EU Green Deal: Weniger Bürokratie oder weniger Nachhaltigkeit?

Die Omnibus-Verordnung soll die Nachhaltigkeitsregeln der EU vereinfachen und Bürokratie abbauen. Grüne Politiker und zivilgesellschaftliche Akteure sehen jedoch größtenteils Rückschritte bei Standards und Planungschaos statt Vereinfachung.
04.03.2025 – In der vergangenen Woche stellte die EU-Kommission gemeinsam mit ihrer Vision für eine grüne EU-Wirtschaft, dem Clean Industrial Deal (CID) – auch die sogenannte Omnibus-Verordnung für Bürokratieabbau vor. Als Omnibus wird eine Verordnung bezeichnet, die gleichzeitig Änderungen an mehreren bestehenden Gesetzen vornimmt. Die EU-Kommission hat mindestens zwei Teile für diese Verordnung angekündigt, von denen nun der erste bekannt ist.
Die Initiative betrifft die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD), die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), die EU-Taxonomie, und den CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), die als Leuchtturmrichtlinien des Green Deals gelten.
Die EU-Kommission spricht von Vereinfachung der EU-Vorschriften und einem besseren Zugang zu Finanzinstrumenten. Jährlich sollen Verwaltungskosten in Höhe von rund 6,3 Milliarden Euro eingespart und der Aufwand für große Unternehmen um rund 25 Prozent, und für Mittelständische Unternehmen sogar um 35 Prozent verringert werden. Die Maßnahmen zielen zum Großteil darauf ab, den Anwendungsbereich der Nachhaltigkeitsgesetze zu verkleinern und deren Implementierungsstart zu verschieben.
Politiker und NGOs kritisierten das Omnibus-Vorhaben im Vorfeld bereits scharf. Die Nachhaltigkeitsgesetze wurden über Jahre in enger Konsultation mit den beteiligten Akteuren ausgearbeitet, und viele sind bisher nicht einmal in Kraft getreten. Vereinfachungen im Schnellverfahren durchzuwinken, könnte die Gesetze entkernen. Dies würde die Transformation zur grünen EU-Wirtschaft verlangsamen, sowie das Vertrauen von Unternehmen und Finanzmärkten schwächen. Von den erst kürzlich verabschiedeten Gesetzen war eine langfristige Investitionsperspektive zu erwarten und viele Unternehmen dürften bereits Vorbereitungen getroffen haben.
Anna Cavazzini, Bündnis 90/die Grünen, Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Europaparlament, hat gemeinsam mit ihren grünen Parlamentskollegen und Jutta Paulus und Michael Bloss sowie Sven Giegold, stellvertretender Bundesvorsitzender der Grünen, eine Kampagne gegen die Rückabwicklung des Green Deals unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus gestartet.
Nachhaltig ausrichten?
So sollen Unternehmen mit bis zu 1000 Beschäftigten und 50 Millionen Umsatz nicht mehr in den Anwendungsbereich der CSRD fallen. Rund 80 Prozent der Unternehmen müssten die CSRD-Kriterien somit nicht mehr erfüllen. Die übrigen Unternehmen sollen ihre Berichtspflichten statt 2026/2027 erst 2028 erfüllen müssen.
„Damit würden nur noch 20 Prozent der ursprünglich CSRD-pflichtigen Unternehmen in Europa gemäß dem ganzheitlichen CSRD-Ansatz Nachhaltigkeitsberichte erstellen. Dies widerspricht dem Ziel, eine EU-weite Basis relevanter ESG-Daten zu schaffen, um Kapitalströme in nachhaltige Aktivitäten zu lenken“, kritisiert David Ryfisch, Leiter des Bereichs Zukunftsfähige Finanzflüsse bei Germanwatch. „Stattdessen werden Investoren diese Informationen bei Unternehmen direkt erfragen müssen, was den Aufwand für alle Beteiligten erhöht und damit dem Ziel des Omnibus direkt entgegensteht.”
Der Mittelstand werde nicht unterstützt, indem er generell von der Beschäftigung mit den Auswirkungen seines Handelns auf Umwelt und Menschen befreit werde. Gerade die Wesentlichkeitsanalyse aus der CSRD stelle ein gutes Instrument dar, damit Unternehmen ihre Risiken und Chancen identifizieren und sich strategisch besser ausrichten könnten, erklärt Silvie Kreibiehl, Vorstandsvorsitzende von Germanwatch. „Erleichterungen auf Umsetzungsebene bei der Ausgestaltung der Berichtsstandards sind dagegen sinnvoll. Zudem müssen sich Unternehmen und Wirtschaftsprüfer in Deutschland trauen, das Prinzip der Wesentlichkeit wirklich auf wesentliche Risiken zu begrenzen und einen Mehraufwand durch eine Übererfüllung der Vorschriften vermeiden.”
Taxonomie wird freiwillig
Die Taxonomie-Berichterstattung soll derweil fast nur noch freiwillig erfolgen. Nur noch Unternehmen, die einen CSRD-Bericht erstellen müssen, und einen Nettoumsatz von mehr als 450 Millionen haben, sollen künftig verpflichtet sein, ihre Taxonomie-Anpassung zu melden. Die zu berichtenden Datenpunkte sollen um rund 70 Prozent reduziert werden.
Sorgfaltspflicht einschränken
Mehr Zeit für die Umsetzung, nämlich bis Mitte 2028, soll es auch bei der EU-Lieferkettenrichtlinie geben. Die umfassende Sorgfaltspflicht soll sich nur noch auf direkte Geschäftspartner beziehen, Bewertungen nur noch alle fünf Jahre anstatt jedes Jahr vorgenommen, und die zivilrechtliche Haftung abgeschafft werden.
“Die EU-Lieferkettenrichtlinie hat das Potenzial, Millionen Menschen weltweit in ihren Rechten zu stärken und eine starke und resiliente europäische Wirtschaft zu etablieren. Sie stellt sicher, dass deren kurzfristiger Gewinn nicht zu Lasten künftiger Generationen und der Menschen im EU-Ausland geht“, sagt Cornelia Heydenreich, Leiterin des Bereichs Unternehmensverantwortung bei Germanwatch. „Mit der nun von der Kommission vorgeschlagenen Streichung nahezu aller Kontrollmechanismen würden vermutlich Menschenrechtsverletzungen folgenlos bleiben.“ Auch Cavazzini spricht von einem massiven Kahlschlag am Lieferkettengesetz.
Große Emissionsexporte erfassen
Der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) der EU soll verhindern, dass Unternehmen CO2-intensive Produktionen ins Ausland verlagern. Auf den Import von CO2-intensiven Produkten muss eine Abgabe gezahlt werden, die dem CO2-Preis in der EU entspricht.
Für den CBAM ist geplant, die Freigrenze an Emissionen anzuheben, bis zu der keine Berichtspflichten anfallen. Importeure, die bis zu 50 Tonnen CO2 pro Jahr verursachen, sollen ausgenommen werden. Rund 90 Prozent der bisher betroffenen Unternehmen würden so von der Berichterstattungspflicht befreit. Es wird erwartet, dass trotzdem 99 Prozent der CO2-Emissionen erfasst werden können.
„Der pragmatische Ansatz der Kommission beim CBAM ist sinnvoll: Fokus auf die großen Importeure bei gleichzeitiger Ausweitung auf weitere Bereiche und indirekte Emissionen“, sagt Simon Wolf, Leiter des Bereichs Deutsche und Europäische Klimapolitik bei Germanwatch. Entscheidend sei, dass der CBAM das doppelte Ziel von Wettbewerbsfähigkeit und Dekarbonisierung optimal unterstütze und so Klimaschutzimpulse auch in andere Staaten sende: dazu müsse er den Zielpfad des EU-ETS absichern und mit einem Teil der Einnahmen internationale Kooperation unterstützen. jb