vor einen hohen Stellenwert haben, deutlich größer als vor zehn Jahren. Immens wichtig aber auch ist, dass wir uns neben Klimaschutz um die vielen sozialen Belange kümmern, um bezahlbare Mieten, Mindestlohn und Politik gegen Kinderarmut und Langzeitarbeitslosigkeit. Die soziale Frage ist der Kitt unserer Gesellschaft.

Auch das Klimageld wäre eine soziale Maßnahme steigende CO2-Preise abzufedern.

Dafür kämpfen wir seit drei Jahren. Genau wie für die Kindergrundsicherung. Die FDP aber hat immer wieder blockiert. Trotz der FDP haben wir beim Klimaschutz und sozialen Maßnahmen einiges erreicht. Nun geht es darum, bei der Bundestagswahl möglichst viele Stimmen im progressiven Lager zu sammeln, um in einer neuen Legislatur entsprechende Projekte deutlich schneller voranzubringen.

Nach Ampel-Bruch und Asyldebatte ist der demokratische Diskurs gestört. Wie erscheinen da Koalitionsgespräche, etwa zwischen Union und Grüne, überhaupt möglich?

Diese Frage stelle ich mir auch. So wie CDU/CSU und Friedrich Merz agieren und Mehrheitsverhältnisse mit der AfD schaffen, ist eine gemeinsame Regierungsarbeit für mich aktuell schwer vorstellbar. Daher ist es ganz wichtig, dass wir jetzt um jede Stimme kämpfen. Die künftigen Mehrheitsverhältnisse sind den Umfragen zufolge noch sehr unsicher. Auch ein Dreierbündnis könnte wieder nötig sein. In den letzten drei Jahren als Parlamentarierin habe ich erfahren, dass wir hier im Bundestag viel voranbringen können, wenn progressive Kräfte Gewicht haben – etwa um Haushaltsgelder umzuwidmen für Klimaschutz und Biodiversitätsschutz als auch Gelder für Entwicklungszusammenarbeit zu schützen.

Blicken wir über den deutschen Tellerrand hinaus. Weltweit sind Populisten auf dem Vormarsch und in einigen Ländern längst an der Macht. Wie blicken Sie angesichts der fortschreitenden Klimakrise auf die weltpolitische Lage?

Es ist sehr beunruhigend. In den USA erleben wir mit Donald Trump einen Faschisten, der aus der Pariser Klimaabkommen aussteigt und Jobs und Behörden zerschlägt, wie etwa USAID, die für die globale Entwicklungszusammenarbeit immens wichtig ist. Dabei braucht es angesichts der multilateralen Krisen eine bessere globale Zusammenarbeit. Hoffnung geben mir aber weiterhin progressive Staaten und Kräfte innerhalb verschiedener Länder. Die Zusammenarbeit mit diesen Ländern und Kräften, etwa in Kolumbien oder Brasilien, müssen wir stärken. Hoffnung gibt mir auch die inzwischen unaufhaltsame globale Energiewende. Weltweit sind die Investitionen in die immer günstiger werdenden Erneuerbaren Energien enorm. Auch in Deutschland haben wir es in den letzten drei Jahren geschafft den Anteil Erneuerbarer im Stromsektor von rund 40 auf 60 Prozent hochzuschrauben. Zugleich aber müssen wir aufpassen, dass fossile Konzerne nicht weiter dermaßen mit ihren fossilen Projekten expandieren, wie sie es vorsehen.

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Kann die kommenden Klimakonferenz in Brasilien wieder den Weg in Richtung Pariser Klimaziele ebnen?

Ein zentraler Aspekt der Vorbereitungen auf die kommende COP in Brasilien ist es zivilgesellschaftliche Strukturen sowie indigene Perspektiven zu fördern und zuzulassen. So berichten es mir die Kolleg:innen aus dem brasilianischen Parlament. Zudem arbeiten wir mit Parlamentarier:innen weltweit am Projekt „Fossil Free Amazonia“ – einem Übereinkommen keine neuen Erdöl- und Erdgasfelder im Amazonasgebiet mehr zu erschließen. Das und den weltweiten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen werden wir auf der kommenden COP lautstark einfordern. Und ich bin mir sicher, dass, nach drei COPs in den fossil-autokratisch regierten Staaten Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate und Aserbaidschan, unsere Stimmen und die zivilgesellschaftlicher Strukturen wieder mehr Gehör finden werden.

Kürzlich hat der Energiekonzern RWE nahe ihrer Heimat, am Tagebau Hambach, das sogenannte Sündenwäldchen roden lassen. Auch dort gab es zivilgesellschaftlichen Protest. Im Gegensatz zum Hambacher Wald 2018, hat das Oberverwaltungsgericht Münster aber die Rechtmäßigkeit der Rodung beurteilt.

Ich war kürzlich dort und ein Teil des Waldes, mit Baumhausstrukturen, steht noch. Ich bin erstmal zuversichtlich, dass dies bis zum Ende der Rodungssaison Ende Februar so bleibt. Und zu dem Gerichtsurteil kann ich sagen, dass der geltende Hauptbetriebsplan für den Tagebau Hambach das geltende Bundesberggesetz zur Grundlage hat. Ein Gesetz, dass ich und andere seit drei Jahren versuchen aus dem Bundestag heraus zu reformieren. Leider wurde es im Bundeskabinett von der FDP und auch Teilen der SPD blockiert. Sie wollen nicht, dass sich Klimawirksamkeit, Biodiversitätsschutz und Anwohner:innenrechte im Bundesberggesetz wiederfinden. Denn dadurch würden neue Tagebauvorhaben praktisch unmöglich. Eine Novelle des Bundesberggesetzes steht auf meiner To-Do-Liste in der neuen Legislatur ganz oben. Und meine Forderung an RWE ist, uns Politiker:innen, Anwohner:innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen genug Zeit zu geben, Betriebspläne eingehend zu prüfen, bevor sie – wie sie es bislang ständig machen – Fakten schaffen und Bäume roden. Wir sehen das Sündenwäldchen als wichtige ökologische Verbindung von Flora und Fauna vom Hambacher Wald zu angrenzenden Ökosystemen.

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Für wie realistisch halten sie einen bundesweiten Kohleausstieg bis 2030?

Es wäre zwingend notwendig. Aber abgesehen davon, dass in der Lausitz bislang nicht von einem Kohleausstieg 2038 abgerückt wird, gibt es auch im Rheinland wiederholt Debatten darüber, ob nicht doch erst ordnungsrechtlich 2033 aus der Kohle ausgestiegen wird. 2026 wird es zu einer gesetzlich festgelegten Überprüfung des Kohleausstiegs im Bund kommen. Dabei muss dieser auch auf die Einhaltung der Klimaziele hin geprüft werden. Vor diesem Hintergrund müssten wir meiner Meinung nach den Fahrplan zum Kohleausstieg deutlich vorziehen. Das gilt auch vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Erwägungen. Angesichts steigender Preise im Emissionshandel werden Kohlekraftwerke 2030 nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sein. Auch deshalb braucht es zeitnah einen klaren Ausstiegsfahrplan, um den Menschen in den betroffenen Regionen klare Perspektiven zu geben. Populistische Forderungen nach einem Weiterbetrieb der Kohlekraft hingegen wird den Menschen vor Ort nicht helfen.

Ob Bundesberggesetz oder Überprüfung des Kohleausstiegs, um etwas zu bewegen, müssten Sie und die Grünen wieder in eine Regierungskoalition eintreten.

Ja, das ist existenziell wichtig. In Koalitionsverhandlungen müssen wir uns dann aber auch für Klimaschutz, soziale Belange und eine Reform der Schuldenbremse einsetzen. Was wir in einer neuen Bundesregierung nicht brauchen, ist die Missachtung von Klimakrise und sozialer Absicherung.

Angesichts der aktuellen politischen Verhältnisse erscheinen Kompromisse dahingehend schwierig.

Wir befinden uns in keiner einfachen Lage. Das will ich nicht bestreiten. Umso mehr müssen wir jetzt für jede progressive Stimme am 23.02. kämpfen.

Das Interview führte Manuel Grisard

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