Öl- und Gas-Industrie: Profiteure der Klimakonferenz

Die Weltklimakonferenz könnte zu einem Fest für die Öl- und Gas-Branche werden. Mit Gastgeber Aserbaidschan als dankbarer Vermittler und Profiteur. Neue Daten zeigen, in welchem Ausmaß die Branche weltweit produziert und investiert.
12.11.2024 – Seit gestern sind die Pforten der 29. Weltklimakonferenz geöffnet und entgegen den Zielsetzungen der COP – der Conference of the Parties – könnte der Gastgeber Aserbaidschan die Veranstaltung dazu nutzen neue Öl- und Gas-Deals mit Unternehmen und Ländern einzufädeln. Das legt unter anderem ein Bericht der britischen BBC von letzter Woche nahe.
Der Leiter des aserbaidschanischen COP-Teams und stellvertretende Energieminister des Landes Elnur Soltanov wurde heimlich von der Menschenrechtsorganisation Global Witness gefilmt, wie er mit einem vermeintlichen potenziellen Investor über Möglichkeiten des Sponsorings der COP im Gegenzug zu Investments in die staatliche Öl- und Gasfirma SOCAR sprach. Soltanov sitzt auch im Verwaltungsrat von SOCAR.
In dem heimlich gefilmten und fingierten Treffen erklärte Soltanov ebenfalls, dass es bei der COP zwar um die „Lösung der Klimakrise“ ginge, zugleich aber Öl- und Gasfirmen mit Vorschlägen zur Lösung der Probleme willkommen seien. Er sprach von Gas als Übergangstechnologie und Teil der Lösung, weshalb Investments in den Ausbau der Gas-Infrastruktur Aserbaidschans willkommen seien.
Erst kürzlich beleuchteten die Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen urgewald und CEE Bankwatch das Ausmaß des staatlichen Konzerns SOCAR bei der Förderung fossiler Brennstoffe. Öl und Gas sind Grundlage der aserbaidschanischen Wirtschaft. Sie machen 90 Prozent der Exporteinnahmen, 60 Prozent der Staatseinnahmen und 30 bis 50 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Seit 2014 ist die Ölförderung rückläufig. Gleichzeitig steigt die Gasproduktion. In den vergangenen zwei Jahren investierte SOCAR rund 300 Millionen US-Dollar in die Exploration von Gas- und Ölreserven.
International ist das eine vergleichsweise geringe Summe. Im Durchschnitt der vergangenen drei Jahre gaben Unternehmen weltweit jährlich 61,1 Milliarden US-Dollar für die Suche nach neuen Öl- und Gasvorkommen aus. Das ist eines der zentralen Erkenntnisse der neuen Global Oil and Gas Exit List – kurz GOGEL – die jährlich von urgewald gemeinsam mit 34 Partnerorganisationen veröffentlicht wird und die weltweit umfassendste öffentliche Datenbank der Öl- und Gasindustrie darstellt. Sie umfasst 1.769 Unternehmen, die Öl und Gas fördern oder neue fossile Infrastruktur entwickeln und verantwortlich für 95 Prozent der weltweiten Öl- und Gasproduktion sind.
Zudem erreichte die Öl- und Gasproduktion 2023 einen historischen Höchststand. 55,5 Milliarden Barrel Öläquivalent (bboe) förderten die auf der GOGEL gelisteten Unternehmen im letzten Jahr. Nils Bartsch, Leiter der Öl- und Gasrecherche bei urgewald, sagt: „Dieser Negativrekord ist alarmierend. Wenn wir die fossile Expansion nicht aufhalten und keinen kontrollierten Produktionsrückgang einleiten, wird das 1,5-Grad-Limit unerreichbar. Hier müssen wir bei den Klimaverhandlungen in Baku vorankommen.“
Auf der letzten Klimakonferenz in Dubai hatte die Weltgemeinschaft eine schrittweise Abkehr von fossilen Energien beschlossen, jedoch in einer „geordneten und gerechten“ Weise. Was viel Spielraum für die fortwährende Nutzung von Kohle, Öl und Gas lässt. Zwar wurden die Länder dieser Erde auch verpflichtet ihre Bemühungen für den Klimaschutz zu erhöhen, dies aber unter der Prämisse einer gemeinsamen aber „unterschiedlichen Verantwortung“, auch hier ist der Spielraum groß.
Bis Ende nächsten Jahres, also zur COP30 in Brasilien, müssen die Staaten neue ambitioniertere Klimapläne vorlegen. Es wird erwartet, dass einige Länder, auch Aserbaidschan, diese schon auf der aktuellen COP in Baku vorlegen. Große Erwartungen, hinsichtlich einer Abkehr von fossilen Brennstoffen, dürften nicht gehegt werden.
Wichtigstes Ziel der diesjährigen COP ist ein neues globales Ziel für die Klimafinanzierung. Aktuell zahlen die Industriestaaten als historische Hauptverursacher der Klimakrise nach eigenen Angaben rund 100 Milliarden US-Dollar jährlich an einkommensschwache Länder für Klimaschutz und Klimaanpassung. Die Vereinten Nationen beziffern die jährlich benötigten Mittel für die Klimafinanzierung und für Hilfen bei Schäden und Verlusten auf mindestens eine Billion US-Dollar jährlich.
Über eine Erweiterung der Geberländer, wie China und die Öl-Staaten im Nahen Osten, wird diskutiert. Ebenso über neue Finanzierungswege, wie eine globale Besteuerung von Kohle-, Öl- und Gas-Unternehmen sowie einer Vermögenssteuer für Superreiche. NGOs mahnen, Wohlstand und Wirtschaftskraft für eine angemessene Klimafinanzierung seien vorhanden.
Allein Shell gab, mit 2,418 Milliarden US-Dollar im jährlichen Durchschnitt für die Öl- und Gasexploration, fast das Zweieinhalbfache dessen aus, was aktuell im sogenannten Loss and Damage Fonds enthalten ist. Der Fonds für Schäden und Verluste in einkommensschwachen Ländern wurde auf der letzten COP mit 702 Millionen US-Dollar gefüllt. Auch Eni (1,276 Mrd.), BP (1,147 Mrd.), TotalEnergies (1,03 Mrd.), ExxonMobil (1,019 Mrd.) und Chevron (991 Mio.) gaben jeder für sich mehr für die Suche nach Öl und Gas aus, wie für die Unterstützung einkommensschwacher Länder bei Schäden und Verlusten vorhanden ist.
„Es ist pervers, dass Unternehmen jedes Jahr Milliarden von Dollar für die Suche nach neuen Öl- und Gasreserven ausgeben, die in der Zukunft noch mehr Klimaschäden verursachen werden“, sagt Tinaye Mabara von der Agape Earth Coalition. Explorationen, die auch unmittelbar Einfluss auf die Umwelt im Globalen Süden haben, wie die EACOP Öl-Pipeline in Uganda. Es gibt Berichte von Umweltverschmutzungen und Menschenrechtsverletzungen.
Urgewald und die weiteren NGOs weisen darauf hin, dass die Öl- und Gasproduzenten TotalEnergies, Shell, BP, Eni, Equinor, OXY, OMV und Ecopetrol alle behaupten bis 2050 Netto-Null-Emissionen anzustreben. Doch schon kurzfristige Expansionspläne der Öl- und Gasindustrie würden den Fahrplan der Internationalen Energieagentur (IEA) für Netto-Null-Emissionen bis 2050 konterkarieren. Entgegen eigenen Beteuerungen transformiere sich die Industrie nicht.
„Die Klimaziele dieser Unternehmen basieren auf völlig unrealistischen Prognosen für den Einsatz von CCS, der Nutzung erneuerbarer Energien für den Betrieb ihrer Öl- und Gasanlagen und auf einer Steigerung ihrer Gasproduktion“, sagt Regine Richter, Energie- und Finanz-Campaignerin bei urgewald. Keines der Unternehmen plane, seine Produktion im ausreichenden Maß zu senken, geschweige denn seine Produktion früh genug komplett zu beenden. „Es können noch so viele Erneuerbare zugebaut werden, die Welt wird die Erderwärmung nicht auf 1,5 Grad begrenzen können ohne einen schrittweisen Ausstieg aus Öl und Gas“, sagt Richter. mg