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Europäische UnionWas Artikel 6 und CO2-Zertifikate für die neuen EU-Klimaziele bedeuten

Drei wehende EU-Flaggen vor dem modernen Glasfassaden-Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel, aufgenommen bei bewölktem Himmel in kühlen Blautönen.
Auf Vorschlag der EU-Kommission in Brüssel, beraten nun die weiteren EU-Institutionen, Rat (die Mitgliedsstaaten) und EU-Parlament über das neue Klimaziel 2040 (Foto von Christian Lue auf Unsplash)

Besonders ein Punkt im Kommissionsvorschlag für ein neues 2040er Zwischenziel der EU auf dem Weg zur Klimaneutralität schlägt hohe Wellen: Die mögliche Anrechnung von Emissionsminderungen in Nicht-EU-Ländern.

04.07.2025 – Das neue Zwischenziel der Europäischen Union zur Erreichung ihrer Klimaziele hatte sich abgezeichnet und schlug diese Woche dennoch hohe Wellen. Nach einer angestrebten Emissionsminderung bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 und dem Ziel von Netto-Null-Emissionen 2050, kündigte der EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra am Mittwoch ein neues Zwischenziel für 2040 an. Bis dahin soll der Ausstoß klimaschädlicher Gase um 90 Prozent sinken. Nun müssen die Mitgliedsstaaten im Rat und die Abgeordneten des Europäischen Parlaments über den Vorschlag beraten.

Dass die angestrebte 90 Prozent Minderung ein wichtiges Zwischenziel ist, darüber sind sich Politiker:innen verschiedener Parteien, sowie Expert:innen einig. Die Details jedoch sorgen für Diskussionen. Erstmals schlägt die Kommission vor, dass die Mitgliedsstaaten zur Erreichung ihrer Emissionsreduktionen auch CO2-Zertifikate in Nicht-EU-Ländern kaufen können. Es ist ein System internationaler Klimazertifikate, dass auf der 26. Weltklimakonferenz in Glasgow verabschiedet und Details auf der letzten COP29 festgezurrt wurden, während die Ursprünge noch viel früher liegen.

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Fehlerhafter Rahmen im Kyoto-Protokoll

Doch der Reihe nach: Bereits im 1998 geschlossenen Kyoto-Protokoll wurden mehrere marktbasierte Mechanismen eingeführt, in denen Länder außerhalb ihrer Staatsgrenzen mit Emissionen handeln konnten. So konnten Staaten unter einem bestimmten Emissionslimit überschüssige sogenannte Assigned Amount Units (AAUs) an andere Staaten verkaufen. Staaten mit Überschreitungen konnten so zusätzliche AAUs erwerben, um ihre Verpflichtungen zu erfüllen.

Beim Clean Development Mechanism (CDM), konnten Industrieländer durch die Finanzierung von Emissionsminderungsprojekten in Entwicklungsländern sogenannte Certified Emission Reductions (CERs) erhalten, die sie auf ihre eigene Minderung anrechnen konnten. Zudem gab es Joint Implementations (JI) mit direkten Kooperationen zwischen Industrieländern und Projekten zur CO2-Reduktion.

Angesichts der laufenden Debatte um die Hinzunahme von CO2-Zertifkaten in die EU-Klimaziele kritisierte der Grünen EU-Abgeordnete Michael Bloss bei einem Pressegespräch diese Woche den Emissionshandel mit Zertifikaten im Rahmen des Kyoto-Protokolls: „Sie haben nicht dazu geführt, dass CO2 eingespart wird. Sie sorgten teilweise sogar dafür, dass noch mehr CO2 ausgestoßen wurde. Sie haben damals den europäischen Emissionshandel, für Jahre lang lahmgelegt. Er hatte keine Lenkungswirkung und diesen Fehler dürfen wir nicht noch mal begehen.“

Insbesondere die ehemaligen Ostblockstaaten erhielten durch den Zusammenbruch ihrer Wirtschaft große Mengen überschüssiger AAUs, die am Markt gehandelt wurden, ohne dass es konkrete Emissionsreduktionen in den Ländern gab. Insgesamt gab es deutlich zu viel Zertifikate auf dem Markt, die den Bedarf überstiegen und so der Preis teilweise unter 1 Euro pro Tonne CO2 fiel. Zudem standen CDM-Projekte in der Kritik. Ohnehin bestehende Wälder als natürliche Senken etwa, wurden in den internationalen Emissionshandel integriert und teilweise gab es negative soziale und ökologische Auswirkungen vor Ort. Auch hatten Länder wie die USA das Kyoto-Protokoll nie ratifiziert.

Alles besser mit Artikel 6?

Nachdem der Marktmechanismus im Kyoto-Protokoll als gescheitert galt, machte man sich im Rahmen des Pariser Klimaabkommens daran, einen neuen Marktmechanismus unter dem sogenannten Artikel 6 auf den Weg zu bringen. Es ist das System internationaler Klimazertifikate, dass auch die EU-Kommission als Teil der Lösung für die Erreichung der Klimaziele erachtet.

In den Verhandlungen der COP26 bis zur COP29 einigte sich die Staatengemeinschaft wieder auf drei Elemente. So sollen erstens Staaten direkt miteinander bilaterale CO2-Gutschriften aushandeln können, zweitens ein globaler Marktmechanismus als Nachfolger des CDM fortbestehen, sowie drittens nicht marktbasierte Ansätze entstehen, bei denen es nicht um CO2-Zertifkate gehen soll, sondern allgemeiner gefasst um Kooperationen auf politischer, wissenschaftlicher und technologischer Ebene, die am Ende ebenso dem Klimaschutz zugutekommen.

Während Element drei von vorneherein schwer messbar ist, sollen die anderen beiden Elemente – mit Lehren aus dem Kyoto-Protokoll – deutlich robuster werden. So soll es striktere Regeln geben, die etwa Doppelzählungen vermeiden. Dies passiert durch sogenannte „Corresponding adjustments“. Das Land, das Emissionsgutschriften verkauft, fügt die übertragenen Emissionsgutschriften zu seinem Emissionsniveau hinzu. Das Land, das solche Einheiten erwirbt, zieht diese von seinem Emissionsniveau ab. Beide Länder vergleichen die angepassten Emissionsniveaus mit ihrem Klimaziel. Dieser Ansatz soll sicherstellen, dass nur das Käuferland übertragene Emissionsreduktionen nutzen kann.

Zudem soll es schärfere Prüfverfahren geben, die fehlende Reduktionsmaßnahmen verhindern sowie eine transparente Buchführung und unabhängige Überprüfungen. Doch während der internationale Zertifikate-Handel schon läuft, stehen Mechanismen zur regelbasierten Umsetzung noch am Anfang.

Die Autor:innen einer Metastudie aus dem vergangenen Jahr, die 65 weitere Studien zu dem Thema analysierten, kamen zu dem Ergebnis, dass Klimaschutzprojekte, mit denen Emissionsgutschriften produzierten werden, häufig deutlich weniger Emissionen ausgleichen als angegeben. Durchschnittlich erreichten die Projekte nur 16 Prozent der angestrebten Emissionsreduktion.

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An der Studie mitgewirkt hat unter anderem Lambert Schneider vom Ökoinstitut, der auch entscheidend an den Verhandlungen zu Artikel 6 auf den COPs beteiligt war. Schneider sagte am Mittwoch in einer Pressekonferenz des Science Media Centers zur Debatte über CO2-Zertifikate im EU-Klimaziel für 2040, es sei ein Risiko, dass gerade die Verkäuferländer ihre Ziele nicht erreichen, wo Europa die Zertifikate kauft. „Ein ganz wichtiges Prinzip, um das zu verhindern ist, dass die EU strategische Partnerschaften mit Ländern aufbaut und mit diesen Ländern zusammen Strategien erarbeitet, dass diese Kooperation sowohl den Ländern hilft als auch der EU.“ Und der Vorschlag der EU sei darauf angelegt, dass die Minderungen aufgeteilt werden zwischen Verkäuferland und EU. So es auch in Artikel 6 angelegt.

Schneider verwies zudem darauf, dass neben der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Möglichkeit von drei Prozent an Emissionsminderungen durch CO2-Zertifikate, in dem 90 Prozent-Ziel auch natürliche Kohlenstoffsenken wie Wälder und Moore, sowie technische CO2-Abscheidungsverfahren wie CCS einberechnet seien. Daraus ergebe sich grob überschlagen, eine reine Emissionsminderungsquote von 76 Prozent.

Laut Michael Bloss würden die 3 Prozent, die in Nicht-EU-Ländern kompensiert werden könnten, 145 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten entsprechen. „Das ist eine riesige Menge und entspricht den Emissionen von Schweden, Finnland und Dänemark zusammen. Für Investitionen in Europa kann das zur echten Gefahr werden. Ohne klaren Standards riskiert die EU-Kommission erneut einen Rückschritt wie im vergangenen Jahrzehnt, als internationale Gutschriften den CO₂-Preis abstürzen ließen.”

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Intensive Verhandlungen stehen an

Anders sieht das der CDU-Abgeordnete im Europarlament Peter Liese, Sprecher der konservativen EVP für Klimafragen: „Ich erkenne die Herausforderungen, die internationale Credits mit sich bringen, und natürlich müssen wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Betrug muss vermieden werden, und es ist nur eine teilweise und zeitlich begrenzte Lösung, denn eines Tages müssen schließlich alle Staaten der Welt klimaneutral sein. Andererseits können hochwertige Emissionsgutschriften aus Drittländern die Kosten senken, und Artikel 6 des Pariser Abkommens hat seinen Sinn: Der Mechanismus kann zusätzliche Mittel für Drittländer mobilisieren.“

Es reiche nicht, wenn Deutschland oder Europa dekarbonisieren, man müsse das Thema global anpacken. Mit starren Zielen ohne eine Flexibilisierung, drohe in Europa eine Deindustrialisierung, Arbeitsplätze und auch Emissionen würden sich ins außereuropäische Ausland verlagern. Die Kommission habe insbesondere mit der Hereinnahme von Zertifikaten nach Artikel 6 wichtige Schritte getan, um Flexibilisierung und Machbarkeit stärker in den Vordergrund zu rücken, so Liese weiter. Der nahm zudem positiv in den Blick, dass mit dem 2040er Ziel auch technische CO2-Abscheidungsprozesse stärker ins Blickfeld geraten würden.

Deutlichere Kritik schlug der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken an, umweltpolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament. Es stehe die Befürchtung dubioser Bilanztricks im Raum, so Wölken. „Umso wichtiger ist es, dass die Credits klar umgrenzt sind, starke Auflagen bekommen und Betrug von Anfang an einen Riegel vorgeschoben wird. Da ist der Vorschlag im Moment noch deutlich zu vage und aus dieser Sicht nicht ausreichend.“ Die 90 Prozent Reduktion liege ohnehin nur am unteren Ende dessen, was die Klimawissenschaft als nötig erachtet. Daher sollten die Credits eigentlich nur als Ultima Ratio erachtet werden.

Wölken und die anderen Abgeordneten kritisierten zudem die späte Einreichung des Kommissionsvorschlags. Denn spätestens bis zur 30. Klimakonferenz im brasilianischen Belém  im November, muss die Europäische Union neue NDCs, gemeinsame neue Klimaziele der Mitgliedsstaaten, eingereicht haben. Da drin sollte der Vorschlag für das 2040 Ziel der EU-Kommission Berücksichtigung gefunden haben. Für die EU-Parlamentarier:innen sowie Vertreter:innen der Mitgliedsstaaten stehen intensive Verhandlungen an. mg

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