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RohstoffwendeWeniger Rohstoffe abbauen, mehr Alternativen schaffen

Rohstoffmine
Eine wettbewerbsfähige grüne Wirtschaft muss weniger Ressourcen verbrauchen und faire Partnerschaften schaffen (Bild: Getty Images / Unsplash+ Lizenz).

Für die Rohstoffsicherheit der EU wird mehr gebraucht als Minen. Es müssen endlich weniger Rohstoffe verbraucht und vorhandene systematisch wiederverwertet werden. Der Kreislaufansatz kommt in Politik und Wirtschaft noch zu kurz.

14.11.2024 – Um die Versorgung zu sichern, will die EU den Abbau kritischer Rohstoffe innerhalb der eigenen Grenzen fördern. Im Mai trat der Critical Raw Materials Act in Kraft, der mehr innereuropäische Rohstoffförderung und -verarbeitung fordert sowie Recyclingziele vorgibt.

Im Strategiebericht zur Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union setzt der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank und frühere italienische Ministerpräsident Mario Draghi vor allem auf Primärrohstoffe und strategische Partnerschaften, um diese zu sichern.

Bei beiden kommen Umweltschutz und die Rechte der Menschen vor Ort zu kurz, kritisiert PowerShift, Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- & Weltwirtschaft. Vor allem aber folge die Strategie der EU ausschließlich dem alten Muster des ständigen Wachstums und der Ausbeutung. Gebraucht werde eine Kreislaufwirtschaftsstrategie und Partnerschaften, die beiden Seiten nützen.

Der Norden verbraucht zu viel

„Die EU, in der weniger als sechs Prozent der globalen Bevölkerung lebt, nutzt 25 bis 30 Prozent der globalen Rohstoffe. Um – gerade in Zeiten der Klimakrise – mehr in Richtung Nachhaltigkeit zu wirken, muss dieser hohe Verbrauch dringend gesenkt werden“, sagt Michael Reckordt, Geograph und bei PowerShift Referent für deutsche und europäische Rohstoffpolitik.

Im Global Resources Outlook 2024 fordern die Vereinten Nationen, dass die Länder im Globalen Norden ihren Rohstoffverbrauch bis 2060 um 20 Prozent senken. Weniger Rohstoffe zu verbrauchen, sei auch ein Weg, die EU unabhängiger von geopolitischen Rivalen wie China oder Russland zu machen. Ein Wettlauf gegen China, die USA und viele Schwellenländer wäre hingegen fatal – für Menschen, Umwelt und Wirtschaft. Die erneute Wahl Trumps verschärfe diese Situation noch.

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Michael Reckordt ist Geograph und bei PowerShift Referent für deutsche und europäische Rohstoffpolitik.

Michael Reckordt ist Geograph und bei PowerShift Referent für deutsche und europäische Rohstoffpolitik

Erst vor einem knappen Monat diskutierte PowerShift gemeinsam mit anderen NGOs und Vertretern der Zivilgesellschaft die dringend notwendige Reduktion des Ressourcenverbrauchs auf dem zweiten zivilgesellschaftlichen Rohstoffgipfel. Ungeachtet dessen fordert der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) auf seinem Kongress Anfang der Woche zehn neue Minen in Europa. Eine blinde Forderung von mehr Bergbau übergehe die ökologischen und sozialen Risiken und ignoriere den zu hohen Rohstoffverbrauch Europas, kritisiert PowerShift.

Boden und Menschen ausbeuten

Der Draghi-Report wiederum analysiert Europas Rohstoffabhängigkeit und rät zur schnellen Genehmigungsverfahren für Bergbauprojekte und einen Ausbau strategischer Lieferketten. Die EU-Raw Materials Coalition, der auch PowerShift angehört, sieht den Ansatz kritisch. Eine ökologisch ausgeglichene und gerechte Industriepolitik werde hier nicht forciert.

Im Fokus stehe die althergebrachte Ausbeutung von Primärressourcen. Sekundäre Verwertung werde nebenbei erwähnt, während die Verringerung des Verbrauchs und innovative Ersatzmaterialien gar nicht vorkämen. Dabei hätten letztere großes Potenzial, Europas Ressourcenverbrauch zu senken. So gibt es beispielsweise bereits Windkraftwerke, die ohne seltene Erden auskommen. Ansätze wie diese müssten im großen Stil gefördert und ausgebaut werden.  

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Sicherheit werde im Report vor allem geopolitisch und wirtschaftlich verstanden, während die Klimasicherheit und demokratische Stabilität vernachlässigt werde. So bliebe unbeachtet, dass Konflikte häufig in der Nachfrage nach kritischen Ressourcen wie Öl, Gas und Land entstehen. Diese Dimension zu ignorieren, vertiefe globale Konflikte. Die geopolitische Position der EU werde zudem zunehmend fragiler. Langfristige Partnerschaften mit Ländern des Globalen Südens aufzubauen, anstatt weiter auf ausbeuterische Modelle zu setzen, sei gerade deshalb auch im Interesse der europäischen Länder. Menschenrechte, die Rechte von Indigenen und Arbeitern im Zusammenhang mit Bergbauprojekten fehlen im Report wiederum vollständig. Es sei zu erwarten, dass bei der beschleunigten Genehmigung von Minen als erstes die Rechte der Menschen und der Umweltschutz vor Ort auf der Strecke blieben.

Weiterhin spricht sich Draghi potenziell für Tiefseebergbau aus. Führende europäische Forscher und zahlreiche Studien raten dringend davon ab, die nur wenig erforschte Tiefsee durch Bergbau zu zerstören. Bisher folgt die EU-Kommission dieser Empfehlung und lehnt Tiefseebergbau ab. Als erstes Land der Welt bereitet allerdings Norwegen derzeit den Weg für Bergbauprojekte vor seinen Küsten.

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