EU Green Deal: Omnibus könnte Green Deal überfahren

Die EU will im Schnellverfahren entscheidende Nachhaltigkeitsgesetze vereinfachen. Grüne Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft befürchten, dass der Green Deal entkernt wird. Sie fordern Transparenz und Investitionssicherheit für Unternehmen.
24.02.2025 – Am Mittwoch will die EU-Kommission eine sogenannte Omnibus-Verordnung vorstellen, um Bürokratie abzubauen und die Umsetzung von Gesetzen des Green Deals zu vereinfachen. Als Omnibus wird eine Verordnung bezeichnet, die gleichzeitig Änderungen an mehreren bestehenden Gesetzen vornimmt. Politiker und Vertreter von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen in Deutschland und der EU befürchten, dass der Omnibus mit Vollgas den Green Deal überfährt.
„Es gibt diverse Angriffe von der Verschmutzerlobby, nicht etwa der Wirtschaft, Teile des Green Deals abzuschwächen, häufig unter dem Vorwand des Bürokratieabbaus. Bürokratieabbau ist häufig eine gute Idee, aber hier geht es darum, zentrale Elemente in Frage zu stellen“, sagt Sven Giegold, stellvertretender Bundesvorsitzender der Grünen, der gemeinsam mit Michael Bloss, klima- und industriepolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, Anna Cavazzini, Bündnis 90/die Grünen, Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Europaparlament, und Jutta Paulus, Bündnis 90/Die Grünen und Abgeordnete im Europäischen Parlament, eine Kampagne gegen die Rückabwicklung des Green Deals gestartet hat, im gemeinsamen Auftakt zur Webinarreihe, Green Deal in Gefahr.
Nachhaltigkeitsgesetze aufschnüren
Nach Antritt der neuen Kommission, im November vergangenen Jahres, veröffentlichte der Europäische Rat die Budapester Erklärung zum New European Competitiveness Deal. Darin wird unter anderem das Ziel gesetzt, Berichtspflichten der EU-Nachhaltigkeitsgesetze für Unternehmen in der ersten Hälfte des Jahres 2025 um rund ein Viertel zu reduzieren. Dabei solle am Wesen der Gesetze festgehalten, aber Überlappung und Redundanz gestrichen werden, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Die Vereinfachungen der Omnibus-Verordnung betreffen die Kerngesetze des Green Deals: die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD), die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und die Taxonomie-Verordnung. Grüne und sozialdemokratische Politiker sowie Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen sind alarmiert. Statt weniger Bürokratie befürchten sie, dass die Nachhaltigkeitsgesetze entkernt werden.
In mehreren Aufforderungen an die Kommission hatten deutsche, italienische und französische Industrie- und Arbeitgeberverbände dafür plädiert, die Nachhaltigkeitsgesetze vorerst auszusetzen. Sie fordern weiter, die Richtlinien in Beratung mit der Wirtschaft auf ihre Wettbewerbsfähigkeit hin auszuwerten. Unter anderem solle das Lieferkettengesetz nur auf Unternehmen ab 5000 Mitarbeitern angewendet, Sorgfaltspflichten gelockert und die zivilrechtliche Haftung gestrichen werden. Weiterhin solle den Nationalen Regierungen verboten werden, in ihren Anforderungen für Nachhaltigkeit über die von der EU verordneten Regeln hinauszugehen. Grüne und sozialdemokratische Politiker sowie Vertreter der Zivilgesellschaft befürchten, dass die Kommission den Forderungen von Teilen der Wirtschaftslobby in der Omnibus-Verordnung nachgibt.
Verabschiedete Gesetze ändern, bevor sie in Kraft getreten sind
„Wir sind alle dafür, Bürokratie abzubauen“, sagt Cavazzini, „Aber Bürokratie ist eben nicht gleich Regulierung. Das, was aus der Kommission zu hören sei, gehe weit darüber hinaus, Bürokratie abzubauen. Nach einer nur sehr kurzen Zeit sollten ohne Folgenabschätzung, ohne Stakeholder zu konsultieren, ohne die einzelnen verantwortlichen Minister in der Kommission zu fragen, Gesetze geändert werden.
In einem gemeinsamen Statement kritisierten auch europäische Menschenrechts- und Umweltorganisationen die geplante Öffnung der Nachhaltigkeitsgesetze. Die EU plane, im Schnellverfahren maßgeblich Hand an über lange Verhandlungen und Kompromisse gefundene Gesetze zu legen, bevor diese mehrheitlich überhaupt in Kraft getreten sind. Auch die Konsultation mit beteiligten Stakeholdern sei kaum ausreichend: Es fehlten gründliche Folgenabschätzung, Transparenz und der bisherige politische Konsens werde missachtet. Beides widerspreche auch dem von der Europäischen Kommission selbst gesetzten Rahmen für bessere Rechtsetzung.
Sie warnen davor, Unternehmen und Investoren, die bereits begonnen haben, sich auf die Regularien einzustellen oder entsprechend zu investieren, zu gefährden und zu verunsichern. Die Nachhaltigkeitsgesetze müssten wirksam umgesetzt und bestehender Klärungsbedarf adressiert werden, ohne die Führungsrolle der EU bei den Nachhaltigkeitsstandards für Unternehmen in Frage zu stellen. Dies drohe, das Vertrauen in den Gesetzgebungsprozess der EU und die Legitimität von entscheidenden Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu einer Zeit zu untergraben, an dem sie dringendst benötigt würden.
Mehrheiten haben sich verschoben
Die Forderungen der Wirtschaftslobbyverbände sind nicht neu, sondern spiegeln in weiten Teilen bekannte Kritik. Mit der EU-Wahl im vergangenen Sommer hat sich jedoch die Zusammensetzung von Europäischem Parlament und Kommission deutlich und nicht zugunsten der Pariser Klimaziele verändert.
„Für den Green Deal ist absolut entscheidend, wie die Mehrheiten sind. Im Europaparlament sind die Mehrheiten anders als früher, und leider stimmen dort die Christdemokraten und die Liberalen regelmäßig mit Rechtsextremen, auch gegen ökologische Inhalte. Im Rat der Mitgliedsländer sind auch viele Regierungen eher nach rechts gewandert“, sagt Giegold.
Die konservative Fraktion, angeführt von der Europäischen Volkspartei, drängt inzwischen darauf, immer mehr Nachhaltigkeitsregeln aufzuweichen. Unterstützt wird der Vorstoß von der deutschen CDU/CSU. Deren Kanzlerkandidat Friedrich Merz verspricht seit Monaten, bei einem Wahlsieg das deutsche Lieferkettengesetz zurückzunehmen. Auch will Merz zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland wie Europa die staatliche Unterstützung entziehen.
Es gebe konkrete Angriffe auf große Teile des Green Deals, sagt Bloss. Stimmen im EU-Parlament wollten das Verbrenner-Aus für Neuwagen ab 2035 aufweichen, den CO2-Preis für Wärme und Verkehr aussetzen oder verschieben, den CO2-Preis für die Industrie verwässern, und die geplante Verschärfung des Klimaziels auf 90 Prozent weniger Emissionen bis 2040 sowie neue Ausbauziele für Erneuerbare Energien in Frage stellen. „Es ist nicht nur ein Deal für den Klimaschutz, es war immer auch eine Wirtschaftsstrategie. Die Strategie, dass wir unsere Wirtschaft modernisieren müssen, dass wir Technologiesprünge brauchen, dass wir durch Erneuerbaren Strom günstige Energiepreise schaffen“, sagt Bloss. Der Clean Industrial Deal könne die Strategie des Green Deals weiterführen – oder genutzt werden, um den Klimaschutz abzusägen. jb