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Mit Wind und Sonne gegen Smogalarm

Dichter Smog am Tian'anmen-Platz in Beijing (Foto: © McKay Savage, flickr.com, CC BY 2.0).
Dichter Smog am Tian'anmen-Platz in Beijing (Foto: © McKay Savage, flickr.com, CC BY 2.0).

Vor genau zehn Jahren verabschiedete der Nationale Volkskongress das chinesische Erneuerbare-Energien-Gesetz. Trotz der ständigen Rekorde beim Wind- und Solarzubau steigen die CO2-Emissionen bisher jedoch immer weiter an. Gegen die Atomenergie haben die Erneuerbaren jedoch inzwischen gewonnen.

09.03.2015 – Eigentlich hat die chinesische Regierung keine Wahl. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung im Land brachte einen steigenden Energiekonsum mit sich: Seit 2006 hat sich der Stromverbrauch mehr als verdoppelt, er beträgt jetzt das Achtfache des Verbrauchs in Deutschland. Damit stieg auch die Energieabhängigkeit. Noch bis Mitte der 1990er war China Nettoexporteur von Kohle. Die Situation hat sich schnell umgekehrt. Fast jede Woche entstand ein neues Kohlekraftwerk, das hauptsächlich mit importierter Kohle betrieben wurde. Im Jahr 2013 wurde für über 270 Milliarden US-Dollar Kohle zugekauft – das sind beinahe drei Prozent von Chinas Bruttoinlandsprodukt. Mit fast vier Milliarden Tonnen verbrauchten die Chinesen 2013 mehr als die Hälfte der weltweit geförderten Kohle.

Den höchsten Preis für den rasanten Anstieg der Kohleverbrennung bezahlen die Chinesen mit ihrer Gesundheit. Die Luftverschmutzung besonders in den Großstädten im Osten des Landes führte 2010 nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation zu mindestens 1,2 Millionen verfrühten Todesfällen und mehreren Millionen Kranken. Nach Statistiken der Weltbank befinden sich 16 der 20 Städte mit der schlimmsten Luftqualität in China. Eine der Hauptursachen dafür sind laut Greenpeace die zahlreichen Kohlekraftwerke in den nordöstlichen Provinzen. Nur während großer Ereignisse wie den Olympischen Spielen 2008 konnten die Chinesen etwas sauberere Luft atmen. Schon Monate vor den Spielen wurden Millionen Autos von den Straßen verbannt, Zement- und Stahlwerke mussten dicht machen und die Kohlekraftwerksbetreiber wurden dazu verpflichtet, ihre Emissionen zeitweise um mindestens 30 Prozent zu senken. Sobald die letzten begeisterten Gäste Peking verlassen hatten, ging die Verschmutzung wieder los.

Ausschreibungen ohne Erfolg

Bereits im Februar 2005 verabschiedete der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses das chinesische Erneuerbare-Energien-Gesetz. Damit wurden die Verteilnetzbetreiber dazu verpflichtet, Anlagen an ihr Netz anzuschließen und grünen Strom aufzukaufen. Zusätzlich wurden Investitionen in Forschung und Entwicklung zu erneuerbaren Energien zu einer der Prioritäten der chinesischen Politik erklärt. Mit dem Gesetz will man den Erneuerbaren-Anteil bis 2020 auf mindestens zehn Prozent steigern – mehr als dreimal so viel wie 2003. Dieses Ziel sollte durch Ausschreibungen erreicht werden. Die zwei Ausschreibungsrunden 2009 und 2010 waren jedoch wenig erfolgreich. Bei der ersten etwa wurde nur ein Projekt mit zehn Megawatt (MW) Leistung angemeldet.

Tatsächlich produzierten die chinesischen Unternehmen immer mehr Solarpaneele. Anstatt auf chinesischen landeten sie aber auf amerikanischen, deutschen oder spanischen Dächern. Dann brachen die Solarmärkte in einigen europäischen Ländern ein. Die hauptsächlich auf Exporte ausgerichteten chinesischen Solarfirmen gerieten unter Druck. Das hatte große Auswirkungen auf lokaler Ebene: „Wenn die Unternehmen Pleite gehen, verlieren viele Leute ihren Job. Das ist etwas, was die lokalen Behörden nicht gerne sehen“, sagt Weila Gong, Chinaexpertin am Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin. Um das zu vermeiden, seien einigen Solarunternehmen niedrigere Strompreise gewährt worden, damit sie die schweren Zeiten überstehen, sagt Gong.

Langfristig sollte die Exportabhängigkeit der Hersteller von Solarpaneelen verringert werden. Im Jahr 2011 versuchte die chinesische Regierung, die inländische Nachfrage zu erhöhen, indem sie Einspeisetarife von umgerechnet 14 Eurocent pro Kilowattstunde einführte. Schon ein Jahr später betrug die installierte Kapazität über acht Gigawatt (GW) – mehr als zehnmal so viel wie 2010. Im Jahr 2013 stieg sie auf 18 GW. 2014 sollten mindestens 14 weitere GW hinzukommen. Stattdessen gingen „lediglich“ 10,6 GW ans Netz, immerhin fast doppelt so viel wie in der ganzen EU.

Auch bei der Windkraft installierten die Chinesen fast zweimal so viel wie alle 28 EU-Mitgliedsländer zusammen. Die gesamte installierte Kapazität erreichte Ende letzten Jahres etwas mehr als 96 GW. Die Windräder produzierten fast drei Prozent des Stroms der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Das war mehr als die Produktion aller Atomkraftwerke im Reich der Mitte. Es könnte aber noch mehr sein: In den ersten sechs Monaten 2014 konnten 8,5 Prozent des produzierten Stroms nicht eingespeist werden. Oft fehlen Leitungen, die den Strom aus dem Westen des Landes in den bevölkerungsreichen Osten transportieren könnten. Doch auch in diesem Bereich hat sich einiges getan. Anfang 2014 gab der chinesische Übertragungsnetzbetreiber State Grid Corporation of China bekannt, es würden zwölf neue Höchstspannungsleitungen zwischen Westen und Osten gebaut, zusätzlich zu den sieben bestehenden.

Ginge es nach dem Willen der Nationalen Energiekommission, einer Art Energieministerium, sollte auch mehr Energie vor Ort genutzt werden. Vor allem im Winter soll der Strom aus Windenergieanlagen, welcher besonders oft nachts nicht mehr in das Netz eingespeist werden kann, zum Heizen benutzt werden und somit den Kohleverbrauch verringern. Ein weiterer Lösungsansatz für das Missverhältnis von Stromproduktion und -verbrauch ist, mehr saubere Energie im Osten des Landes zu erzeugen. Diese soll hauptsächlich aus Offshore-Windenergieanlagen kommen. In diesem Bereich hinkt die Wirklichkeit den Plänen aber hinterher: anstatt der geplanten fünf GW betrug die Leistung 2015 weniger als 500 MW.

Das rasante Wachstum erneuerbarer Energien trägt zur wirtschaftlichen Entwicklung Chinas bei. 2013 arbeiteten in China 2,6 Millionen Menschen im Bereich erneuerbarer Energien. Gleichzeitig behaupteten die chinesischen Solarmodulhersteller ihre globale Vormachtstellung. Mit einer Gesamtproduktion von 3,5 GW ist Trina Solar im vergangenen Jahr zum größten Modulhersteller der Welt aufgestiegen. Auch die Plätze 2, 3 und 5 besetzen mit Yingli Green Energy, Jinko Solar und JA Solar chinesische Firmen.

In den letzten Jahren verfolgten vor allem Yingli und Trina Solar eine aggressive Strategie in Deutschland. Yingli wurde deutschen Kunden unter anderem als Sponsor von Fußball-Rekordmeister Bayern München bekannt.

Allerdings wird ein Großteil der chinesischen Paneele mit deutschen Maschinen produziert. Zu den Gewinnern gehören Unternehmen wie Centrotherm, einer der größten Lieferanten von schlüsselfertigen Produktionsanlagen für kristalline Solarzellen, oder Singulus Technologies aus Kahl am Main, das vor kurzem den Großauftrag für die Lieferung einer Produktionsanlage für Dünnschichtmodule aus China erhalten hat.

Bei der Windenergie sind die Chinesen, nicht selten mit Hilfe deutscher Technologie, ebenfalls auf dem Vormarsch. Goldwind verdankt seinen Aufstieg von Platz 7 auf Platz 2 der größten Turbinenhersteller der Welt unter anderem einer engen Zusammenarbeit mit Vensys, einem Spezialisten für getriebelose Anlagen. Dieses Know-how steht Goldwind zur Verfügung, seit die Chinesen im April 2008 einen 70-prozentigen Anteil an Vensys kauften. Deutsche Technologie ist auch in den Windenergieanlagen von Ming Yang enthalten, dem größten nichtstaatlichen Windturbinenhersteller in China. Seit Jahren kooperiert das Unternehmen mit der Aerodyn Energiesysteme GmbH, einem führenden Entwickler von Windenergieanlagen mit Hauptsitz in Rendsburg, Schleswig- Holstein.

Sehr aktiv sind die deutschen Unternehmen beim Bau von Stromnetzen. Schon 2008 erhielt Siemens die ersten Aufträge aus China für die Errichtung der weltweit längsten und mit 5000 und 6400 MW leistungsstärksten UHGÜ-Verbindungen (Ultrahochspannungs-Gleichstromübertragung). Auch bei der Entwicklung von intelligenten Netzen gibt es in China ein riesiges Potenzial. Bis zu 46 Milliarden US-Dollar jährlich will der chinesische Netzbetreiber in diesem Bereich investieren.

Anstatt nach den Ausbaurekorden die Entwicklung erneuerbarer Energien zu dämpfen, wie es viele Regierungen in Europa gemacht haben, setzt China ambitionierte neue Ausbauziele. Noch 2010 war von insgesamt zehn Gigawatt Photovoltaik bis 2015 die Rede. Ein Jahr später wurde das Ziel auf 15 Gigawatt erhöht. Im Oktober 2014 wurden neue Ziele für den 13. Fünf-Jahres-Plan verabschiedet: Die gesamte installierte Photovoltaik-Kapazität soll nach diesem Zeitraum mindestens 100 Gigawatt betragen. Bei der Windkraft soll es doppelt so viel sein. Insgesamt könnten damit allein in den nächsten fünf Jahren mehr als 170 GW an grüner Energie ans Netz kommen.

Inzwischen werden bereits die Pläne für die weitere Zukunft vorbereitet. Laut dem Report REmap2030 der Internationalen Erneuerbaren-Agentur Irena ist es für China möglich, bis 2030 den Stromanteil aus erneuerbaren Energien auf 40 Prozent zu verdoppeln. Und das bei einem Anstieg des Stromverbrauchs um 60 Prozent gegenüber 2013. Zwar wäre das mit zusätzlichen Ausgaben von jährlich 58 Milliarden US-Dollar verbunden. Wenn allerdings die externen Effekte – weniger Kohlendioxid und deutlich bessere Luftqualität – eingerechnet werden, können nach Angaben von Irena jedes Jahr zwischen 55 und 228 Milliarden Dollar eingespart werden.

Kohleverbrauch muss sinken

Noch weiter in die Zukunft blickt eine Studie, die das Chinesische Zentrum für Erneuerbare Energien (CNREC) in Zusammenarbeit mit Experten aus den USA, Dänemark und Japan erstellt hat. Demnach soll die installierte Kapazität der Windenergieanlagen im Jahr 2050 auf bis zu 2800 GW steigen. Bei der Solarenergie soll die Leistung mindestens 1000 GW betragen. Gleichzeitig sollen die Emissionen aus den Kohlekraftwerken deutlich sinken. Der Haken daran: Um dieses Ziel zu erreichen, dürften ab 2015 keine neuen Kohlekraftwerke mehr gebaut werden – doch davon ist China zurzeit weit entfernt.

Seit 2006 ist China der größte Produzent von Treibhausgasen. Fünf Jahre später erreichten die Pro-Kopf-Emissionen jene von Frankreich oder Italien. Trotzdem weigerte sich die chinesische Regierung, feste Reduktionsziele zu nennen. Es war lediglich von einer Emissionsreduktion pro Einheit des Bruttoinlandsprodukts die Rede. Erst im November letzten Jahres kam ein Durchbruch: Bei einem Besuch von US-Präsident Barack Obama bei Chinas Staatschef Xi Jinping verkündeten die zwei Staatsoberhäupter ihre Vereinbarung: Im Gegenzug für die US-Emissionsreduktion um bis zu 28 Prozent bis 2025 wird China spätestens ab 2030 seine Emissionen nicht mehr erhöhen.

Auf den ersten Blick scheint das kein fairer Deal zu sein: In den kommenden 15 Jahren darf China seine Emissionen ohne Limit steigern, um sie erst danach wieder zu reduzieren. Wie groß die Herausforderung für China tatsächlich ist, zeigt sich, wenn man sich die Entwicklung der Emissionen in den letzten Jahren anschaut. Seit 2004 haben sie sich mehr als verdoppelt. Bei einer rasant wachsenden Wirtschaft kann die bereits 2009 angekündigte Erhöhung der Energieeffizienz nur ein Teil der Lösung sein. Um die Wurzel des Problems anzugehen, soll vor allem die Kohle-Verbrennung deutlich reduziert werden. Dass die chinesische Regierung es mit der Emissionsminderung ernst meint, wurde schon eine Woche nach Obamas Besuch klar. Da kündigte sie an: Im Jahr 2020 soll der Kohleverbrauch die Marke von 4,3 Milliarden Tonnen nicht überschreiten – immer noch etwa zehn Prozent mehr als im Moment – und danach sinken.

Dann kam aber die Überraschung: Schon 2014 ist der Kohleverbrauch im Vergleich zum Vorjahr um 2,5 Prozent gefallen. Die Erleichterung der Umweltschützer war deutlich: „Würde der Kohleverbrauch in China weiterhin so steigen wie in den letzten zehn Jahren, müssten wir jede Hoffnung aufgeben, den Klimawandel unter Kontrolle zu bringen“, sagt Lauri Myllyvirta von Greenpeace East Asia. „Auch wenn der Kohleverbrauch noch nicht seinen Höhepunkt erreicht hat, ist das ein Zeichen, dass China sich aus der Kohle zurückzieht“, behauptet er. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Bewohner von Peking, Shanghai und anderen chinesischen Großstädten in Zukunft etwas öfter als bisher den blauen Himmel zwischen den Wolkenkratzern sehen können. Andrzej Ancygier (neue energie 03/2015, S. 66-69)


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