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Radikaler Widerstand gegen Hochspannungsleitung

Für einen europaweiten Handel mit Strom würde die EU gerne länderübergreifend Stromautobahnen ausbauen lassen. In Katalonien werden schon Stromtrassen mit größtem Transportpotenzial errichtet. Wie hierzulande gibt es dort Widerstand. Nach langem erbittertem Kampf gibt es nun erste kleine Erfolge.

06.05.2014 – Streit um den Bau von Höchstspannungsleitungen gibt es auch in Deutschland schon lange. Gegner der Stromtrassen aus ganz Bayern haben gerade erst im Berliner Wirtschaftsministerium rund 130.000 Unterschriften gegen die umstrittene Gleichstrompassage übergeben. Das landesweite Aktionsbündnis der Trassengegner mit Sitz in Pegnitz führte die Unterschriften gegen den Bau der Trasse.

Im vergangenen Winter kochte der Streit um den Ausbau der Stromautobahnen in Nordbayern besonders hoch, aber auch in Thüringen sind sie ein Dauerthema. Dort wehrt man sich dagegen, dass Kohlestrom aus Ostdeutschland bis tief hinein nach Bayern soll. Viele vom Leitungsbau betroffene Menschen haben mitbekommen, dass die Errichtung der Leitung übergeordneten Zielen dient und ihnen nichts bringt, zumindest nichts Gutes. So sagte der Landrat des Landkreises Bayreuth, Hermann Hübner (CSU), laut der Regionalzeitung Nürnberger Nachrichten im Februar, es gehe bei dieser Trasse „um eine Etappe für die von den Energiekonzernen geplante Stromautobahn von Litauen bis Portugal“.

Genauer gesagt geht es europaweit um viele Stromautobahnen. Ein ganzes Netz davon will die EU haben, damit Strom möglichst schnell über weite Strecken gehandelt werden kann. Gegen einen Abschnitt dieses Netzes gibt es seit Jahren Widerstand. Im Nordosten Spaniens, im Bundesstaat Katalonien haben die Kämpfe längst ein Ausmaß angenommen, das die aktuellen Proteste in Deutschland verblassen lässt.

Es sind Methoden, die wir in Deutschland nur von Protesten gegen Atommülltransporte kennen: Am 6. März blockierten zwei Menschen eine große Straße in der Stadt Girona mit einer Zement-Tonne, in der sie ihre Arme verkeilt hatten. Weitaus spektakulärer schon die Aktion am 8. Januar: Ein Gegner der Höchstspannungsleitung hatte sich unterirdisch in einem Auto verbarrikadiert, als der Bautrupp der Stromnetzgesellschaft anrückte, um nur 17 Meter von einem bewohnten Haus entfernt das Fundament für einen Strommast zu legen. In das Auto war er durch eine selbst gebaute Röhre gekrochen, deren Zugang die Falltür eines Wohnmobils war. Videos zeigen, wie der Aktivist das machte und wie seine Entfernung einen ganzen Tag dauerte.

Schon vor Jahren hatte in der Provinz Girona der Widerstand gegen die „MAT“, wie das Akronym für Höchstspannung lautet, begonnen. Lange hielten Demos und eine Waldbesetzung, bei der sich ebenfalls Leute lange auf hoch liegenden Plattformen in den Bäumen und in Tunneln verschanzten wie ein Dokumentarfilm eindrucksvoll zeigt, den Norden Kataloniens in Atem. Doch all die Aktionen und juristischen Klagen konnten die 400-Kilovolt-Leitung, die Nordkatalonien mit Frankreich verbindet, nicht verhindern. Als letztes Jahr das letzte Teilstück in Angriff genommen wurde, brandete der Widerstand wieder auf.

Die in mehreren ländlichen Gegenden aktive Bewegung „No a la MAT“ hat, neben der Kritik an der Veränderung des Landschaftsbildes und der Umweltzerstörung, verschiedene Sicherheitsbedenken und beschwert sich zudem, dass Bürgermeister und andere Leute mit Kontakten ins katalanische Parlament zu ihren Gunsten Streckenänderungen bewirkt hätten. „Die jetzige Route macht wenig Sinn“, klagt der Aktivist Albert Saus aus dem Dorf Viladasens. „Sie ist länger, kreuzt zweimal die Autobahn und mehrmals die bestehende 130-Kilovolt-Leitung. An einem Haus geht sie in 17 Meter Entfernung vorbei, an einem anderen 45 Meter und an vielen weiteren weniger als 100 Meter, obwohl die Regionalregierung versprochen hatte, die Leitung würde nicht weniger als 100 Meter an einzelnen Häusern und 500 Meter an Ortskernen vorbei gehen.“

Diese Werte sind aber nicht gesetzlich vorgeschrieben. Laut Saus besagt das entsprechende Gesetz aus den 1960ern, als Spanien also noch eine Diktatur war, dass Leitungen von 400 kV in sieben Metern Entfernung von einem Haus gebaut werden dürfen. „Die sieben Meter sind das Minimum, damit es bei Feuchtigkeit nicht zu Entladungen kommt“, fügt er hinzu. Viele Menschen befürchten eine Gesundheitsgefährdung in der Nähe der Leitung – worüber es allerdings in der Medizin weltweit Streit gibt.

Die Familie Saus gehört zu den letzten drei in Viladasens, die sich gegen die Enteignung zu Gunsten der Bauarbeiten wehren. Der Rechtsstreit läuft noch, doch er hält die Arbeiten nicht auf. Die privatisierte Stromnetzgesellschaft REE sieht die Enteignungen als rechtmäßig an und hat den Widerspenstigen schon Geld auf ein selbst eingerichtetes Konto gezahlt. Viele andere Familien hätten nach anfänglichem Widerwillen doch verkauft, unter anderem, weil sie höhere Preise verhandeln konnten, sagt der 34-jährige Saus, der sein ganzes Leben in Viladasens verbracht hat. Gegen die MAT seien jedenfalls sehr viele Leute eingestellt. Die Beteuerungen der Regionalregierung, es gehe auch um die lokale Versorgungssicherheit, zieht bei „No a la MAT“ nicht. Diese „Stromautobahn“ ändert nichts, wenn die lokale Infrastruktur marode ist, sagt Saus. Und der Verbrauch sei hier, wie in ganz Spanien, ohnehin wegen der jahrelangen Wirtschaftskrise im zweistelligen Prozentbereich zurückgegangen.

Viele Menschen sehen sich mittlerweile bestätigt, weil eine Abzweigung der MAT, die den Strom vor allem zur Hochgeschwindigkeitszugstrecke Barcelona-Paris bringen soll, aufgrund des Widerstands und nach Verhandlungen mit der Regionalregierung erst mal in Frage steht. Der Zug fährt schließlich auch so schon längst. Ein weiterer Erfolg der Proteste: Die Leitung nach Santa Coloma de Gramenet, einem Vorort von Barcelona, ist dort nun ebenfalls politisch blockiert. Selbst die Bürgermeisterin ist gegen den Bau der Umspannstation für die Leitung, die sogar durch einen Naturpark führt. In der katalanischen Provinz Lleida sind ebenfalls Dörfer samt Bürgermeister gegen die Planung einer MAT mobilisiert. Das Thema MAT hat mittlerweile eine größere Medienpräsenz als in vergangenen Jahren.

Diese Sichtbarkeit musste sich offensichtlich erstritten werden. Mitspracherechte wie im angrenzenden Frankreich, wo die MAT auf den Druck der Bevölkerung unterirdisch verlegt wurde, habe es hier nicht gegeben, klagt die katalanische Bewegung. Dabei sichert das im Rahmen der UNO erarbeitete Aarhus-Abkommen der Zivilgesellschaft Information und Partizipation bei Projekten mit Umweltauswirkungen zu. In seinem Anhang sind „Hochspannungsfreileitungen“ explizit erwähnt. Spanien hat das Aarhus-Abkommen zwar ratifiziert, aber nicht umgesetzt, im Gegensatz zu Frankreich. Dabei mahnte EU-Kommissar Günther Oettinger Bürgerbeteiligung an, als er 2013 das Milliardenprogramm für diese Netze vorstellte.

Die EU fördert ein bei der lokalen Bevölkerung eher unbeliebtes Projekt, die spanische Regierung ist mit dem Oligopol der Stromkonzerne verbandelt, die Netzgesellschaft ist privatisiert und hat deshalb ein Eigeninteresse am Stromhandel – kein Wunder, dass die Anti-MAT-Bewegung eine Dezentralisierung der Stromerzeugung und einen Fokus auf erneuerbare Energiequellen will, wie Albert Saus sagt. Ende des Jahres sollen die Strommasten in der Provinz Girona errichtet sein. Nach einem halbjährigen Testbetrieb soll der Strom ab Mitte 2015 fließen, wie der Netzbetreiber unlängst einer Zeitung sagte. Ralf Hutter


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